Tilman Baumgaertel on Mon, 22 May 2000 09:50:08 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Software-Kunst II |
V. Interfaces So untergr�ndig und f�r die meisten Computerbenutzer wohl auch schwer nachzuvollziehbar "SoftSub" seine Runden durch die Informationen auf der Festplatte zieht, so unzweideutig und "in your face" ist das Programm "OSS" von dem K�nstlerduo Jodi. Die Arbeit besteht aus sieben kleinen Programmen, die von r�tselhaften schwarzen Icons repr�sentiert werden und kryptische Namen wie "%20" oder "#Reset" tragen. Wer auf eins der Symbole klickt, denkt danach wahrscheinlich, der Computer sei kaputt: wei�es Rauschen rieselt �ber den Bildschirm, nur gelegentlich taucht ein Zeichen auf, das entfernt an die bekannten Computer-Symbole erinnert. Wahlweise kann man seinen Windows-Rechner auch in einen verhaltensgest�rten Macintosh-Computer verwandeln, der bei jedem Mouse-Klick kurze Silben von sich gibt oder den Desktop mit sinnlosen "Windows" und "Pop-Up-Men�s" f�llt. Das als CD-Rom mit der holl�ndischen Design-Zeitschrift "Mediamatic" vertriebene Werk macht sich selbstst�ndig, sobald die CD in das Laufwerk des Computers eingeschoben worden ist: pl�tzlich ruckelt der Bildschirm auf und ab wie bei einem kaputten Fernseher; Fenster �ffnen sich ohne nachvollziehbares System genauso wie der Bildschirmhintergrund von Zeit zu Zeit �ndert, ohne dass man sagen k�nnte, wieso. Jodi machen aus dem Computer wieder das unbekannte Wesen, dass er eigentlich immer war. Wer jemals geglaubt hat, dass er seinen Rechner unter Kontrolle hat und mit Mouse-Clicks bedient, wird hier eines besseres belehrt hat. Jodis "OSS" (ein Anagramm von "SOS", Save our Souls) demonstriert, dass es nicht die User sind, die den Computer benutzten, sondern umgekehrt der Computer seine Benutzer benutzt und dressiert. Wie der ber�hmte Science-Fiction-Computer "HAL" aus Stanley Kubricks Film "2001 - A Space Odyssee" entwickelt der mit Daten von Jodi infizierte PC ein b�swilliges Eigenleben, und wirkt auf den befremdeten Nutzern pl�tzlich, als sei er ein Wesen mit einem eigenen und sehr unguten Willen. Jodi sind durch ihre Arbeit im WorldWideWeb bekannt geworden, bei der sie ebenfalls die technischen Parameter ihres Materials, des Internets, ausloteten. "Wir zeigen Screens, und Sachen, die auf diesen Screens passieren", sagt das K�nstlerpaar �ber seine Arbeit. Auch in ihren Internetarbeiten benutzten sie als Material f�r ihre ber�hmt-ber�chtigte Chaos-Site ausschlie�lich Icons und andere digitale Grafik aus dem Internet. Jodi reflektieren das Internet mit seinen eigenen Mitteln, was ihnen auch den Vorwurf der Selbst-Referentialit�t eingebracht hat. Tats�chlich schlagen Jodi - bei "OSS" genauso wie bei den Arbeiten auf ihrer Website - den Computer und das Netz mit seinen eigenen Waffen. Der Computer, eine Maschine, mit der Informationen verarbeitet werden sollen, und das Internet, dass eigentlich dazu entwickelt wurde, um mit dem Computer generierte Informationen zu verbreiten, werden von ihnen zu sinnlosen Datenakkumulationen, die auf dem Computermonitor vor sich hin flackern, degradiert. Die digitalen Maschinen, die eigentlich der Inbegriff kalter Rationalit�t und Produktivit�t sind, werden von ihnen zu nutzlosen, irrationalen Kisten gemacht. John Cage hat sich einen Computer gew�nscht, der einem nicht dabei hilft, bei der Erledigung der eigenen Aufgaben Zeit zu sparen, sondern im Gegenteil daf�r sorgt, dass diese Aufgaben noch mehr Zeit beansprucht. Jodi haben ihm gewisserma�en posthum diesen Wunsch erf�llt: sie machen aus dem Rechner eine Maschine zur sinnlosen, unproduktiven Zeitverschwendung. Daher ist es wahrscheinlich auch kein Wunder, dass sie ihre Aufmerksamkeit in der letzten Zeit verst�rkt Computer-Spielen zugewandt haben. VII. Games Das Computergame "Wolfenstein" steht in Deutschland auf dem Index, weil die deutschen Soldaten, die in dem Spiel die Gegner sind, mit detailgenau gezeigten Nazi-Ornat, also "verfassungsfeindliche Symbole", gezeigt werden . Auch die Tatsache, dass es in dem Spiel darum geht, Nazis umzubringen, hat es ihm nicht erspart, hierzulande als Verharmlosung des Faschismus betrachtet zu werden. Jodis Version des Spiels d�rfte derartige Kritik wohl kaum treffen: sie haben aus dem Game alles entfernt, was gegenst�ndlich ist. Das Spiel, das gerade wegen seiner ausf�hrlichen und detailfreudigen Darstellung von Mord und Totschlag beliebt war, ist nun zur einer mysteri�sen Schwarzwei�-Landschaft geworden, bei dem man nur selten erkennen kann, was einen da gerade jagt oder den Weg versperrt: das Schloss mit den verschlungenen G�ngen, durch die man den Weg zum Ausgang finden muss, sieht aus wie eine Galerie in der nur Kopien von Malewitschs "Schwarzem Quadrat" an der Wand h�ngen; die Nazis sind zu schwarze Dreiecke geworden, die man nur noch daran erkennt, dass sie gelegentlich "Achtung!" schreien. Auch einer Version des First-Person-Shooters-Spiels "Doom" haben sie jedes Leben ausgetrieben: bei "CTRL-SPACE" man�vriert sich der Nutzer durch ein flackerndes Schwarzwei�-Interieur ohne erkennbare Ausstattung: "Es sieht aus wie ein Op-Art-Gem�lde, in das man hineinsteigen kann", findet Dirk Paesmans von Jodi . Auf jeden Fall haben Jodi hier alles entfernt, was den speziellen Reiz des Spiels ausmacht: aus den genau gerenderten Spielorten und lebensechten Gegnern, bei denen das Blut in hoher Aufl�sung spritzt, wenn man sie trifft, ist ein tr�bes Niemandsland geworden, in dem es bisher auch noch keine Mitspieler gibt, obwohl "CTRL-SPACE" wie das Original-Spiel kann auch von mehreren Spielern in einem Netzwerk oder �ber das Internet gespielt werden - blo�, dass es bei dieser Version von "Doom" eigentlich nichts mehr zu spielen gibt, und aus einem Game, das seine Spieler normalerweise die Haare zu Berge stehen l�sst, eine tr�be Angelegenheit geworden ist. Computerspiele sind im vergangenen Jahr von verschiedener Seite aus zum Thema gemacht worden. Das amerikanische Internet-Magazin "Switch" widmeten dem Thema eine ganze Sondernummer , und auch eine Reihe von Ausstellungen besch�ftigten sich mit dem Computerspielen, die schon lange zu einem Massenph�nomen geworden sind und eine riesige Fan-Subkultur hervorgebracht haben. W�hrend bei der Ausstellung "Game Over" in Z�rich Computerspiele als kulturelles Ph�nomen im Mittelpunkt standen, zeigte "Synworld" bei der t0 Public Netbase in Wien und "Re-Load" beim Berliner Kunstverein "Shift e.V." Computergames von K�nstlern, die zum Teil eigens f�r die Ausstellungen entstanden. So wie sich die K�nstler-Games von den Originalen unterscheiden, so unterschied sich auch ihre "museale" Pr�sentation von den meisten Ausstellungen mit zeitgen�ssischer Kunst: bei "Shift" blieb die Ausstellung einmal in der Woche bis sp�t in die Nacht offen, um die Besucher zu stundenlangen "Deathmatches" �ber das interne Netzwerk einzuladen. Dass inzwischen eine ganze Reihe von K�nstler eigene Versionen von bekannten Spielen entwickeln konnten, liegt nicht zuletzt daran, dass viele der bekanntesten Spiel eigene "Editoren" besitzen. Mit diesen Programmen k�nnen Fans eigene "Levels", also selbstgestaltete Ebenen f�r Games wie "Unreal", "Doom" oder "Quake", schaffen k�nnen. W�hrend sich die meisten der sogenannten "Gamespatches" bem�hen, den Realismus der Vorbilder zu imitieren, versuchen die K�nstlerversionen freilich, sich von ihren Vorlagen so weit wie m�glich zu entfernen und ihnen ihren "Naturalismus" auszutreiben. Das Wiener K�nstlerpaar Max Moswitzer und Margarete Jahrmann haben eine Version des Spiels "Unreal" entwickelt, das vor einem komplett abstrakten Hintergrund stattfindet: "Linx3d" setzt sich aus dreidimensionalen Logfiles und anderem Zahlensalat zusammen, durch das sich der User man�vrieren muss. Die Arbeiten, die beim "Shift e.V." in Berlin zu sehen war, dekonstruierten und verfremdeten s�mtlich das Ballerspiel "Quake": in der Version von Christine Meierhof sieht das Spiel aus, als best�nde aus zarten Kohlezeichnungen; das K�nstlerduo "noroomgallery" (Florian Muser und Imre Osswald) verlegten den Ort das Gemetzels in die Hamburger Galerie f�r Gegenwart, wo die "Quake"-Monster zwischen �lgem�lden und Installationen aufeinander einschlagen und -schie�en: "Dort, wo sonst schlimmstenfalls die Wortsalven des Museumsp�dagogischen Dienstes den Besucher am kontemplativen Kunstgenuss hindern, machen es ihm die Geschosse von heranst�rmenden Playern herzlich schwer bis in die 3. Etage zu den deutschen Malern vorzudringen", hei�t es sardonisch in der Ank�ndigung des Spiels auf der Website. Bei alle diese "Gamespatches" geht es letztlich um die kulturelle Aneignung von einem Computerph�nomen, das immer weitere soziale Kreise zieht. Die Kuratorin Annemarie Schleiner schreibt in einem Essay in "Switch": "The parasitic game patch is a means to infiltrate gaming culture and to contribute to the formation of new configurations of game characters, game space and gameplay. Like the sampling rap MC, game hacker artists operate as culture hackers who manipulate existing techno-semiotic structures towards different ends." Die Computerspiele von K�nstlern sind daher vor allem eine Methode, um ins Innerste eines kulturellen Systems vorzudringen, und dieses gegen seine Intention und gegen die ihm eingeschriebene Nutzungslogik zu wenden. VIII. Browser Eine andere Art vom zielgerichteten Missbrauch existierender Technologie sind die zahlreichen Browser von K�nstlern, die in den letzten beiden Jahren in so gro�er Zahl entstanden sind, dass man - wie bei den "Gamespatches" - fast schon von einem eigenen Subgenre der gegenw�rtigen Computerkunst sprechen kann. Das bekannteste derartige Projekt ist zweifelsohne der "Web Stalker", der Londoner K�nstlergruppe I/O/D , der im Mai 2000 den "WebbyAward", eine Art Internet-Oscar, in der Kategorie "Internetkunst" gewonnen hat. Mit dem Programm kann man durch das Internet "surfen", wie mit dem "Netscape Navigator" oder dem "Microsoft Explorer", doch im Gegensatz zu diesen kommerziellen Programmen zeigt der "Web Stalker" genau das, was "normale" Browser gerade zu verbergen versuchen. Statt sch�n gestalteter Websites, sieht man mit dem "Web Stalker", was unter dieser Oberfl�che liegt: den Code, in dem die Seiten geschrieben wurden und die Struktur der Websites, die in komplexen Diagrammen auf dem Bildschirm erscheinen. Matthew Fuller von I/O/D hat das Programm mit Gordon Matta-Clarks Dekonstruktion von leerstehenden H�usern in den 70er Jahren verglichen. Mich erinnert "Web Stalker" eher an die gelochte Postkarte von Yoko Ono, die bis vor einigen Jahren unter dem Titel "A hole to see the sky through" in der Edition Staeck erh�ltlich war. So wie Onos Karte zu einem neuen, frischen Blick auf dem Himmel, den man t�glich sieht, ohne ihn wahrzunehmen, einl�dt, so erlaubt auch der "Web Stalker" eine Perspektive auf das WorldWideWeb, der sich von den Oberfl�chenph�nomen frei macht und ihn als das erscheinen l�sst, was es ist: eine Ansammlung von digitalen Daten auf Servercomputern, die durchaus ihre eigene, wenn auch nur selten gesehene Sch�nheit haben. Doch f�r I/O/D ist der "Web Stalker" nicht nur ein Werkzeug, das einen "formalistischeres" Umgang mit dem Computer m�glich macht, sondern auch ein sozio-politisches Statement: "If we are locked in with the military and with Disney, they are locked in not just with ur, but with every other stray will to power... We believe that the computer, like everything else, is composed in conflict. Somewhere between the construction of the data-mines and the desire for the abolition of work which is embedded in the machines is where we are now - but these are not the only possibilities. Geometry is not just the discipline of quantification, but also the art of tricking new spaces into being." Die Auseinandersetzung mit und die Kritik an der Metaphorik, die sich um das WorldWideWeb gebildet hat, steht auch bei den anderen Browser-Projekten im Mittelpunkt. Nach herrschender Terminologie "surfen" wir im "Web", das - durch die g�ngigen Programme betrachtet - als aus einer Ansammlung von "Seiten" ("Homepages") besteht, die auf "Sites", also an scheinbar physischen Orten gespeichert, liegen soll. Durch die muss man "navigieren" oder "man�vrieren", und zwar mit Software, die so bezeichnende Namen wie "Explorer" (Entdecker) und "Navigator" (Steuermann) hat. Diese fast kolonialistisch anmutenden Metaphern sind freilich nur eine Art Bl�mchentapete, die �berdecken, was wir tats�chlich tun, wenn wir das Web benutzten: wir laden Daten von einem Computer in den Arbeitsspeicher unseres eigenen Computers. Kunstbrowser wie "reconnoitre" von Tom Corby and Gavin Baily wollen der g�ngigen Netzmetaphorik widersprechen: das Programm will nicht Webseiten zeigen, sondern das "Surfen" als Aktivit�t sichtbar machen. Der "Browser", den die beiden K�nstler selbst ironisch als "disfunktional" beschreiben, zeigt nur einzelne, zuf�llig auf Websites zusammengesuchte Stichworte, die - wei� auf schwarzem Hintergrund - durch einen scheinbar dreidimensionalen Raum schweben, sich drehen und wenden, und gemeinsam eine automatisch generierte Textcollage ergeben. Einmal gestartet bewegt sich das Programm selbst�ndig durchs Internet, dem "User" bleibt nichts weiter �brig, als passiv zuzusehen, was sich auf dem Bildschirm entwickelt - f�r die K�nstler ein technologisch erfahrener "Derive", "ein beil�ufiges Schweifen durch den Text, das fragmentarisch, unvollst�ndig und von fr�hlicher Zwecklosigkeit ist." Auch beim "netomat" des New Yorker K�nstlerprogrammierer Maciej Wisniewski ist kein Klicken notwendig: das Programm ben�tigt lediglich ein Stichwort, um aus dem Internet Textzeilen und Bilder zusammenzusuchen, die auf dem Bildschirm zu einer arbitr�ren Collage zusammengef�gt werden. Wisniewski bietet das Programm als "Open Source Software" an, und hofft, dass bald andere Programmierer "netomat" modifizieren und weiterentwickeln; demn�chst soll das Programm auch Sounds aus dem Netz wiedergeben k�nnen. Mit Sound arbeitet auch die Netzk�nstlerin Netochka Nezvanova, die unter dem Pseudonym "antiorp" im Internet operiert. Ihr Netzbrowser "Nebula.m81" kann digitale Daten, die er aus dem Internet fischt, als Kl�nge abspielen - auch wenn es sich dabei, um Bilder oder Texte handelt. F�r "nebula.m81" ist das Netz eine "riesiges Musikinstrument". Um dessen "unertr�gliches Schweigen" zu beenden, macht das Programm aus Daten T�ne, und pl�tzlich "schwingen die Netzprotokolle wie die Seiten eines Violoncellos". Die Beispiele, die auf der Website von Nezvanova zu h�ren sind, klingen freilich eher wie St�rungen auf Kurzwelle. Das Programm will sich die K�nstlerin patentieren lassen, und stellt es daher nicht im Internet zum Download zur Verf�gung, ein pers�nlicher Eindruck von den Syn�sthesien, die das Programm erzeugt, ist daher vorerst nicht m�glich. ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: [email protected]; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: [email protected], msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: [email protected] -- http://www.mikro.org/rohrpost