Stefan Weber on 22 Sep 2000 17:42:58 -0000 |
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<nettime> Kritik der Ars Electronica |
Liebe Liste, auf Anregung von Geert Lovink poste ich diesen kritischen Artikel zur Ars Electronica in diese Liste. Er ist gestern auf http://www.medianexus.net/ erschienen. Eine Auseinandersetzung ueber das Thema wuerde mich freuen. Liebe Gruesse Stefan Weber ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Verstorben: Ars Electronica, 21, geb. in Linz (A) Ein Nachruf zu Lebzeiten Stefan Weber Ich war eine Woche lang in Linz. Aber ich habe die Ars Electronica nicht gefunden. Im Brucknerhaus war sie nicht: Dort waren im Erdgeschoss immer viele Webmailer und im ersten Stock Labors mit Schmetterlings- und Puppenz�chtern. Im Offenen Kulturhaus war sie auch nicht. Dort war gleich beim Eingang ein ganz doofes Videogame, und in einigen Zimmern waren einige wenige megabrave Touch- und Klickspiele. Im OMV Klangpark vor dem Brucknerhaus habe ich die Ars auch gesucht: Aber da war kein Publikum, da kann sie nicht gewesen sein. Nach einer Woche stand f�r mich fest: Die Ars hat gar nicht stattgefunden! So k�nnte eine Geschichte �ber die diesj�hrige Ars Electronica beginnen. K�nnte. Wenn die Satire noch eine angemessene Form der Kritik w�re. Aber: Was heuer alles auf der Ars Electronica (nicht) geschehen ist, zwingt zu einer anderen Form der Darstellung. Gelbe Kapperl, schicke Eist�nzerinnen Alles begann, wie schon des �fteren, mit "audience participation". Schon 1994 mussten wir beim Er�ffnungs-Event rot-gr�ne Staberln heben ("Alles Spiel" von Loren & Rachel Carpenter). Heuer war es eine gelbe Kappe, die wir auf- oder absetzen mussten. Sch�n, dass es wieder zwei Mannschaften gab. Wie auf einem Fu�ball-Feld! Einmal durften die Linken die Lautst�rke regeln und die Rechten �ber das Orchester abstimmen, dann war es wieder umgekehrt. Direkte Demokratie, Partizipation, Interaktivit�t - mit Nachdruck realisiert! In dem Folder zur "visualisierten Linzer Klangwolke" stand geschrieben: "2000 kann das Publikum erstmals gestalterisch in die Klangwolke eingreifen. Die Intention der K�nstler ist nicht das passive Konsumieren, sondern ein kreatives aktives Erleben der Klangwolkenbesucher." Dass die Intention der K�nstler Obermaier/Spour nicht das passive Konsumieren ist, erscheint klar: Irgendwann m�ssen sie auch einmal ihr passives Konsumieren unterbrochen und sich ans aktive Komponieren gemacht haben. Dass die K�nstler hingegen die Klangwolkenbesucher kreativ und aktiv erleben wollten, erscheint weniger klar. Oder hat hier der b�se Kritiker den Genitivus obiectivus mit dem Genitivus subiectivus verwechselt? Auf jeden Fall hat er sein Kapperl immer wieder brav abgesetzt, wenn es auf der Leinwand stand. Anschlie�end ging's zur Opening Party "Next Sex on Ice". Lokal-Matador Fadi Dorninger hat sie wieder einmal designt. Die Verbindung zum Thema "Next Sex" erscheint klar - Zitat Programmfolder: "Das Motto ,Next Sex' wird k�nstlerischen Positionen ausgesetzt, aber auch lustvoll konterkariert. Eis, ein wesentlicher Speicher zur Konservierung von Fortpflanzungstr�gern, pr�gt den Ort der Er�ffnungsparty." Es war saukalt, und deshalb gab es auch Gl�hwein. Die weihnachtliche Stimmung wurde durch Intermezzos von Eist�nzerinnen noch unterst�tzt. Ich war ganz erstaunt, wie diese k�nstlerische Intervention bei mir sofort die Assoziation zu tiefgefrorenen Spermien ausl�ste und so das Thema Gentechnik lustvoll konterkariert wurde. "Radikaler Diskurs", "rassistische Argumente" Dann gab es zwei Tage das "Next Sex"-Symposium. Viel wurde dar�ber schon berichtet [http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/8667/1.html, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/8658/1.html], noch vieles g�be es zu sagen. Ich bin f�r ein diskursanalytisches Forschungsprojekt, das die Rhetorik dieses Festivals unter die Lupe nimmt. Walter �tsch, ein Linzer Professor, hat gerade das Buch "Haider Light. Handbuch f�r Demagogie" publiziert. Ich rate ihm, den Nachfolgeband "Stocker Light" zu nennen. Einige Beispiele m�chte ich ihm gleich mitgeben. AEC-Chef Gerfried Stocker schreibt (Einleitungstext zum Symposium): "Gentechnologie, insbesondere die moderne Humangenetik, ist eine zentrale Provokation unserer Zeit." Frage: Ist sie wirklich nur eine Provokation, und wem n�tzt diese Provokation wann in welchen Kontexten? - Weiter: "Ihrer ethischen Schockwirkung steht ein nur ansatzweise ausreichend radikaler gesellschaftlicher Diskurs gegen�ber (...)". H�re ich hier zurecht heraus, dass die Ethik nur Schockwirkung erzeugt bzw. Ethiker blo� zum Schockiert-Sein f�hig sind? H�re ich hier weiters heraus, dass der Diskurs radikalisiert werden muss? Ing. Stocker schreibt, der Diskurs, der der Ethik gegen�berstehe, sei "nur ansatzweise ausreichend radikal". Also m�sse er doch radikaler werden, oder? Nur: Was ist ein radikalerer Diskurs? Ein simplifizierenderer Diskurs? Ein reduktionistischerer Diskurs? Ein totalit�rerer Diskurs? Ein emotionalisierterer Diskurs? Waren wir seit der Aufkl�rung nicht immer bem�ht, Diskurse zu deradikalisieren? Wie man Diskurse radikalisieren kann, wurde am Symposium "Next Sex" gut illustriert. Mir wird heute noch schlecht, wenn ich an diese Radikalisierungen denke. - Gerfried Stocker schreibt weiter: "Die Betrachtung der (...) Reproduktionstechnologien muss (...) mit besonderem Augenmerk auf ihre biologischen, geschlechtsspezifischen und letztlich rassistischen Argumente hin gef�hrt werden." Auch dieser Satz ist eindeutig zweideutig: Will uns Stocker sagen, man m�sse sich die rassistischen Argumente genauer ansehen, oder r�t er uns, die Betrachtung mit rassistischen Argumenten zu f�hren? Wenn letzteres, dann muss das mit Thornhill zusammengedacht Konsequenzen haben. Das ist proto-faschistoides und proto-rassistisches Gedankengut. - Ein letztes Stocker-Zitat aus dem Einleitungstext: "Gentechnologie ist Werkzeug und Mythos zugleich, ist Instrument und Konzept." Hand aufs Herz: Wenn so etwas in einem doppelseitigen Inserat von "Novartis" stehen w�rde, geht es durch - aber was um alles ! in der Welt bedeutet das f�r eine Veranstaltung, die "by far not an attempt at affirmation of genetic engineering" h�tte werden sollen? (So Stocker in einem Mail an Timothy Druckrey und 19 andere besorgte Medienk�nstler und -kritiker, 17. 3. 2000) Alternativ-Veranstaltungen im Ghetto domestiziert Ja, Stocker hatte dies in einem Mail versprochen: Eine Politisierung und "intensification of the symposium" sowie Vortr�ge und Diskussionen anstelle von Konzertabenden. Insbesondere am Donnerstag abend h�tte es eine politische Abschluss-Veranstaltung in Zusammenarbeit mit Zeitungen geben sollen. Keine Politik am letzten Abend? Ein klein wenig aus der autonomen Szene wurde immerhin ins faktische Programm her�bergerettet: Ein Kapuzen-Mann ist aufgetreten [http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/musik/3568/1.html]. Im Kulturbetrieb mag es Usus sein, dass Dinge ganz anders stattfinden als sie dereinst geplant waren: The process is the product. Herausgekommen ist immerhin der "Free Speech Camp". Das freie ober�sterreichische Radio FRO hat ein enorm dichtes Programm zu den Themen politischer Widerstand in �sterreich, Medienfreiheit, alternative Medienarbeit, Public Access, Krieg und Medien u.v.a. zusammengestellt. Die Ars kann sich nun abputzen: Schauts, da unten, auf den Bierzeltb�nk! en, im Schatten des "Museum of the Future", da halten wir uns die Alternativen! F�rwahr, ein Ghetto, und doch das einzige Refugium im diesj�hrigen Ars-Wahnsinn. Zu t�glichen Diskussionen und Live-�bertragungen aus dem Wohnwagen gab es fantastische K�che, und nebenan war ein Zirkuszelt der gar sonderbaren Art aufgebaut: "ars in der manege". Das Team von "monochrom" rund um Johannes Grenzfurthner und Evelyn F�rlinger hat die Ars f�nf Tage lang gnadenlos verarscht. Nur, das Problem dabei war: Die Ars hat sich in diesem Jahr bereits selbst ad absurdum gef�hrt. So wurde der hochintelligente Brachial-Humor der "monochrom"-Aktivisten von seinem Referenzpunkt befreit und konnte f�r sich selbst stehen: als beinharte Kritik wissenschaftlicher Diskursivit�t und k�nstlerischer Relevanz und Prominenz an sich. Fantastisch, einem Referenten �ber "Medikomediatik" zuzuh�ren. Gro�artig, die 45-seitige (!) Biographie des fiktiven K�nstlers Georg Paul Thomann zu lesen. Hier war alles so sch�n gefakt und doch alles so akribisch mit der realen Realit�t verkoppelt. Radikal-kons! truktivistisch-non-dualistische Kunst at its best! Und wer Gl�ck hatte, der konnte im Ars-Quarter auch noch in der "Bodyspin"-Kugel von "Time's Up" k�rperliche Grenzerfahrungen machen oder in der Stadtwerkstatt beim "Social Club" bei t�glich wechselndem Programm abh�ngen. Leicht war es n�mlich nicht, in beide reinzukommen: die Bodyspin-Kugel war die ganze Woche hinweg ausgebucht, und der kleine Raum im ersten Stock der Stadtwerkstatt wie jedes Jahr eine hoffnungslos �berf�llte Sauna. Content und Kritik - zwei Fremdw�rter auf der Ars Es ist an der Zeit, es zuzugeben: Die Ars Electronica fand auch noch im Brucknerhaus und im O.K Centrum f�r Gegenwartskunst statt. Die dort gezeigten Arbeiten waren fast alle von einer unertr�glichen Belanglosigkeit. Verzweifelt habe ich nach Aufregendem, Neuem oder Kritischem Ausschau gehalten - gefunden habe ich wenig: Subversiv freilich der "GraffitiWriter" des Institute for Applied Autonomy, der bei der Prix Ars Electronica-Gala die Adresse www.t0.or.at auf den Boden gespr�ht hat (die K�nstler haben den Preis dann auch an Public Netbase, die bedrohte Wiener Netz-Plattform, weitergegeben). Ganz nett auch die Bilderkollektion "Brave New Porn" von Sergio Messina. Dass es im Netz Amazonen- oder Extrem-behaarte-Frauenbeine-Fetischisten gibt, die ihre Bildchen austauschen, haben wir gewusst. Aber Hornbrillen-, Gummihandschuh- und Tortenfetischisten, das war neu! Doch ansonsten? Den Vogel schoss sicher die diesj�hrige Pr�sentation der "U19 Cybergeneration"-Arbeiten ab: Die im Pre! ssetext versprochene "spektakul�re Ausstellungsarchitektur" entpuppte sich als unangenehm niedrige und hei�e Alu-H�hle, in deren Nischen fast ausnahmslos Computer mit Fehlermeldungen standen. Keine zwei Projekte waren bei meinem Durchgang funktionsf�hig, ein Zust�ndiger lie� sich nicht finden. Muss das denn sein? Im Ars Electronica Center derselbe Eindruck: Wo ist der Content? ,Geben Sie Buchstaben ein, der Computer errechnet daraus eine DNA und zaubert virtuelle Kreaturen auf den Bildschirm.' Geht es denn noch affirmativer? Projekte mit Content, wie etwa www.zeitgenossen.com, sind da auf verlorenem Posten. Wer will schon heutzutage noch Zitate von Medientheoretikern lesen? Die Ars Electronica steht am Scheideweg: Warum outet sie sich nicht endlich als das, was sie ist und gibt ihren alten Namen ab? Weder mit Ars noch mit Electronica hatte die diesj�hrige Veranstaltung noch viel zu tun. Dieser Nachruf auf die Ars ist also auch als Pl�doyer f�r eine Wiederauferstehung zu verstehen - entweder in R�ckbesinnung auf das, was sie einmal war, oder aber als ganz neues Ding. Unabh�ngig davon wird in Zukunft meines Erachtens ein wissenschaftlicher und k�nstlerischer Beraterstab oder Beirat unumg�nglich sein, um schwerste Entgleisungen wie Randy Thornhill [http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/8667/1.html] oder peinlichste Patzer wie "Elph" [http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/musik/3568/1.html] zu vermeiden. Am Leben h�lt sich die Ars derzeit nur noch durch den monolithischen "Reisekader", der jedes Jahr brav nach Linz pilgert und vor allem durch die mitveranstaltenden oder mit verbandelten Medien, die sowieso immer cool und trendy berichten - komme! , was wolle. <<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>> Mag. Dr. Stefan Weber Schopperstrasse 10 A-5020 Salzburg T +43.662.45 10 10 Media Theorist <<<>>> Scientific Writer Current Project: CyberPoiesis (FWF) Project: http://www.cyberpoiesis.net/ Personal: http://www.sbg.ac.at/autojour <<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>> # distributed via <nettime>: no commercial use without permission # <nettime> is a moderated mailing list for net criticism, # collaborative text filtering and cultural politics of the nets # more info: [email protected] and "info nettime-l" in the msg body # archive: http://www.nettime.org contact: [email protected]