Klaus Schoenberger on Wed, 26 May 1999 16:08:23 +0200 (CEST)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

<nettime> Weder Nato noch Milosevic


Schw�bisches Tagblatt, 20.5. 1999

Weder Nato noch Milosevic
Auf der Suche nach einer dritten Position im Yugoslawienkrieg

T�bingen. Wie kann man den Krieg der Nato in Yugoslawien kritisieren, ohne
Partei f�r Milosevic zu ergreifen; wie die Vertreibungen im Kosovo
anprangern, ohne der Kriegslogik von Europa und den Vereinigten Staaten
das Wort zu reden? Diese Frage bewegte die Referenten und an die sechzig
Besucher am vergangenen Montag im Schlatterhaus.

In einem Punkt waren sich die Anwesenden einig: Der Angriffskrieg auf
Yugoslawien ohne UN-Mandat ist verbrecherisch und hilft den Vertriebenen
aus dem Kosovo kein bi�chen. Doch wie kann eine Position aussehen, die die
Verh�ltnisse hierzulande kritisiert und sich nicht von der Kriegslogik
vereinnahmen l��t?

Die Internet-Zeitung com.une.farce (http://www.copyriot.com/unefarce)
hatte zusamen mit dem Nicaragua-Kommittee der Evangelischen
Studentengemeinde zwei Referenten aus Sofia und M�nchen geladen; im
Anschlu� waren Statements von T�binger Initiativen und eine Diskussion
vorgesehen. Als Einstimmung wurde ein Video der Filmgruppe ak kraak �ber
die Situation der serbischen Oppositionellen gezeigt, deren Arbeit mit dem
Abwurf der ersten Bomben zerschlagen wurde. Sie hatten mit Slogans wie
"sei patriotisch, sag nein zum Krieg" versucht, eine breite �ffentlichkeit
zu erreichen. Im Anschlu� sprach der Z�rcher Journalist Alain Kessi. Er
lebt seit einiger Zeit in Sofia und engagiert sich mit Tagungen und einer
englisch-russischen Zeitschrift f�r eine Verst�ndigung von Ost und West.
Kessi zeigte die �konomischen Beweggr�nde auf, die hinter dem Krieg zu
vermuten sind, und vertrat die Position, da� die Ethnisierung der
Bev�lkerungsgruppen kein nat�rlicher Vorgang, sondern eine politisch
gewollte Strategie von Regierungen und Milit�rapparaten darstellt: "Die
Bomben schreiben eine Ethnisierung ein in die K�rper der Leute". Der
Aktivist der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" Florian Schneider
berichtete von Camps und Treffen, auf denen er die Situation von
Kulturschaffenden aus Serbien und dem Kosovo kennenlernte: Ihre Arbeit ist
durch den Krieg v�llig zerst�rt worden. Mit der Initiative "European
Cultural Exchange Programm" soll nun versucht werden, diesen Leuten
Einladungen und damit Visa zu verschaffen, damit sie ihre Arbeit
fortsetzen oder rekonstruieren k�nnen.

Im Anschlu� wurde gemeinsam eine gro�e Bandbreite von Ansatzpunkten
diskutiert. Die einen sahen eine differenzierte Argumentation als einzige
M�glichkeit, gegen den Krieg anzugehen, andere machten eine gleichg�ltige
bis hilflose Stimmung in der Bev�lkerung als Haupthindernis f�r eine
Anti-Kriegs-Einstellung aus. Eine dritte Position konzentrierte sich auf
die Bruchstellen in der offiziellen Argumentation: Wenn der Krieg mit
humanit�ren Argumenten legitimiert werde, sei es nur konsequent, so viele
Fl�chtlinge wie m�glich aus den Lagern in die beteiligten Nato-Staaten zu
bringen, sei es auf legalem oder illegalem Weg.

Eigentlich hatten die Veranstalter serbische Oppositionelle einladen
wollen. Da� das nicht klappen konnte, zeigt, so der Moderator, die
Doppelgesichtigkeit der Kriegslogik: Einerseits ruft die Nato serbische
Soldaten zur Desertion auf, andererseits erhalten Serben, die sich dem
Nationalismus Milosevics entziehen wollen, keinerlei Perspektive: Ein
Visum gibt es nur ein einziges Mal, so da� ein regelm��iger Austausch mit
solidarischen Kriegsgegnern oder gar ein sicherer Neuanfang unm�glich
wird. (ska)


---
#  distributed via nettime-l : no commercial use without permission
#  <nettime> is a closed moderated mailinglist for net criticism,
#  collaborative text filtering and cultural politics of the nets
#  more info: [email protected] and "info nettime-l" in the msg body
#  URL: http://www.desk.nl/~nettime/  contact: [email protected]