Nils Roeller on Tue, 8 Jul 1997 20:11:35 +0200 (MET DST)


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<nettime> Interview mit Toni Negri


A german translation of an interview  with Toni Negri is following. Large of parts of it had been published by the taz. Angela Melitopoulos and Nils R�ller met Negri in his apartment on Saturday the 28th of June and spoke to him, before he left his french exile and went to the italian prison La Rebibbia.





Kehren Sie als politisch Besiegter nach Italien zur�ck ?

Die Autonomia operaia hat auf einen kontinuierlichen �bergang zwischen der traditionellen Arbeiterbewegung und den neuen Subjekten gesetzt, die sich auf Grund der Entwicklung des modernen Kapitalismus gebildet haben. Den Gewerkschaften der Fabrikarbeiter stand eine neue Klasse gegen�ber, die durch seine intellektuelle und soziale Arbeit noch keine neue Identit�t besa� und mit autonomen Organisationsstrukturen operierte. Unser Ziel war es, diesen �bergang von der klassischen Fabrikarbeit hin zur gesellschaftlichen Arbeit zu gestalten. Die Identit�t dieses neuen Subjekts, das wir den �sozialen Arbeiter" nannten, bestimmt heute unsere Gesellschaft. Das bedeutet nicht, die Abwertung der Arbeit als zentralen Faktor, der innerhalb der Gesellschaft Reichtum und Wert schafft, sondern, da� sich dieser Faktor der Machtbildung durch die heutigen Produktionsbedingungen v�llig neu gestaltet. Die Bem�hungen, diesen Proze� durch politische Aktionen zu beschleunigen, sind gescheitert, hier sind wir besiegt worden, nicht jedoch in unseren Einsch�tzungen des ver�nderten Arbeitsbegriffs.

In ihrer Presseerkl�rung haben sie darauf hingewiesen, da� sie nach Italien zur�ckkehren, um Ihre Staatsb�rgerschaft zu erm�glichen. In welchem Verh�ltnis steht Ihr Exil zur europ�ischen Einigung? 

In keinem europ�ischen Staat hat man so menschenverachtend auf die sozialen Bewegungen nach 1968 reagiert. Die politische Strategie in Frankreich und Deutschland bestand darin, die breite Masse der Bewegung zum Beispiel in der Partei der Gr�nen oder in den Projekten der Alternativen politisch zu absorbieren. Dadurch wurden die radikalen und terroristischen Gruppierungen isoliert. In Italien verfuhr und verf�hrt man immer noch anders: Die gesamte au�erparlamentarische Bewegung wurde als terroristisch bezeichnet und eine ganze Generation wurde kriminalisiert und in das innere und �u�ere Exil getrieben. Dagegen mu�ten wir uns wehren. Mit meiner R�ckkehr m�chte ich darauf aufmerksam machen, da� die neue Regierung Italiens die Chance hat, dieses Erbe der ersten Republik aufzuarbeiten und die dunkle Vergangenheit des Staatsterrorismus w�rdig und demokratisch abzuschlie�en. Die staatliche Politik der Provokation hat in den sechziger Jahren Tausende von Toten verschuldet; es wurden Banken gesprengt und Bomben in die Z�ge gelegt. Das Attentat von Bologna, bei dem �ber hundert Menschen ums Leben kamen, wurde von Geheimdiensten und von bezahlten 
rechtsradikalen Kr�ften durchgef�hrt. Sicherlich haben wir und unsere Bewegung Fehler gemacht. Keiner von uns wollte diesen B�rgerkrieg.

Fordern Sie einen neuen, gerechten Proze�?

Nein, einen neuen gerechten Proze� kann es nicht geben, die Verfahren sind abgeschlossen. Im Fall Sofri wurde gestern endg�ltig gegen eine Neuaufnahme des Prozesses entschieden. Ich m�chte die parlamentarische Diskussion um die Amnestie vorantreiben. Seit vier Legislaturperioden wartet ein Gesetzesentwurf auf seine Verabschiedung. In den meisten der damaligen Urteile wurden H�chststrafen ausgesprochen. Da� hier staatlicher Machtmi�brauch vorlag, insbesondere bei der Verwendung von Kronzeugen und �Reum�tigen", deren Aussagen oft zusammengefallen sind, darf nicht vergessen werden. Dies wird durch den franz�sischen Staat unterstrichen, der seit 1979 den Verurteilten dieser italienischen Justiz Exil gew�hrt.

F�r Ihr Denken ist Spinoza - ein Philosoph des 17. Jahrhunderts - wichtig, der von seiner eigenen Gemeinde versto�en wurde. Ist Italien immer noch ein Land, aus dem ein Spinozist fliehen mu�?

Spinozismus bedeutet f�r mich zweierlei: Erstens die Erforschung der Ursachen und nicht die, der Wirkungen und zweitens, ein Bekenntnis zum Aktivismus, der auf ethischer Grundlage neue Gemeinschaften 
konstruiert. Diese Gemeinschaften sind demokratisch, weil sie durch die Praxis einer Vielzahl von Individuen entstehen. Wie man Forschung und Aktivismus miteinander vereinbart, wu�te wohl selbst Spinoza nicht.

 Was w�re ethisches Verhalten heute in Italien, sei es als Politiker, sei es als Privatperson?  

Das kann man nicht so schnell und allgemein beantworten. Man kann allerdings beobachten, da� die Staatsb�rger heutzutage eine Macht besitzen, die gr��er ist, als je zuvor. In allen Bereichen entfaltet sich die produktive Kraft der immateriellen Arbeit. Das eigentliche Problem besteht darin, einen neuen �ffentlichen Raum zu gestalten, in dem die demokratischen und produktiven Kr�fte miteinander wirksam werden k�nnen, damit die Einzelnen die Kraft des Gemeinschaftlichen entdecken und wahrnehmen, welches Verm�gen der gemeinsamen, demokratischen Produktion innewohnt. Ich unterscheide also nicht zwischen politischen und privaten Handeln, sondern denke Individualit�t und Gemeinschaft auf demokratisch-produktiver Grundlage zusammen.

Wie l��t sich in einer elektronischen Gesellschaft politisch handeln, in der sich die einzelnen Arbeiter nicht pers�nlich kennen?

Es ist sicherlich nicht einfach, aber ich denke, da� man einfach t�tig werden mu� und es macht! Ich nehme meine politische Arbeit auch von ganz unten wieder auf, vom Gef�ngnis. Mit der R�ckkehr m�chte ich der Generation, die durch die Anti-Terror-Gesetzgebung der 70er Jahre marginalisiert wurde, einen Ansto� geben, das innere und �u�ere Exil zu verlassen und wieder im �ffentlichen und demokratischen Leben teilzunehmen. Das die Chance, sich zu reidentifizieren.

Aber das Gef�ngnis ein Ort der Nicht-Kommunikation, des Ausschlu� von der politischen Tat?
Das stimmt nicht. Man kommuniziert nicht nur mit Hilfe der elektronischen Instrumente, sondern vor allem durch die Position, die man in einer politisch-sozialen Situation einnimmt. Die Stellungnahme innerhalb des Geschehens, an dem man sich beteiligt, kommuniziert auf der Grundlage des K�rper, auch im Internet. Er ist ein Zusammenhang von Rationalit�t und Gef�hl, von Intelligenz und Emotionalit�t, und wenn es nicht gibt, ist jede Kommunikation leer, eigentlich inexistent. Das Gemeinsame geht uns in k�rperlicher Form voraus.



Nils R�ller
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