Jochen Becker on Wed, 16 Dec 1998 13:54:11 +0100 (CET)


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<nettime> Europaeische Maerkte - Who can translate this text?


Who would like to translate this text into English? 
The text will be for the publication of the Shedhalle (Zuerich), the 
report of the MoneyNations events - and will of course be posted on
nettime. thanks, Jochen (and geert)

Jochen Becker * Schenkendorfstr.7  D-10965 Berlin  tel/fax +49.(0)30.6917970
e-mail: [email protected]

EUROP�ISCHE M�RKTE
Informelle �konomie, 'Shopping Tourism' und BasarWirtschaft nach dem
Staatssozialismus

"Kann der Alien auch f�r uns ein cooler Freund sein", wie die Spex ihr
11/98-Sonderheft zum 'Loving the Alien'-Kongre� annoncierte? L��t sich
Flucht und Exil wirklich mit Kultur und Mothership-Eskapismus kontern?
Soll hier in einer Art stragegischen Weltflucht via Science Fiction eine
neue Fremdenfreundlichkeit entwickelt werden  was ja als Social Fiction
die Debatte weiterbringen k�nnte - oder gibt sich die Popdiskussion einen
migrantischen Reality-Kick? Afro-Deutsche scheinen so fern wie die
reichsdeutsche Kolonial-geschichte in Afrika. Wie ein Roland Emmerich
auf links bleibt beim Alien-Kongre� das Referenzsystem die USA, wobei
ich nicht f�r deutsche Theorie, jedoch f�r einen Blick auf lokale
Verh�ltnisse pl�diere. Denn nationale T�ne von Kraftwerk bis Mike Ink
hebeln sich noch lange nicht aus, wenn Kulturstudien entlang einer
afrodiasporischen Diskussion in den USA entwickelt oder bei Zuwanderung
allein Mexiko thematisiert werden.
Wer liebt die Fremdlinge? "MigrantInnen und Fl�chtlinge sind in Europa
unerw�nscht. Nachdem es nahezu unm�glich ist, auf legalem Wege hierher
zu fliehen, einzureisen oder einzuwandern, ist die �berschreitung der
Staatsgrenzen nur noch 'illegal' m�glich und nicht selten mit t�dlichen
Gefahren verbunden." F�r "Menschen wie vom anderen Stern", so wie sie der
Aufruf zur Kampagne 'kein mensch ist illegal' kennzeichnet, gibt es
offensichtlich keinen geeigneten popkulturell vermittelbaren
"Hipness-Faktor".

Schwei�laden Mit dem Ende des Staatssozialismus in Mittel- und Osteuropa
und dem take-over des westlichen Marktregimes hat informelle �konomie wie
auch ihre wissenschaftliche oder polizeiliche Erkundung Hochkonjunktur.
Determiniert als Schattenwirtschaft, Schwarzmarkt und undokumentiertes
Arbeitsverh�ltnis, als Schmuggel oder als Schleppertum geahndete
Fluchthilfe, bilden sich hierbei neue Handels- wie Handlungsmuster heraus.
Die 'entsozialisierte' Marktwirtschaft der postkommunistischen Staaten
befindet sich auf der Suche nach den L�cken des europ�ischen Marktes,
welcher den so Abh�ngigen eher fr�h denn nach westlichem Muster
sp�tkapitalistisch gegen�bertritt. Nun entwickelt sich im Trikont, in
Mittel/Osteuropa sowie zunehmend auch in westlichen Randzonen eine
ausgepr�gte Basar�konomie. Bei der M�nchner Veranstaltung [�ber die
grenze] zugleich Auftakt f�r die Kampagne 'kein mensch ist illegal'
berichtete ein Berliner Mitarbeiter der 'Forschungsgemeinschaft Flucht und
Migration' (FFM) von einem Warschauer 'Russenmarkt'. Hier w�rden j�hrlich
Waren und Dienstleistungen im Wert von einer Milliarde Dollar umgesetzt.
Rund um das riesige Sportstadion 'Dziesieciolecia' ('Zum Zehnten'
Jahrestag der Gr�ndung der Volksrepublik Polen) werden neben den �blichen
Waren nun auch Arbeitskr�fte aus der Ukraine, Beloru�land oder den
baltischen L�ndern gehandelt sowie in polnischen 'Sweatshops' hergestellte
Textilien verkauft. Hier schuften dann jene aus den 'Billiglohnl�ndern'
jenseits der polnischen Ostgrenze stammenden Personen mit der schwindenden
Hoffnung auf Weiterflucht. 

"Wer auf dem Landweg nach Deutschland einreist, hat nach einer
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Anspruch auf Asyl. ...
Die Richter sagten, die Drittstaatenregelung solle im Hinblick auf eine
europ�ische Regelung und als Beitrag zu einer gerechteren Lastenverteilung
verhindern, da� der Ausl�nder sich ein Asylland aussuche." (Reuter/FAZ,
3.9.97)

Trading their way to the west: Pendlerhandel, kurzfristige Jobs,
l�ngerfristige �bersiedlung und Migration immer weiter gen Westen lauteten
bislang die mittel/osteurop�ischen Etappen von Flucht und Migration.
Konnten Transitfl�chtlinge auf dem Weg nach Westeuropa noch vor kurzem
ohne gro�e Probleme im "Wartesaal" Polen Station machen, werden sie nun
von militarisierten Staatsorgane beiderseits der SchengenGrenze verfolgt.
W�hrend Mittel/Osteuropa zunehmend als BilliglohnWerkbank,
Immobilienanlage oder "Schwellenland" f�r den Absatz von Konsumg�tern
genutzt wird, werden Armutsfl�chtlinge im Zuge der Drittstaatenregelung
nun auch von polnischen Beh�rden aufgegriffen, eingesperrt und
abgeschoben. 

Der in beide Richtungen sich etablierende, grenz�berschreitende und
'wilde' Kapitalismus f�rdert klandestine Bandenbildung sowie
unternehmerische Selbsthilfegruppen. Je nach Interessenslage von Politik
und Wirtschaft werden diese als neue Unternehmerschicht und Privatisierer
bzw. "organisierte Verbrecher", Mafia, Schleuser und Schmuggler gewertet.
Hier scheint die z�hlebige Mantra informell/illegal/kriminell
vorgezeichnet: Durch Entgarantierung, Entrechtung und Strafverfolgung
bildet sich eine breit aufgef�cherte neue �konomie jenseits von
Dokumenten, Sozialabgaben und gesetzlichen Regelungen. 

In allen Nachfolgestaaten des Warschauer Pakts siedelt sich die Quote der
"Schattenwirtschaft" im hochprozentigen Bereich an, soda� hier wohl eher
von einem ganz normalen Teilsektor der �konomie gesprochen werden kann.
Dabei mu� allerdings unterschieden werden zwischen einer
�berlebensstrategie durch Kleinhandel oder 'wilder' Privatisierung der
neuen Technokraten, welche bereits bestehende politische in �konomische
Macht transformieren. An der 'grauen' Privatisierung des
renationalisierten "Volkseigentums" durch die Regierung sind insbesondere
ehemalige Staatsbedienstete und deren Privatfirmen beteiligt. Das
"planning and clanning" vollzieht sich mittels �berf�hrung staatlicher
Betriebe in Aktiengesellschaften, durch Geldw�sche oder nie mehr
zur�ckgezahlte Kredite mittels geplanter Konkurse ("KreditMillion�re").
Hierbei stehen kurzfristige Finanzakkumulation statt bleibender
Produktionssteigerungen im Vordergrund, wobei gezielt offen gehaltene
Gesetzesl�cken und nicht etwa 'der Markt' die Regeln definieren. 

Doch ist der 'Westen' hierbei �berhaupt ein geeigneter Ma�stab? Um nun
nicht das von Innenministerium und Europol politisch eingesetzte
Nepper/SchlepperVokabular zu reproduzieren, oder den Durchzug des 'wilden'
Kapitalismus zu bestaunen, scheint mir ein Blick auf diese neuen
europ�ischen M�rkte n�tig. Inwieweit meine ohne direkte Anschauung und
durch Lekt�re erworbene Kenntnisse hierbei doch wieder nur das staatlich
vermittelte 'Bild' vom Osten widergibt, vermag ich nicht zu beurteilen. 

Statistik potemkinscher Haushalte In der Ukraine betr�gt die
Inflationsrate 380%, zwei Drittel der BewohnerInnen in der Umgebung von
Odessa leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, nur 16% der
Landesbev�lkerung k�nnen von ihren regul�ren Jobs leben und das
Bruttosozialprodukt ist seit 1989 um 59% gefallen. Allerdings und hier
zeigen sich die Schw�chen von Statistiken ist gerade das
Bruttosozialprodukt einer zunehmend informalisierten �konomie schwer zu
bemessen. Nach Erkenntnissen des Deutschen Instituts f�r
Wirtschaftsforschung (DIW) liegt die ukrainische Schattenwirtschaft etwa
gleichauf mit dem offiziellen Bruttoinlandsprodukt. Seit 1989
gleichbleibender Verbrauch von Elektrizit�t oder hohe im Umlauf
befindliche Bargeldmengen lassen n�mlich den Schlu� zu, da� die H�lfte der
Wertsch�pfung an Steuer, aber auch an umverteilbaren �ffentlich Geld f�r
Kultur, Sozialversicherung oder Gesundheitsschutz vorbeilaufen. Nach
Einsch�tzungen des DIW berechnen die Beh�rden allerdings bis zu 25% des
Umsatzes f�r Lizenzen oder den Schutz vor Kontrollen wiederum vorbei an
Steuer und Sozialversicherung soda� die M�glichkeiten staatlicher
Transferleistungen f�r Arme, Arbeitslose oder Alte �u�erst begrenzt sind. 

"Der Schwarzmarkt gab sich als der wirkliche Markt zu erkennen... Die
Bed�rfnisse lagen offen zutage, die Schlange starb... Ein Volk, das
angeblich von �konomie nichts verstand, lernte den Handel im Nu... Die
Stadt war zum Basar geworden, Schlag auf Schlag folgte, was zum
funktionierenden Markt geh�rte: Banken, B�rsen, Makler, Gesch�fte,
Advokaten, Hotels, internationale Verbindungen, offene Wechselkurse, die
Embleme und die �sthetik der internationalen Warenwelt, die freie Bewegung
von Menschen. G�tern, Ideen." Karl Schl�gel auf den 60. Stadtforum
'Stadtmitte' in Berlin Das Bild vom "Ende der Stadt als staatliche
Veranstaltung und der Wiedergeburt der B�rgerstadt", wie es der Historiker
im Geiste des Kalten Kriegs entwarf, verkl�rt die Zw�nge einer aus Arbeit
und sozialer Absicherung geworfenen Bev�lkerung jenseits der alten und
neuen Eliten. Nicht "intuitive Vernunft" (Schl�gel), sondern blanke Not
durch HyperInflation, eingebrochene COMECONM�rkte der vormals
sozialistischen Wirtschaftspartner, ausbleibende Lohnzahlungen, Secessions
und Nationalkriege oder rassistische Verfolgung treibt die so aus ihrem
bisherigen Alltag Entlassenen an, alles nicht Lebensnotwendige zu
verkaufen, um die Existenz zu sichern. Die Grenzen zwischen
Armutsbev�lkerung und Armutsfl�chtlingen sowie zwischen 'Asylsuchenden'
und 'ArbeitsmigrantInnen' verwischen sich hierbei zusehens. 

Schl�gels Blick auf den Schwarzmarkt als 'Privatierung von unten' verkl�rt
die radikale Zwangsflexibilisierung der meist mehrfach Besch�ftigten ohne
Aussicht auf Urlaub, Krankenversicherung, Arbeitslosenunterst�tzung:
'working poor' nun auch hier. Zugleich naturalisiert er den westlichen
Kapitalismus, der mit Insignien von Bank bis B�rse mit einer
'Privatisierung von oben' an die Basarwirtschaft anschlie�e. Schl�gels
WendePerspektive des Kalten Kriegs nimmt weiterhin nicht zur Kenntnis, da�
sogenannte Polenm�rkte schon seit Beginn der 80er Jahre existierten und
wohl auch in Zukunft neben einer Nachahmung westeurop�ischer Muster
bestehen bleiben. Denn noch bis kurz vor Mauerfall existierte solch ein
riesiger 'Polenmarkt' auch auf dem Potsdamer Platz in Westberlin genau
dort, wo nun die DaimlerBenzInterService AG als "hochwertiger"
Dienstleister f�r Handel, Kommunikation und Immobilien ihre Zentrale
bezieht. Im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg wurde vor vier Jahren das
selbstorganisierte Handels und Dienstleistungszentrum in einem
vietnamesischen Wohnheim staatlich zerschlagen, was zu einer heftigen
Stra�enschlacht zwischen den BewohnerInnen und der Polizei f�hrte.
Inzwischen gr�ndete der Verein 'Reistrommel' eine Art Auffanggesellschaft,
welche den ehemaligen VertragsarbeiterInnen in einer alten Lagerhalle
Klein, Zwischen und Gro�handel von Textilien, Lebensmitteln und
Konsumelektronik erm�glicht. Hier werden zumeist aus Vietnam stammende
Textilprodukte an Einzelpersonen und lokale H�ndler verkauft. Weiterhin
wird hier frische Handelsware in Kleintransporter mit polnischen
Kennzeichen geladen, um die M�rkte jenseits der Grenze zu beschicken. Die
Halle sichert den von Abschiebung Bedrohten einen Job, welcher als
Voraussetzung f�r eine offizielle Duldung gilt. Nebenan bietet
'Reistrommel' Rechtsberatung und �ffentlichkeitsarbeit an. 

Shuttle Traders Waren die informellen "ComeconM�rkte" (Endre Siks) mit
zumeist auf dem R�cken antransportierten G�tern vor 1989 noch von wenigen
'Spezialisten' betrieben, sind diese seit dem Ende des Staatssozialismus
weitverbreitete Normalit�t: "Das Ph�nomen ist massiv, eines der Massen",
beschrieb der bulgarische Sozialwissenschaftler Yulian Konstantinov
anl��lich der Berliner Tagung 'Cities in Transition' die aktuelle
Gr��enordnung. Allein f�r Polen wird hierbei ein Umsatz von 5 Milliarden
Dollar gesch�tzt h�her als die meisten noch verbliebenen Industriezweige:
"Dieser Grenzhandel kann als 'big business' f�r Polen angesehen werden."
(Claire Wallace)

Beim Kongre� 'Shopping Tourism and Traveling Objects in Postwar Central
Europe' auf Einladung des Wiener 'Internationalen Forschungszentrums
Kulturwissenschaften' berichtete Julia Zhdanova von sogenannten 'Shuttle
Traders' ('chelnoki'), welche durch ihren professionalisierten
Reisetourismus per Bahn mehr als ein Sechstel des gesamten russischen
Imports bew�ltigen. Die gesch�tzten 5 bis 10 Millionen Einkaufspendler mit
monstr�sem Handgep�ck stellten nach dem Zusammenbruch des
Staatssozialismus die Versorgung mit G�tern und Nahrungsmitteln sicher.
Erst k�rzlich fielen sie auch den Statistikern auf, weshalb nun die
TransferGewinne abgesch�pft werden. Nach Einsch�tzungen von Julia Zhdanova
bilden die zumeist weiblichen Handlungsreisenden einen bedeutenden Teil
der k�nftigen russischen Mittelschicht, da sie Kapital f�r k�nftige
Investitionen ansammeln. 

Das Erreichenk�nnen westlicher Standards der 27 "Transformationsl�nder"
ist nach ethnopolitischen Konflikten, geostrategischen Verwertbarkeiten
und �konomischen Potentialen verschieden. Generell verl�uft die immer
sp�rbarer werdende Trennlinie zwischen den EU bzw.
NATOOsterweiterungsKandidaten und den verbleibenden GUSStaaten sowie
zwischen zentral und s�dosteurop�ischen L�ndern. Im schon recht fr�h
liberalisierten Ungarn bildeten sich schon vor 1989 'Kleinkapitalisten'
mit Kleinbetrieben, privaten Bauernh�fen oder auf Stra�enm�rkten heraus.
Doch durchzogen agressives Marketing, protestantische Arbeitsethik,
exzessiver Konkurrenzkampf sowie strikte KostenNutzenRechnung nach Vorbild
des westlich gepr�gten Kapitalismus die mittelosteurop�ischen Staaten erst
nach '89. Bis dahin war 'billig' auch kein Schimpfwort, sondern ein
entscheidender Kaufanreiz. 

"Warum gibt es so viel Geld, um die Privatisierung zu studieren, doch weit
weniger, um Armut in Osteuropa zu erforschen... Die westlichen
F�rderprogramme, welche die materiellen Resourcen kontrollieren, haben
einen gro�en Einflu� auf die gew�hlten Themen... Wie kann ich meine Ideen
dem Westen verkaufen?" (Csepeli/�rk�ny/Scheppele in Replika)
Mittel/osteurop�ische SozialwissenschaftlerInnen, welche die
Gesetzm��igkeiten informeller M�rkte untersuchen, sind selbst einem
grenz�berschreitenden Wissenshandels unterworfen, welcher sich zudem
�hnlichen regionalen Wertsch�tzungsmuster unterliegt. Denn nicht nur
Politik und Wirtschaft, sondern auch der hiermit verkn�pfte westliche
Wissenschaftsbetrieb entwickelte ein koloniales Interesse an
"interessanten" Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts. Westliche
Datenbanken werden dort mit dem Rohstoff Fakten aufgef�llt, deren
Veredelung also die Wertsch�pfung im Westen geschieht. Hat man als
zugereister Westwissenschaftler keine famili�ren Br�cken in das
mittel/osteuop�ische Forschungsgebiet, helfen bei den "data safaris"
lokale AssistentInnen als Dolmetscher aus: "eingeborene Soziologen wurden
Angestellte von Datenexportgesellschaften" (Gy�rgy Csepeli/Antal �rk�ny).
Ungarische WissenschaftlerInnen verdienen ca. $300 und somit
durchschnittlich ein Zehntel dessen, was ihre USKollegInnen erhalten,
geben daf�r aber 50% mehr f�r importierte Fachb�cher aus: Gleich den
Kleinh�ndlerInnen m�ssen sich auch OstwissenschaftlerInnen um Zusatzjobs
k�mmern, da ihr Forschungsgehalt nicht zum Leben reicht. Universit�ten
haben wie andere �ffentliche Einrichtungen des ehemaligen
Staatssozialismus kein Geld mehr, soda� viele WissenschaftlerInnen in die
Privatwirtschaft, und einige Privilegierte an westliche Institutionen
abwandern ("brain drain"). So galt es f�r viele mittel/osteurop�ische
WissenschaflerInnen schon bald, sich in den internationalen
Kongre�tourismus und dessen Finanzflu� einzuklinken. Mit den westlichen
F�rdergeldern werden jedoch weniger osteurop�ische Infrastruktur
(Computer, Bibliotheken, Nachwuchsf�rderung) denn westliche Institute
finanziert. Mit dem Ende der staatlichen Subventionspolitik f�r Forschung
oder Tagungen gaben westliche Institutionen mit dem Geld die Themen vor.
Im Bereich der Sozialwissenschaften haben Elitenforschung und
Marktanalysen Vorrang, welche das Interesse westlicher Produzenten und
Staaten an �stlichen M�rkten und M�chten widerspiegeln. Die Hegemonie der
englischen Sprache und des USFundings wird hierbei auf Mittel/Osteuropa
�bertragen. Neben der Weltbank mit Sitz in Washington oder der
usungarischen SorrosStiftung glichen ehemals den Kalten Krieg
untersuchende Institutionen ihre F�rderprogramm der neuen Weltordnung an:
"Geldgeber wechselten ihre Priorit�ten und �nderten �ber Nacht die Anfrage
nach Antr�gen �ber nukleare Abschreckung und Konfliktmanagement hin zu
Antr�gen �ber Demokratisierung und Privatisierung." (Kim Lane Scheppele).
Die nun 'Transition Studies' genannt Forschung, an dessen Ende wohl
"Normalit�t" herauskommen soll, verortet den "Osten" jenseits von
Modernit�t oder Weltwirtschaft. Die Finanzierungspraxis der westlichen
"Geberl�nder" erinnert an die 'Gew�hrung' von 'Entwicklungshilfe',
obgleich rhetorisch noch zwischen 2. Welt und dem Trikont geschieden wird. 

"Die Bildung von Koalitionen mithilfe von Kommunikation und Handel wird
immer notweniger; dabei werden Konsum und die elektronischen wie die
Printmedien als Schaupl�tze genutzt." 'Market' by Group Material,
Kunstverein M�nchen, 1995

Wie entkommt eine Schilderung der Zuschreibung des 'Unterentwickelten', da
informeller ReiseHandel auch Mobilit�t und Emanzipation bedeuten kann? Von
der bislang �blichen wissenschaftskolonialen Praxis in Begrifflichkeit wie
Auftragsstellung setzt sich das vom �sterreichischen Staat gef�rderte
zweij�hrige Forschungsvorhaben �ber 'Shopping Tourism' deutlich ab. Das
seitens Anne Wessely und Tibor Dessewffy von Budapest aus initiierte und
koordinierte Projekt versteht sich als per email zusammengehaltenes
RechercheNetzwerk von Kultur und Sozialwissenschaftlern aus Rum�nien,
Slowenien, Ru�land, Tschechien und Ungarn, also den zentraleurop�ischen
Nachfolgestaaten des ehemaligen �stereichUngarischen Reichs. Bei klarer
Autonomie von Seiten der mittel/osteurop�ischen WissenschaftlerInnen ist
�sterreich hierbei als Gegenfolie "Wien war das Schaufenster f�r westliche
Waren, die erste Stadt auf der anderen Seite des 'Eisernen Vorhangs'" 
einbezogen. Innerhalb des abgesteckten thematischen Rahmens entwickeln die
Beteiligten ihre jeweiligen Schwerpunkte unter kollegialer Einbeziehung
des wissenschaftlichen Nachwuchses, welcher einmal nicht nur f�r's stumpfe
Zuarbeiten oder Datensammeln gebraucht wird. 'Ethnie', 'Klasse' oder
'Differenz' sowie die sichtbaren Unterschiede zwischen arm und reich waren
und sind noch immer im vormals "klassenlosen" Mittel und Osteuropa von
anderer Bedeutung als etwa im Gro�britannien des Birmingham Center for
Contemporary Cultural Studies oder das von Bourdieu beschriebene Pariser
B�rgertum. "Wir empfinden eine Notwendigkeit, unsere eigenen kulturell
sensiblen Theorien zu entwickeln, aufmerksam f�r die Besonderheiten
unserer eigenen Zeit und unseres eigenen Ortes", formuliert die Einf�hrung
des transnationalen Forschungsprojekt �ber 'Shopping Tourism' die
kritische Distanz zu sozialwissenschaftlichen Weststandards. Das "eigene"
tr�gt hier nicht den falschen Zungenschlag nationalistischer
Besonderheiten. Vielmehr scheinen gerade die 'politics of consumption' als
nahezu weltweit anwendbarer Parameter f�r eine "Geschichte der Gegenwart"
(Wessely) bereitzustellen, um gesellschaftspolitische Umbr�che,
nationalstaatliche Erosionen sowie kulturelle Neubewertungen "auf dem Weg
nach Europa" (Mikl�s V�r�s) zu vergleichen. Das Projekt widmet sich
weniger den Eliten, sondern dem Massenph�nomen Kleinhandel, wenn etwa
russischer Sekt nach Wien, Pornohefte aus Jugoslawien oder AntiBabyPillen
Richtung Rum�nien verschoben wurden. Soziale oder kulturelle
Entwicklungen, und nicht so sehr die �konomischen Aspekte des
grenz�berschreitenden Warenverkehr vormals staatssozialistischer L�nder
stehen bei der wissenschaftlichen Erkundung im Vordergrund. In der
"klassenlosen Gesellschaft" des staatlich regulierten Konsums spielte
danach der Zugang zu westlichen oder verbotenen Produkten eine bedeutende
Rolle f�r die Distinktion: Der Besitz zumindest eines KunderaRomans
geh�rte in vielen Kreisen schlicht zum guten Ton. Differenzierung ergaben
sich �ber den kulturellen Status (Freizeitgestaltung, kulturelle
Aktivit�ten, Bildung) und weniger durch die materielle Lage (Einkommen,
berufliche Position). B�cher, Platten, Ideen, Reisem�glichkeiten und
Konsumg�ter des nichtallt�glichen Bedarfs hatten also neben ihrem
Gebrauchswert vor allem (sub)kulturelle Bedeutung: 1960 fuhr der
geschmacksbewu�te Intellektuelle aus Budapest wegen der Jazzplatten nach
Prag, lernte dort auch die Filme der Beatles kennen, und schaute sich in
Wroclaw oder Krak�w experimentelles Theater an. Nach dem Einmarsch
sowjetischer Truppen 1968 kamen die Tschechen, um in Budapest Filme zu
schauen, w�hrend die �sterreicher sich bald darauf an billigen Ferien und
Dienstleistungen (Zahnarzt, Brillen, Kuren) in den �stlichen L�ndern
erfreuten. Verbotene Literatur in polnischer �bersetzung oder die
HavelEssays als SamizdatRaubdruck organisierte man sich auf dem Warschauer
Flohmarkt. Auch aus der DDR h�rte man ja noch lange Zeit vom erstaunlichen
Kultwert geschmuggelter GenesisPlatten. W�hrend in der formalen �konomie
des Staatssozialismus ethnische oder kulturelle Besonderheiten negiert
wurden, spielten beim ShoppingTourismus erfahrene Identit�tsstiftung und
Repr�sentation nationaler Unterschiede sowie Wechselkurse und Kaufkraft
f�r die zumeist grenznah gelegenen einheimischen Minderheiten eine gro�e
Rolle: W�hrend die Ungarn noch in den 70er Jahren ihre Jeans billiger in
Jugoslawien kauften, erh�lt man nun in Budapest vier Jeans f�r den Preis
von einer im vormals jugoslawischen Slowenien. Je nach Versorgungslage
unterscheiden sich die Bedeutung der Einkaufstouren recht deutlich
voneinander: W�hrend Ungarn bevorzugt verbotene Produkte erstehen wollten
oder sich mit dem Verkauf von Produkten ihre Reisefreiheit finanzierten,
ist der grenz�berschreitende Handel und die Erkundung neuer Terrains etwa
f�r rum�nische Roma von existenzieller Notwendigkeit. Zumeist wurden
Blutkonserven, alte Lagerbest�nde, demontierte Fabrikteile oder Waren aus
der laufenden Produktion �ber die Grenze verschoben, allerdings nicht ohne
vorher die Z�llner beiderseits der Grenze mit Alkohol, Waren oder Geld zu
bestechen. Die informelle MarktWirtschaft der Kleinh�ndler organisiert
sich entlang von Familienzugeh�rigkeit, Freundschaft oder ethnischer
Bindung. Auf den mitteleurop�ischen OstWestKreuzungen im vergleichsweise
liberalen Ungarn kam es regelm��ig zu deutschdeutschen Familientreffen
ohne staatliche Aufsicht der DDROrgane, weshalb sich an diesen
Knotenpunkten wiederum informelle M�rkte ansiedelten. Fl�chtlinge aus
ExJugoslawien halten zum Teil per Internet ihre Handelskontakte mit
weitverstreuten Angeh�rigen aufrecht, w�hrend polnische Handelreisende als
Pioniere des informellen grenz�berschreitenden Warenaustauschs schon fr�h
auf eine weitgestreute Diaspora von ExilantInnen als soziales Kapital
zur�ckgriffen. Seither hat sich der polnische Warenverkehr allerdings
gewandelt: Nun reisen Kleinh�ndler aus anderen Staaten nach Polen ein, um
hier die in den zahlreichen Sweatshops speziell f�r diesen Export
hergestellten Produkte einzukaufen. Dem Herausbilden neuer Mittelschichten
steht die Meldung einer Massenflucht tschechischer Roma Richtung Kanada
gegen�ber, die so den t�glichen Verfolgungen und rassistisch motivierten
Gewalttaten im "sicheren Drittland" Tschechien entfliehen wollten. Mehr
als 70% der hier ans�ssigen Roma sind vom offiziellen Arbeitsmarkt
ausgeschlossen, und aus Mangel an Sprachausbildung werden ihre Kinder in
Sonderschulen abgeschoben. Deals oder Flucht lauten ihre Perspektiven. 

Erstmals abgedruckt in Spex 12/1997 unter dem Titel 'Festung Europa'

*	FFM 'Polen. Vor den Toren der Festung Europa' Verlag Schwarze
Risse/Rote Stra�e, 1995, vergriffen
*	FMM 'Ukraine. Die Vorverlagerung der Abschottungspolitik' Verlag
Schwarze Risse/Rote Stra�e, 1997, 12 Mark
*	kein mensch ist illegal c/o Forschungsgesellschaft Flucht und
Migration e.V., tel: +49.30.6935670, fax: +49.30.6938318,
[email protected] * [email protected] * www.contrast.org/borders/kein
*	Reistrommel e.V. 'Zweimal angekommen und doch nicht zu Hause.
Vietnamesische Vertragsarbeiter in den neuen Bundesl�ndern' 1997,
Brosch�re 4.80 Mark, tel: +49.330.54957447
*	Mikl�s Hadas/Mikl�s V�r�s (Hg) 'Colonization or Partnership?
Eastern Europe and Western Social Sciences'  Sonderheft 1996 Replika,
tel: +36.1.217.4482, fax: +36.1.217.5172, email: [email protected]
*	Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien, tel:
+43.1.5041126, fax: +43.1.5041132, [email protected]
*	Bundesinstitut f�r ostwissenschaftliche und internationale Studien
(Hg.) 'Der Osten Europas im Proze� der Differenzierung. Fortschritte und
Mi�erfolge der Transformation' Hanser Verlag, 1997, 49.80 Mark

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