sascha brossmann on Mon, 31 Jan 2000 15:47:28 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] dot-com oekonomie


>Das internet, das muss nochmal deutlich gemacht werden, geht zurueck 
>auf staatliche foerderprogramme

das ist ziemlich euphemistisch ausgedr�ckt. das internet ist in 
seinen anf�ngen ein milit�rprojekt gewesen. daher auch seine 
dezentrale struktur (da damals die fragestellung unter anderem war, 
wie eine informationstragende und -�bermittelnde struktur am 
schwersten angreifbar sein kann, z.b. im falle eines atomaren 
angriffs).

>und ist ein genuines produkt der scientific community ...

wenn du den milit�risch-industriellen komplex als "scientific 
community" bezeichnen m�chtest, bittesch�n (was im �brigen ein paar 
gerne vergessene zusammenh�nge aufzeigt). dass das internet sp�ter 
�ber den milit�rischen rahmen hinaus eine nutzung erfuhr und auch 
ausserhalb von milit�rinteressen weiterentwickelt wurde ist eine 
andere sache. als "genuines produkt" w�rde ich es deswegen aber nicht 
gerade bezeichnen.

>das gilt uebrigens auch fuer mp3, ein produkt der fraunhofer gesellschaft.

genau. mp3 ist ja ebenfalls nicht frei: f�r mp3-codierer sind n�mlich 
lizenzgeb�hren an die fraunhofergesellschaft zu zahlen. auch die 
inhalte, die mittels mp3 transportiert werden, sind alles andere als 
"frei", da ergebnis eines - wie auch immer gearteten - 
produktionsprozesses der mit einer ziemlich unfreien �konomie 
verbunden ist. genauso wie alle anderen inhalte im netz auch.

>muss man daran erinnern dass wir dieses jahrhundert bereits schon 
>einmal globalisierung, die einfuehrung neuer medien und 
>grosstechnologien, boersenhausse, crash und darauffolgende 
>depression hatten.

(ja, man muss.) was aber auch beweist, dass das f�nomen massiver 
spekulativer �berbewertung von b�rsennotierten unternehmen mit den 
genannten folgen keine erfindung oder konsequenz des digitalen 
zeitalters ist, sondern ein systemimmanentes problem/risiko. wenn ich 
das �ndern will, hilft es demzufolge aber nicht, das internet von 
seiner kommerziellen nutzung zu "befreien", sondern ein alternatives, 
nicht-kapitalistisches gesellschaftssystem zu installieren. go figure.

>die idee von e-commerce fusst ja darauf die produktivitaet von 
>kommunikationsverhaeltnissen die bisher "geldfrei" verliefen, 
>produktiv zu machen. das ist die idee des net.gain, communities als 
>wertschoepfungs.modell zu betrachten.

geldfrei??? ich zitiere aus der unten gelinkten message:

"Traceroute me. See what infrastructure this (...) rests upon: 
miltitary backbones, telcos, various ISPs, universities, etc, etc. My 
message may seem like a gift to you, but there are centuries of 
combined labour objectified in the internet and its objective 
existence, and it generates value in the vulgar form of money for IS 
providers and other institutional, profiteering monoliths who make 
money for every pair of eyeballs that is counted on a page, whether 
it's gift-like or patently commercial. This message creates value in 
general (money), but not for me, and not for you. (...)"

ansonsten besteht in dem von dir wahrgenommenen f�nomen auch kein 
unterschied zum kapitalismus ausserhalb des netzes, das liegt in 
seinem wesen.

die idee, menschliche gemeinschaften als wertsch�pfungsmodell zu 
betrachten, ist im �brigen ein alter hut und keine erfindung des 
netzzeitalters. sp�testens seit ende der 80er/anfang der 90er jahre 
sollte das auch der "untergrundkultur" bekannt sein.

>Dazu passt auch die vorstellung radikal-liberaler familien fuer die 
>erziehung ihrer kinder rueckverguetungen zukommen zu lassen,

klingt erstmal wie das altbekannte kindergeld. "radikal-liberal" 
bringe ich damit nicht in zusammenhang, schon eher 
"sozialdemokratisch".

ansonsten ist mir noch die idee, die kindererziehung mit r�cksicht 
auf die rentenberechnung zu "entlohnen" bekannt. und diese 
vorstellung hat ihre wurzeln swiw in der im vergleich zu m�nnern 
schlechteren lage von rentenempf�ngerinnen, da erstere nach wie vor 
im volkswirtschaftlichen sinn "produktiver" sind. klingt auch nicht 
besonders "radikal-liberal".

>alles was ich versuche zu sagen ist, dass wenn es zu der 
>spekulativen wertschoepfung kommt, d.h. alle produktivitaet 
>abgeschoepft ist, das netz nicht mehr frei sein wird.

ich versuche zu sagen, dass das netz schon jetzt nicht "frei" ist, 
und dass es (nicht nur) aufgrund seiner zugangsvorausssetzungen 
niemals "frei" war. du kannst ein medium nicht einfach von seinem 
interface und seiner infrastruktur trennen, und an diesen punkten ist 
schlicht und einfach schluss mit der "freiheit".

die freiheit h�rt im �brigen nicht erst mit der spekulativen 
wertsch�pfung auf, sondern schon mit der absch�pfung von 
produktivit�t, sprich: der verwandlung von eben dieser in soziales, 
kulturelles und �konomisches kapital.

ausserdem:

"You are fallaciously taking a moment of the social production 
process and historically, socially, and economically 
decontextualising it. What you call the "gift economy"
(ersetze durch "frei"/"freiheit", s.b.) is merely a transitional 
moment of capital that gives the semblance of "free"ness, like when 
one person shouts another a drink. (...)" (sh. ebenfalls der link 
unten)


>der grad seiner freiheit wird daran zu messen sein wieviele inhalte 
>in ansaezten nicht-kommerziellen zwecken dienen oder andere 
>interessante mischformen sich bilden (www.brittanica.com).

nein. der grad seiner freiheit wird daran zu messen sein, wie frei 
die gesellschaft im ganzen (gerade auch ausserhalb des netzes) ist.

dar�ber hinaus gibt es nicht-kommerzielle projekte �berall in 
kapitalistischen gesellschaften, nicht nur im netz. mit freiheit hat 
das leider herzlich wenig zu tun.

>freie rede ist unter einzig oekonomischen gesichtspunkten schwer 
>moeglich. oder was glaubst du wie sich z.b. telepolis finanziert?

unter anderm von letzterem rede ich doch die ganze zeit! nichts im 
netz existiert im luftleeren raum, aber haufenweise wird in aller 
m.e. h�chstgef�hrlichen naivit�t so getan, als ob das der fall w�re.

abgesehen davon: freie rede ist im �brigen sehr wohl unter 
�konomischen gesichtspunkten m�glich, wenn ich faktoren wie sozialen 
status et al ber�cksichtige (sprich symbolisches und kulturelles 
kapital). mal ganz abgesehen davon, dass mediatisierte freie rede 
(gerade auch internet) ein hochgradiges privileg ist, da ich daf�r 
neben dem notwendigen know-how einige soziale und �konomische 
voraussetzungen erf�llen muss, die auf den grossteil der mitglieder 
unserer gesellschaft nicht zutreffen, und auf die mitglieder der 
kapitalistischen periferie sowieso nicht.

>zentral fuer die neue digitale oekonomie ist eine verschaerfung der 
>regelungen von "intellektuellem eigentum".

nein. zentral ist eine ausweitung der verwertungsprozesse. das ist 
aber nicht ein merkmal der _digitalen_ �konomie (die es IMHO auch gar 
nicht gibt), sondern ein merkmal unserer zeitgen�ssischen �konomie 
�berhaupt (sh. u.a. biotechnologie), sprich des (neuzeitlichen) 
kapitalismus, der alles verwertet, was verwertet werden kann.

andere frage: wie finanzieren sich eigentlich die (verglichen mit aus 
der �konomischen ordnung herausgefallenen) hochprivilegierten 
mitglieder der "scientific community"? wie finanzieren sich die 
"freien" projekte?

genau an dieser stelle besteht n�mlich das gar nicht so kleine 
problem, dass ich diese "freiheit" entweder als privilegierten-hobby 
betreibe, oder stehe vor dem paradoxon, dass ich mich - wenn ich 
meine sache ernst nehme - mit meiner der grundidee nach 
nicht-kommerziellen arbeit _finanzieren muss_, was derzeit fast nur 
�ber die konstruktion "intellektuelles eigentum" m�glich ist.
oder - und das betrifft sowohl mich, als auch viele meiner bekannten 
und freunde - ich bin aus ganz realweltlichen gr�nden gezwungen, 
einen kompromiss einzugehen, der durchaus kr�ftig bauchschmerzen 
bereiten kann.


herzlichst

sascha


p.s.: zum thema "frei", "freiheit", "geschenk"�konomie etc. sh. auch 
http://www.nettime.org/nettime.w3archive/200001/msg00063.html

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er denkt nach // welche dinge stiehlt er aus der welt, welche 
gegenst�nde ver�ndert er in seinen tropfen hinein, mit welchem 
plunder balsamiert er seine wahrnehmung? - oswald wiener 

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