[email protected] on Thu, 4 Feb 1999 01:53:40 +0100 (CET)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

<nettime> Versuch einer Theorie der Hardware


[Anyone interested in translating this?Felix]

Friedrich Kittler

Von der Implementierung des Wissens
Versuch einer Theorie der Hardware

			F|r David Hauptmann, den vom Berliner Senat
			eingesparten SysOp meines Lehrstuhls

Die Welt, in der wir seit vierzig Jahren leben, zerfdllt nicht mehr in
Steine, Pflanzen und Tiere, sondern in die unheilige Dreifaltigkeit von
Hardware, Software und Wetware. Seitdem die Computertechnologie (nach den
hdretischen Worten ihres Erfinders) sich anschickt, "die Macht zu
|bernehmen", ist Hardware kein Eisenwarengeschdft mehr, sondern eine
millionenfache Wiederholung winziger Siliziumtransistoren. Wetware dagegen
ist der Rest, der vom Menschen |brig bleibt, wenn die Hardware in ihrer
Unerbittlichkeit all seine Irrt|mer, Fehlgriffe und Ungenauigkeiten
aufdeckt. Das Milliardengeschdft namens Software schlie_lich ist das und
nur das, was an der Hardware die Wetware erreicht: eine logische
Abstraktion, die von den Zeiten und Rdumen der Maschinen prinzipiell
absieht, um sie in der Theorie, aber auch nur in ihr zu beherrschen. Das
Verhdltnis von Hardware, Wetware und Software bleibt, mit anderen Worten,
eine reine Paradoxie. Entweder herrschen die Maschinen oder die Menschen.
Da aber die zweite Mvglichkeit ebenso vertraut wie trivial ist, kdme alles
darauf an, die erste durchzuspielen. Man m|_te - wo nicht als Erbschaft
dieser Zeit, so doch als Flaschenpost - den Nachkommenden sagen kvnnen,
was die Computertechnologie der ersten von ihr betroffenen Generation
besagt hat. Dem steht jedoch entgegen, da_ Theorien alles, was sie
|berhaupt beschreiben kvnnen, von vornherein in Software verzaubern, |ber
Hardware also immer schon hinaus sind. Kein Wort einer Alltagssprache tut,
was es sagt, keine Beschreibung einer Maschine setzt sie in Lauf. Die
Implementierung, nach dem alten schottischen Doppelwortsinn also zugleich
die Gerdtwerdung und die Vollendung, verschafft zwar Pldnen oder Theorien
erst ihre Effizienz, aber um den Preis des Verstummens. In dieser Notlage
bleibt nur ein ebenso vertrauter wie trivialer Behelf. Statt jener
allgemeinen Theorie der Hardware, die nicht zu leisten ist, weicht mein
Vortrag zundchst in die Geschichte aus, um aus einer altbekannten
Hardware, ndmlich der Schrift, ein Ma_ f|r das zu beziehen, was
Computertechnik als Innovation hei_t. Er beschrdnkt sich ferner aus
Gr|nden, die mit dieser Stadt in diesem Jahr zusammenhdngen, auf eine
einzige Hardware: Es geht um die Implementierung desjenigen Wissens, das
Universitdten produzieren. Unter der Doppelbedingung von Hochtechnologie
und Finanzknappheit kann ein Wissen, da_ Wissen Hardware braucht,
womvglich nicht schaden. 

						1

Ernst Robert Curtius, der wu_te, wovon er sprach, hat Universitdten "eine
originale Schvpfung des [europdischen] Mittelalters" genannt.  Aber auch
der gro_e Medidvist lie_ unterbestimmt, auf welcher materiellen Basis
diese Schvpfung beruhte. Die Akademien der Antike als einzige
vergleichbaren Institutionen kamen mit bescheidener und zudem reichlich
vorhandener Hardware aus. Nach Nietzsches bvsem Wort hat Platon selbst in
aller griechischen "Unschuld" klargemacht, "dass es gar keine platonische
Philosophie geben w|rde, wenn es nicht so schvne J|nglinge in Athen gdbe:
deren Anblick sei es erst, was die Seele des Philosophen in einen
erotischen Taumel versetze und ihr keine Ruhe lasse, bis sie den Samen
aller hohen Dinge in ein so schvnes Erdreich hinabgesenkt habe".  Das
kulturelle Erbe einer Zeit, die freie B|rger und arbeitende Sklaven strikt
auseinanderhielt, fiel also mit der biologischen Vererbung wieder
zusammen. Die J|nglinge, die an fr|hmittelalterlichen Universitdten
studierten, waren dagegen Mvnche. Ihre Aufgabe hie_ weder Zeugung noch
Schvnheit, sondern Arbeit. Und die bestand, wenn sie denn |berhaupt in die
Niederungen eines Handwerks absinken durfte, seit den Tagen Cassiodors und
Benedikts im Abschreiben. Jeder Federstrich auf dem Pergament, selbst wenn
seine Bedeutung dem Abschreiber vvllig dunkel blieb, f|gte schon als
solcher dem Satan eine Hautwunde zu.  So kam es denn, da_ Klvster,
Kathedralschulen und Universitdten unabldssig B|cher herstellten. Im
Unterschied zu allen Akademien oder Philosophenschulen der Antike beruhten
sie auf einer materiellen Basis, die den Wissenstransfer zwischen den
Generationen in Hardware go_. Anstelle des verliebten Taumels zwischen
Philosophen und J|nglingen trat zwischen Dozenten und Studenten ein
arabischer Import: das schlichte Papier.  Die alten B|cher
vervielfdltigten sich in Skriptorien, wie jede Universitdt sie unterhielt,
unter dem Diktat eines Vorlesers zu lauter Kopien, die dann ihrerseits,
kaum da_ neue Universitdten gegr|ndet worden waren, die Gr|ndung einer
Universitdtsbibliothek erzwangen. Das neu erworbene Wissen vervielfdltigte
sich in Briefen, die von Gelehrtem zu Gelehrtem gingen und ihrerseits nach
der Gr|ndung einer Universitdtspost riefen. Lange bevor neuzeitliche
Territorial- oder gar Nationalstaaten die Universitdten verstaatlichten,
hatte das ach so dunkle Mittelalter sein Wissen wahrhaft implementiert.
Von der Erbschaft dieser Zeit, als jede Universitdt mit ihrer Bibliothek
|ber ein eigenes Speichermedium und mit ihrer Post |ber ein eigenes
\bertragungsmedium verf|gte, sind bekanntlich nur die Bibliotheken
geblieben. Womvglich war die universitas litterarum, die Gemeinschaft der
Schriftkundigen also, auf ihren Alphabetismus etwas zu stolz, um ihn wie
kl|gere Stdnde geheim zu halten. Das schnellste und grv_te
vorneuzeitlichen Postsystem ndmlich, kreuz und quer durch Europa, sollen
die Metzger unterhalten haben, die aber regelmd_ig, wann immer sie vor
Gericht erscheinen mu_ten, ihre Schreib- und Lesek|nste in strategische
Abrede stellten.  So kam es, da_ die Universitdtsposten sang- und klanglos
mit der Staatspost verschmolzen, auf die Kaiser Maximilian und seine
kvniglichen Konkurrenten ihre Fldchenstaaten begr|ndeten. Die Abschaffung
der Metzgerposten dagegen gelang denselben Kaisern und Kvnigen erst viel
spdter: Ebenso drakonischen wie wiederholten Verboten half der
Drei_igjdhrige Krieg nach. Kaum anders als die Universitdtsposten, die
wohl an der Eitelkeit von Schreibkundigen zugrunde gingen, sind auch die
universitdren Skriptorien verschwunden. Denn nicht auf die Vermehrung der
B|cher zielte Gutenbergs Erfindung beweglicher Lettern, sondern nur auf
die Verschvnerung der B|cher. Alles, was an kalligraphischem Schwei_
vordem in Handschriften und Miniaturen geflossen war, ohne Kopistenfehler
je vermeiden zu kvnnen, sollte Regelmd_igkeit, Fehlerfreiheit und
Reproduzierbarkeit erlangen. Aber gerade diese neue Schvnheit hat es
vermocht, das Wissen in Software und Hardware zu spalten. Auf die eine
Seite traten fortan Universitdten, deren ebenso langsame wie unaufhaltsame
Verstaatlichung keine B|cher mehr herstellte, sondern nurmehr Schreiber,
Leser und Beamte. Auf der anderen Seite entstand jener babylonische Turm
von B|chern, deren tausendfach gleiche Seiten alle dieselben Seitenzahlen
tragen und deren gleicherma_en unverfdlschbaren Illustrationen das, was
die Seiten beschreiben, auch noch vor Augen stellen. Auf diese
Adressierbarkeit sind, seitdem Leibniz die Ordnung der Autoren und Titel
dem schlichten ABC unterwarf, ganze Staats- oder Nationalbibliotheken (wie
hier in Berlin) gegr|ndet, wdhrend aus jenem Verbund zwischen Text und
Bild, Buchdruck und Perspektive das technische Wissen als solches
entsprang. Nicht umsonst sind Gutenbergs bewegliche Lettern die erste
assembly line der Geschichte genannt worden. Denn erst die Assemblierung
oder Montage von Zeichnung und Beschriftung, von Konstruktionsplan und
Gebrauchsanweisung hat Ingenieure mvglich gemacht, die auf den Schultern
oder vielmehr B|chern ihrer Vorgdnger weiter und weiter bauten, ohne
irgend noch auf m|ndliche \berlieferung angewiesen zu sein.  Jenseits der
Universitdten und ihres Vorlesungsbetriebs, der ja auf das Erbfolgemodell
von Meistern und Gesellen zur|ckgeht, stifteten technische Zeichnungen und
mathematische Gleichungen ein Wissen, das schlie_lich sogar vom Buchdruck
als seiner eigenen Grundlage abheben konnte. Schon die
dsthetisch-mathematischen Revolutionen, die Brunelleschis
Linearperspektive oder Bachs Wohltemperiertes Klavier trugen, beruhten auf
Me_gerdten wie Dunkelkammer oder Uhr, deren komplexen Bauplan erst
Drucksachen tradieren konnten. Da_ Vasari die Erfindung der Camera
obscura, dieser technisch implementierten Perspektive, aufs selbe Jahr wie
Gutenbergs Buchdruck setzte, ist zwar eine Fehldatierung, aber
signifikant. In technischen Medien wie Photographie oder Schallplatte sind
exakt dieselben Erkenntnisse am Werk, aber mit dem Unterschied, da_ keine
Hand und mithin kein K|nstlertum mehr zwischen Algorithmus und Maschine
vermitteln mu_. Die Perspektive entsteht im Strahlengang des Objektivs,
die Frequenzanalyse im Schneideproze_ der Nadel. Bei Analogmedien f|hrt
also anstelle von Mvnchen, Gelehrten oder K|nstlern (nach einem schvnen
Wort des Photographiepioniers Henry Fox Talbot) "die Natur" selber "den
Bleistift".  F|r diese Autarkie zahlen die Analogmedien des gro_en
neunzehnten Jahrhunderts allerdings einen Preis. So algorithmisch die
\bertragung ihrer Eingangsdaten, so chaotisch verlduft die Speicherung
ihrer Ausgangsdaten. Die riesigen Speicher, die das, was ehedem Geschichte
hie_, in Bild und Ton ablagern, ersetzen zwar Geschichte durch Echtzeit,
aber auch Adressierbarkeit durch schiere Quantitdt. Trotz aller
Filmphilologie (um einen k|hnen Neologismus der Universitdt M|nchen zu
bem|hen) kann in Zelluloid oder Vinyl niemand so bldttern wie im Buch der
Philologen. Daher hat gerade die Tat, das optische und akustische Wissen
Europas in Maschinen zu implementieren, ma_loses Unwissen bewirkt. Im
selben historischen Augenblick, als die Nationalstaaten ihren
Bevvlkerungen mit der allgemeinen Schulpflicht die demokratische
Gesetzeskenntnis schenkten, sind sie selber der langsamen Schrift
entlaufen und hochtechnische Arkana geworden. Ihre unleserliche, den
Bevvlkerungen systematisch abgewandte Macht ist von der militdrischen
Telegraphie des Ersten Weltkriegs |ber den ma_geblichen Richtfunk des
Zweiten schlie_lich in die Computernetze von heute gewandert. Vater aller
|bertragungstechnischen Innovationen aber war der Krieg. In einer
strategischen Kette von Eskalationen entstand der Telegraph, um die
Geschwindigkeit von Botenposten zu |berbieten, der Funk, um die
Verletzlichkeit von Unterseekabeln zu unterlaufen, und der Computer, um
die ebenso geheimen wie abhvrbaren Funkspr|che zu entschl|sseln. Alles
Wissen, das Macht vergibt, ist seitdem Technologie. 

						2

Moralisch aufgerechnet, mag die Erbschaft dieser Zeit mithin als reine
Katastrophe erscheinen. Wissenstechnisch |berschlagen, ist sie dagegen ein
Quantensprung. Jene strategischen Eskalationen haben dazu gef|hrt, da_
heute eine historisch unerhvrte Erbfolge herrscht. Lebewesen haben ihre
Erbinformationen weiter und weiter |bertragen, bis irgendwann in
Jahrmillionen eine Mutation sie unterbrach. Kulturen haben erworbene, also
gerade nicht vererbte Informationen dank ihrer Speichermedien weiter und
weiter |bertragen, bis irgendwann in Jahrhunderten eine technische
Innovation die Speichermedien selber revolutionierte. Computer dagegen
machen es zum wahrhaft ersten Mal mvglich, Speicherung und \bertragung in
all ihren Parametern zu optimieren. Als Erbschaft des Kalten Krieges, der
die mathematischen Probleme der Datenverarbeitung mit den
nachrichtentechnischen der Daten|bertragung koppelte, haben sie
Innovationsraten vorgelegt, die diejenigen von Naturen und Kulturen
uneinholbar |bertreffen. Nicht in Jahrmillionen und nicht in
Jahrhunderten, sondern aller achtzehn Monate - so Moores sogenanntes,
empirisch aber bislang immer nur bestdtigtes Gesetz - verdoppelt sich die
Rechenleistung von Computergenerationen. Eine Implementierung des Wissens,
die jeden Versuch ihrer Nacherzdhlung schon |berholt hat. Drei Punkte
lassen sich vielleicht dennoch hervorheben. Erstens: alle mvglichen
Mannjahre an Ingenieursarbeit reichen nicht mehr hin, neue
Computerarchitekturen zu entwerfen. Nur die Maschinen der aktuellsten
Generation sind |berhaupt noch imstande, die Hardware der ndchstkommenden
als Schaltungsplan und Transistor-Design anzuschreiben. Zweitens ist alle
Hardware, auf die solche Entw|rfe zur|ckgreifen, noch einmal in
Software-Bibliotheken gespeichert, die nicht blo_ ihre elektronischen
Daten und Grenzen, sondern schon den Herstellungsproze_ selber angeben.
Die technische Zeichnung schwebt also nicht mehr, wie einst in gedruckten
B|chern, als Abstraktion |ber einem Gerdt, dessen Mvglichkeit oder
Unmvglichkeit (wie beim Perpetuum mobile) erst der Bau erweisen mu_. Sie
fdllt mit einer Maschine, die selber technische Zeichnung in
mikroskopische Schichten von Silizium und Siliziumdioxid ist,
ununterscheidbar zusammen. Damit jedoch bringt die Hardware von heute,
drittens und schlie_lich, auch zwei bislang getrennte Wissenssysteme zur
Koinzidenz: die Medientechnik und die Bibliothek. Einerseits fungiert die
Computerhardware wie eine Bibliothek, weil all ihre Daten unter
eineindeutigen Adressen abgelagert und erreichbar sind. Andererseits
erlaubt sie |ber diesen Daten dieselben mathematischen Operationen, die
seit dem 19. Jahrhundert in technischen Analogmedien hausen, hergebrachten
Bibliotheken aber grundsdtzlich abgegangen sind. Aus dieser Kombination
folgt bei der Verwaltung von Wissen ein doppelter Effizienzgewinn: Im
selben Ma_, wie die Analogmedien eins nach dem anderen in der Universalen
Diskreten Maschine aufgehen, gerdt auch ihr vormaliges Chaos unter eine
Ordnung durchgdngiger Adressierung, die Bilder oder Kldnge erstmals
wahrhaft zu wissen erlaubt. Umgekehrt erlangt die Schrift im selben Ma_,
wie sie im Bindrcode aufgeht, die unerhvrte Macht, das, was sie besagt,
auch zu tun. Nicht umsonst hei_t, was in Alltagssprachen Satz hie_e, in
Programmiersprachen Befehl. Was technische Zeichnugnen nurmehr vor Augen
stellten, findet effektiv statt. 

						3

Aus dieser knappen Skizze, die den Komplexitdten heutiger Hardware noch
lange nicht gerecht wird, geht womvglich doch hervor, welche ungeheure
Migration dem Wissen schon widerfahren ist noch und widerfahren wird.
Michael Giesecke in seiner Studie |ber den Buchdruck der fr|hen Neuzeit
konnte den Triumphzug elektronischer Informationstechnologien als
methodisches Modell nutzen, um Gutenbergs Innovationssprung quantitativ
abschdtzbar zu machen. In der Umkehrung dagegen versagen solche Verfahren:
Kein vergangener Innovationssprung kann ein Ma_ dessen abgeben, was
aktuell geschieht. Wenn die sogenannte geistige Arbeit auf der einen Seite
und ihre Gegenstdnde auf der anderen insgesamt in Maschinen abwandern,
steht die Selbstdefinition der europdischen Neuzeit, die Denken als
Attribut der Subjektivitdt begriff, zur Disposition. Es ist hier nicht der
Ort, die Folgen dieses Ereignisses f|r eine Gesellschaft zu ervrtern, die
Maschinen und Programme aus ihrem Begriffsumfang souverdn verbannt hdlt,
also schleunigst umlernen mu_.  Weil es um implementiertes Wissen, nicht
um implementierte Strategie geht, bleiben die Folgen vordringlich, die
jene Migration f|r Universitdten als institutionalisierte Stdtten des
Wissens hat. Auf den ersten Blick spricht manches daf|r, da_ die
Universitdt zufrieden sein kann. Zundchst einmal stand das
Prinzipschaltbild der Universalen Diskreten Maschine in einer
unscheinbaren Dissertation, die Menschen und Maschinen ohne jeden
Unterschied als Papiermaschinen verbuchte. Zweitens fand auch die
Implementierung jener ebenso einfachen wie unbrauchbaren Papiermaschine,
die sie mit Rvhren und spdter mit Transistoren |berhaupt erst zum Laufen
brachte, an jenen amerikanischen Eliteuniversitdten statt, die den Zweiten
Weltkrieg als Hexenmeisterkrieg entschieden. Schon diese Geburtsumstdnde
sorgten drittens daf|r, da_ das Pentagon, um f|r den Fall eines atomaren
\berfalls ger|stet zu sein, nicht nur seine Kommandozentralen |ber mehrere
Bundesstaaten diversifizierte, sondern auch jene Elitehochschulen, aus
denen die eingesetzte Hard- und Software stammte, mit ihnen vernetzen
mu_te. Lange bevor das Internet zur Utopie von Radikaldemokraten und zum
Entz|cken von Feuilletonredaktionen aufr|ckte, war es also schon
Universitdtspost in dem genauen historischen Sinn, den die
fr|hneuzeitliche Kopplung von Staats- und Universitdtspost etwa im
Frankreich Heinrichs III. hatte.  Nur da_ eben im Internet, allen
erwdhnten Utopien zum Trotz, keine Gelehrten ihre Erkenntnisse oder
Schriftsdtze austauschen, sondern verschaltete Computer ihre Bits und
Bytes. (Um von den radikaldemokratischen Diskussionsforen gar nicht erst
zu reden.) Jedes Wissenssystem hat das ihm entsprechende
\bertragungsmedium, weshalb die elektronischen Netze erst als Emanation
der Siliziumhardware selber, als planetarische Ausweitung ausgerechnet der
schlechthin miniaturisierten Technologie zureichend begriffen sind.
Insofern hdtten Universitdten, gerade weil ihre Uspr|nge dlter, mobiler
und vernetzter als die von Territorial- oder Nationalstaaten sind, unter
hochtechnischen Bedingungen gute Chancen. Aber gerade ihre Ndhe zur
Computertechnik macht es Universitdten schwer, f|r sie ger|stet zu sein.
Ganz abgesehen von den vkonomischen Verschiebungen, die den Entwurf neuer
Hardwaregenerationen mittlerweile zum Milliardengeschdft einiger weniger
Konzerne gemacht haben, hat das etablierte akademische Wissen mit seiner
Implementierung auch theoretische Nvte. Im Schema der vier Fakultdten, das
seine vielen Reformen noch immer |berlebt, war f|r Medientechniken, wie
sie aus dem neuzeitlichen Buchstaben- und Zahlensystem buchstdblich
entsprangen, von vornherein kein Platz. Daher hat das technische Wissen
nach einem langen Weg durch kvnigliche Gesellschaften, f|rstliche
Akademien und militdrische Ingenieurschulen, die die Universitdt allesamt
umgingen, schlie_lich in technische Hochschulen gefunden, deren Prototyp
zu Zeiten der Franzvsischen Revolution nicht zufdllig Schule f|r Pulver
und Salpeter hie_. Diesen Schwefelgeruch scheuten die alten Universitdten
so sehr, da_ sie technischen Hochschulen das Promotionsrecht am liebsten
verweigert hdtten. Und erst die Lebensarbeit des gro_en Mathematikers
Felix Klein, der sein erloschenes Genie durch Organisationstalent
wettmachte, erwirkte es dem Deutschen Reich, da_ Wissenschaft und Technik,
Universitdten und Ingenieursschulen nicht vvllig getrennte Wege
einschlugen: Im Garten des Mathematischen Instituts zu Gvttingen
erstanden, als erstes physikalisches Labor deutscher
Universitdtsgeschichte, ein paar billige Schuppen, aus denen alle
Quantenmechanik und Atombomben hervorgingen. David Hilbert, Kleins
Lehrstuhlnachfolger, ist daher doppelt widerlegt worden: Seine These, da_
zwischen Mathematikern und Ingenieuren schlicht darum keine Feindschaft
herrsche, weil es zwischen ihnen keinerlei Beziehung gebe, hat der
Weltlauf erledigt, seine Hypothese, da_ alle mathematischen Probleme
entscheidbar seien, der Computerprototyp Alan Turings.  Seitdem ist alles
Wissen, auch das abstrakteste der Mathematiker, technisch implementiert.
Wenn "das 19te Jahrhundert" (nach Nietzsches bvsem Wort) ein "Sieg der
wissenschaftlichen Methode |ber die Wissenschaft" war, wird unseres das
Jahrhundert gewesen sein, das den Sieg der wissenschaftlichen Technik |ber
die Wissenschaft sah. Genauso hat es der Physiker Peter Mittelstddt schon
vor einem Jahrzehnt, allerdings nicht ohne leidenschaftliche Anfeindungen
seiner Kollegen zu erfahren, als State of the art beschrieben. Noch im 19.
Jahrhundert, so Mittelstddt, habe jeder Experimentalphysiker wie eine
fleischgewordene transzendentale Apperzeption im Wortsinn Kants
gearbeitet. Die Daten der Empfindung (um weiter mit Kant zu reden) flossen
seinen Sinnen zu, woraufhin Verstand und Urteilskraft diesen Datenflu_ zu
allgemeing|ltigen Naturgesetzen synthetisieren konnten. Experimentalphysik
heute besagt dagegen, da_ stochastische Prozesse, die weit unter jeder
Wahrnehmungsschwelle ablaufen, zundchst einmal in Sensoren ankommen, von
denen sie digitalisiert und an Hochleistungscomputer |bertragen werden.
Was schlie_lich den Physiker an seiner Mensch-Maschine-Schnittstelle
erreicht, ist kaum mehr "Natur", sondern ein "System von Informationen",
deren "Bestellung"  und mathematische Modellierung die Computertechnologie
selbst |bernommen hat. Aus alledem folgt Mittelstddts b|ndiger Schlu_, da_
transzendentale Apperzeption, auch Erkenntnis genannt, schlicht abgedankt
hat.  Bei dieser Abdankung kommt der Physik, schon weil sie als
Festkvrperphysik die Hardware von heute mvglich gemacht hat, allerdings
wohl nur eine Vorreiterrolle zu. Wenn selbst der Geist der Philosophen
nach einem gro_en Wort Hegels "nur so tief" ist, "als er in seiner
Auslegung sich auszubreiten und zu verlieren getraut", diese buchstdbliche
Auslegung ohne Speichermedien aber undenkbar wdre, sind die einst
sogenannten Geisteswissenschaften nicht minder betroffen. Schon da_ sie
die Bereitschaft zeigen, ihren alten Namen abzulegen und statt dessen als
Kulturwissenschaften zu firmieren, scheint den Verzicht auf
transzendentale Apperzeption, das ebenso hermeneutische wie rekursive
"Erkennen des Erkannten" ndmlich, einzuschlie_en. Kulturwissenschaft,
falls dieser Begriff kein Modewort sein und bleiben soll, kann ja nur
besagen, da_ die Sachverhalte, deren Integral Kulturen ausmacht und deren
Untersuchung mithin ansteht, an ihnen selber Techniken und ndherhin - mit
einem strengen Wort von Marcel Mauss - Kulturtechniken sind.  Wenn Texte,
Bilder und Kldnge nicht mehr als als Eingebungen genialer Individuen,
sondern als Output historisch spezifizierter Schreib-, Lese- und
Rechentechniken firmieren, ist schon viel gewonnen. Aber erst wenn die
Kulturwissenschaften dar|ber hinaus alles Schreiben, Lesen und Rechnen,
das die Geschichte gesehen hat, mit heutigen Algorithmen abgleichen
w|rden, hdtten sie ihre Umbenennung bewahrheitet. Erbschaft dieser Zeit
sind ja nicht nur die Archive und Datensdtze, die jede Zeit erbt, sondern
auch die, die sie an kommende Generationen weitergibt. Wenn also das
|berlieferte Wissen nicht umcodiert und mit dem Universalmedium Computer
kompatibel wird, droht ihm eine absehbare Vergessenheit. Womvglich ist
Goethe, dieses Totemtier aller deutschen Literaturwissenschaft, schon
lange nicht mehr in Weimarer Archiven zu Hause, sondern an jener
amerikanischen Universitdt, die seine Schriften am erschvpfendsten
eingescannt hat und nicht umsonst von Mormonen, also f|r die Ewigkeit der
Auferstandenen, gegr|ndet wurde. Die apokatastasis panton hat Weile, schon
weil der sizliziumbasierten Berechnung und \bertragung noch die
angemessene Speicherung abgeht. Physikalische Parameter sind bislang
au_erstande, das Ereignis der Einschreibung als solches zu
authentifizieren. Was von den Archiven und Speichern, gilt darum desto
mehr von den Wissenstechniken und Kategorien. Zu Gutenbergs Zeit gab es
frdnkische Klvster, denen die Handschrift so eingefleischt war, da_ sie
noch alle dreihundert Exemplare ihres ersten gedruckten Me_buchs nach
Kopistenfehlern durchforschten.  Zu Fichtes Zeit und Spott gab es
Professoren, deren Vorlesungen das "gesammte Buchwissen der Welt noch
einmal setzten," obwohl es doch "schon gedruckt vor jedermanns Augen" lag. 
Nicht minder anachronistisch sind heutzutage Wissenspraktiken, die bei
aller B|cherkenntnis im Computeranalphabetismus verharren und eine
Technologie, die auf jedem Schreibtisch steht, nur als bessere
Schreibmaschine mi_brauchen. Doch auch Vorlesungen in Videokonferenzen und
Seminare im Internet, wie sie derzeit erprobt werden, bringen vermutlich
zwar notwendige, aber noch keine hinreichenden Umstellungen. Erst wenn die
Kategorien, also die Algorithmen und Datenstrukturen, die in Computern
implementiert sind, zum Leitfaden auch und gerade kulturwissenschaftlicher
Forschung aufsteigen, kann ihr Verhdltnis zu harten Wissenschaften mehr
sein als die seit Odo Marquardt so beliebte Abfederung oder Kompensation
bvser Technikfolgen. Aus der Technologie selber ndmlich r|hrt die
einzigartige Chance, den Abgrund zwischen beiden Kulturen zu |berbr|cken.
Zum erstenmal seit der Ausdifferenzierung von Bibliotheken und Labors
arbeiten die Naturwissenschaften, sofern sie Technikwissenschaften
geworden sind, wieder in ein und derselben Medium wie die
Kulturwissenschaften. Bald wird das Netz der Maschinen Texte und Formeln,
Vergangenheiten und Zukunftsprojekte, Kataloge und Hardwarebibliotheken in
einheitlichem Format an einheitliche Adressen abgelegt haben. Wenn es von
daher gelingt, Kultur- und Naturwissenschaften aneinander zu artikulieren,
hat die Universitdt Zukunft. 

						4

Diese Artikulation ld_t sich vielleicht auf die Formel bringen, da_ die
Kulturwissenschaften das Berechnen nicht mehr im Namen ihrer zeitlosen
Wahrheit und die Naturwissenschaften das Gedenken nicht mehr im Namen
ihrer zeitlosen Logik oder Effizienz ausschlie_en d|rfen. Sie m|ssen
gerade umgekehrt voneinander lernen: die einen das Berechnen, die anderen
das Gedenken. Nur wenn die historisch |berlieferten Bestdnde so
formalisiert sind, da_ sie auch unter hochtechnischen Bedingungen
|berlieferbar bleiben, vergeben sie ein Archiv von Mvglichkeiten, das in
seiner Vielfalt keinen minderen Artenschutz als Pflanzen oder Tiere
beanspruchen darf. Umgekehrt geraten die technischen Implementierungen, in
denen die ehedem sogenannte Natur kristallisiert, mehr denn je in Gefahr,
mit ihrer Herkunft auch ihre Bewandtnis zu vergessen. Schon jetzt gibt es
Unmengen von Daten, die schlicht deshalb unlesbar sind, weil sich die
Computer, die sie geschrieben haben, nicht mehr zum Laufen bringen lassen.
Ohne Geddchtnis und d.h. ohne eine Geschichte, die auch und gerade
Maschinen unter Artenschutz stellt, ist die Erbschaft dieser Zeit also
nicht an die kommende weiterzugeben. Erst wenn die Naturwissenschaften
aufhvren, ihre Geschichte in Begriffen der Vorlduferschaft abzutun,
beginnt dieselbe Geschichte als Streuung von Alternativen. Da_ sich die
Stanford University eben anschickt, die halbvergessenen Privatarchive
aller Silicon Valley-Firmen zu sammeln, kvnnte sehr bald rettend wirken -
wo nicht auf Menschenleben, so doch auf Programme, von denen Menschenleben
(nicht nur im Airbus) mehr und mehr abhdngen. Die Geschichtlichkeit von
Techniken schlie_t aber nicht ein, sondern aus, an der traurigsten
Erbschaft aller sogenannten Geistesgeschichte festzuhalten. Wissen kann
ohne Urheberrechte sein. Als Goethe im Januar 1825 einer "Hohen" Deutschen
"Bundes-Versammlung" den "g|nstigen Beschlu_" sehr nahelegte, "von seinen
Geistesprodukten" "f|r sich und die Seinigen" "merkantilischen Vorteil
ziehen" zu d|rfen, starteten die Buchstaben eine Privatisierung, die
mittlerweile bis auf Formeln und Gleichungen |bergegriffen hat.
Gentechnologische und damit notwendig computergest|tzte Verfahren sind
patentiert, wdhrend der derzeit schnellste Primzahlalgorithmus - im
Gegensatz zu vier Jahrtausenden freier Mathematik - ein Betriebsgeheimnis
des Pentagon bleibt.  So wenig hat Turings Beweis, da_ alles, was Menschen
rechnen kvnnen, auch von Maschinen |bernommen werden kann, bislang in
einer Vkonomie des Wissens bewirkt, die seine \bertragung und Weitergabe
zum Schaden nicht nur der Universitdten systematisch behindert. Offenbar
sind unsere ererbten Begriffe noch lange nicht auf dem Stand heutiger
Hardware, deren Herstellungsanlagen zwar Milliarden kosten, deren
Herstellungspreise dagegen ins Bodenlose st|rzen. Von der Hardware und nur
von ihr ist daher erwarten, da_ sie den Spuk der Urheberrechte eines Tages
austreibt. Das aber ist bitter nvtig. All jene noch immer beschworenen
Mythen, die wie Urheberrecht oder Kreativitdt das Wissen als immateriellen
Akt eines Subjekts, also als Software einer Wetware definieren, verhindern
nur seine Implementierung. Mag sein, da_ sie in vergangenen Zeiten, als
die Infrastruktur des Wissens im Buchdruck lag, sogar eine Funktion gehabt
haben. Jean Pauls genialischer, aber bettelarmer Wuz jedenfalls, der keine
B|cher bezahlen konnte, konnte sich seine Bibliothek selber schreiben.
Heute wdren solche Listen zum Scheitern verurteilt. Die
Computertechnologie bietet dem Wissen keine blo_e Infrastruktur, wie sie
durch andere, wenn auch aufwendigere oder zeitraubendere Verfahren
prinzipiell ersetzbar wdre. Die Computertechnologie stellt vielmehr eine
Hardware, deren Effizienz den Begriff der Software-Kompatibilitdt selber
kassiert. Sie ist daher, im Gegensatz zu all den gdngigen Theorien, die
Technik immer nur als Prothese oder Werkzeug vorgestellt haben, eine
Unumgdnglichkeit.  Das mag Nationalstaaten und Wissenschaftssenatoren
nicht gefallen. Die zumal in Deutschland beliebte Doktrin, da_ die
kommunikative Vernunft, fr|her auch Friede Gottes genannt, hvher ist denn
alle instrumentelle, kostet schlie_lich viel weniger. Wohl deshalb treffen
die Sirenengesdnge einer Diskurstheorie, die keinerlei Begriffe von Zeit
und Archiv hat, in Kanzleien so offene Ohren. Als Stdtten kommunikativer
Vernunft hdtten Universitdten nicht den mindesten Bedarf an Hardware. Sie
kdmen schon mit jenem Garten am Nordrand von Athen aus, wo Platon einst
den Samen aller hohen Dinge ins Erdreich seiner J|nglinge senkte. Die
Kurzgeschichte europdischer Universitdten sollte dagegen gezeigt haben,
da_ Wissen nicht ohne Technologie zu haben und Technologie nicht auf
Instrumente zu reduzieren ist. Zudem macht es die Anonymitdt des Wissens,
f|r die Alan Turing in den Tod gegangen ist, immer unentscheidbarer, ob
namhafte Staaten weiterhin wie bisher |ber Wissensinstitutionen wie die
Universidten bestimmen werden. Aber eines steht fest: \ber die Erbschaft
dieser Zeit wird entscheiden, wer wann welche Hardware aufgebaut hat. 



---
#  distributed via nettime-l : no commercial use without permission
#  <nettime> is a closed moderated mailinglist for net criticism,
#  collaborative text filtering and cultural politics of the nets
#  more info: [email protected] and "info nettime-l" in the msg body
#  URL: http://www.desk.nl/~nettime/  contact: [email protected]