florian schneider on Fri, 28 Apr 2000 22:05:43 +0200 (CEST)


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[rohrpost] deportation class


http://www.deportation-alliance.com/lh

heute in der sueddeutschen zeitung:

Abschiebung von Fl�chtlingen mit Linienfl�gen 
Reisen in der �Deportation Class� 
Die Lufthansa will keine abgelehnten Asylbewerber mehr mitnehmen � die
Gewaltszenen im Flugzeug schaden ihrem Image 

Von Martin Zips 

Frankfurt, 27. April � �Buchen Sie Lufthansa Deportation Class�, steht
auf dem Flugblatt. �Hier bieten wir Ihnen bis zu 30 Prozent
Preisnachlass auf alle Fl�ge, weil ein abgetrennter Bereich der
Maschinen f�r R�ckf�hrungen von abgewiesenen Asylbewerbern reserviert
ist.� Versprochen werden �Wartelistenpriorit�t� und eine �erh�hte
Freigep�ckmenge�, �Business-Class�-Service und �multimediale
Events�. Wer die angegebene Info-Hotline anw�hlt, landet tats�chlich bei
der Deutschen Lufthansa. Das sei wohl ein schlechter Scherz,
sagt die junge Frau in der Reservierungszentrale, wahrscheinlich eine
Erfindung �von irgendwelchen Spinnern�. Nat�rlich gibt es keine
�Deportation Class�. Das Flugblatt stammt von einem anonymen Absender,
gegen den die Lufthansa Anzeige erstattet hat. Aber es taucht
immer wieder auf. In Reiseb�ros, an Abflugschaltern. 

Auch knapp ein Jahr nach dem gewaltsamen Erstickungstod des
sudanesischen Fl�chtlings Aamir Ageeb auf dem Linienflug LH 558 von
Frankfurt nach Khartum plagt die Lufthansa ein Imageproblem. Die
Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Ageebs drei
BGS-Begleiter sind noch nicht abgeschlossen. Zahlreiche Zeugen des
Zwischenfalls m�ssen noch im Ausland vernommen werden. 

Unterdessen organisieren Abschiebungsgegner via Internet Protestaktionen
gegen die Fluggesellschaft, die �ihre Flugverbindungen in die
ganze Welt f�r Abschiebungen zur Verf�gung stellt und sich so zum
willf�hrigen Handlanger der brutalen Abschiebepraxis macht�. So
steht es auf der Homepage von �Kein Mensch ist illegal�. Das Netzwerk,
in dem mehr als 120 Initiativen zusammengeschlossen sind,
organisiert deutschlandweit den Protest. Zum Todestag von Ageeb am 28.
Mai sind Aktionen auf mehreren deutschen Flugh�fen und vor
Reiseb�ros geplant. Am 15. Juni soll die Aktion�rsversammlung der
Lufthansa in Berlin gest�rt, Anfang Juli der Flughafen
Berlin-Sch�nefeld blockiert werden. 

Anschlag auf den Lufthansa-Chef 

In Sachen �Deportation-Class�-Flugblatt h�lt man sich bei den Aktivisten
jedoch zur�ck. Es gibt kein Lob, aber auch keine eindeutige
Distanzierung. �Sie wissen, dass es da eine Strafanzeige gibt�, sagt
Netzwerk-Sprecher Martin Rapp vorsichtig. Bereits mehrfach habe
auch militante Abschiebungs-Gegner zugeschlagen. Mitte M�rz bewarfen
Unbekannte das Privathaus des
Lufthansa-Vorstandsvorsitzenden J�rgen Weber mit Farbbeuteln. Kurz
vorher war ein Brandanschlag auf das Auto einer Hamburger
Amts�rztin ver�bt worden, die Abschiebeh�ftlinge f�r reisetauglich
erkl�rt hatte. 

Am 13. M�rz beobachtete der Leipziger Politologe Klaus-Gerd Giesen auf
dem Flug LH 4115 von Paris nach Berlin, wie zwei
franz�sische Polizisten einen afrikanischen Fl�chtling schlugen, der
sich gegen seine Abschiebung wehrte. Trotz des Protestes einiger
Passagiere habe die Crew der im Auftrag von Lufthansa fliegenden Air
Littoral nicht reagiert. �Erst als ich dem Kapit�n mit juristischen
Konsequenzen drohte, wurde der Flug annulliert�, schreibt Giesen in
einem Rundbrief. 

Mehr als 32 000 Fl�chtlinge wurden 1999 im Flugzeug aus Deutschland
abgeschoben, rund die H�lfte mit einer Lufthansa-Maschine. Das
exzellente Mittel- und Langstreckennetz wird offenbar auch von den
Ausl�nderbeh�rden gesch�tzt. Den Mitarbeitern der Kranich-Linie
fehle das Bewusstsein, �Exekutivorgan einer inhumanen Abschiebepolitik
zu sein�, kritisiert �Pro-Asyl�-Sprecher Heiko Kauffmann. Auch
die Menschenw�rde des Fl�chtlings m�sse f�r das Personal eine Rolle
spielen. Bei der Lufthansa wiederum erkl�rt man, Ereignisse wie
auf dem Flug von Paris nach Berlin seien �leidvolle Ausnahmen, gegen die
wir bei den Verantwortlichen sofort protestieren.� 

Um das �Risiko einer unzumutbaren Belastung f�r Passagiere und Crews
auszuschlie�en� sei der Transport im vergangenen Jahr in 235
F�llen verweigert worden, sagt Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty.
Intern habe man sich darauf verst�ndigt, keine Abschiebungen
mehr gegen den Widerstand der Betroffenen vorzunehmen. Die M�nchner
Ausl�nderrechtsexpertin Gisela Seidler nennt das einen
�PR-Bluff�. Entsprechende Anweisungen existierten nur als
Presseerkl�rung, das Personal habe sie nie erhalten. 

Auch Bernd Bockstahler von der Pilotenvereinigung �Cockpit� spricht von
einer �schwierigen rechtlichen Situation� f�r die Piloten.
�Wenn ein Fl�chtling das Flugzeug verlassen muss, dann kommt der schon
bald mit zwei neuen BGS-Beamten wieder�, sagt er. Lediglich
bei gravierenden Sicherheitsbedenken habe der Kapit�n das Recht, die
Bef�rderung abzulehnen. In der Regel aber m�sse er davon
ausgehen, dass die R�ckf�hrung �rechtm��ig� sei. Wer ethische Bedenken
�u�ere, dem drohten �arbeitsrechtliche Sanktionen�. 

Charter statt Linie 

Auch die Lufthansa pl�diert f�r einen Verzicht auf Abschiebungen mit
Linienfl�gen. Sinnvoller sei es, mehr Flugzeuge f�r die �R�ckf�hrung
der Sch�blinge� zu chartern. Doch das kann teuer werden: Weil ein
Gericht die Abschiebung eines Fl�chtlings aus Bayern in letzter
Sekunde verhinderte, musste eine vom Freistaat angemietete Maschine am
Boden bleiben. Die Kosten: 50 000 Mark. 

Doch bislang gehen die �Abschiebungen auf Linie� weiter. Wie sehr die
Proteste dagegen dem Image der Lufthansa schaden, zeigt
folgende Geschichte: Weil Charlotte Knobloch, Vorsitzende der J�dischen
Gemeinde in M�nchen, die b�se Ironie des
�Deportation-Class�-Flugblattes nicht erkannte, schrieb sie der
Fluggesellschaft einen geharnischten Brief. Diese musste umgehend eine
Pressekonferenz einberufen und klarstellen: Eine �Deportation Class�
gibt es nicht. 


Bildunterschrift:

Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern auf dem Frankfurter Flughafen
� mehr als 16 000 von ihnen flogen 1999 mit der Lufthansa. Foto:AP/SZ

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