florian schneider on Mon, 19 Jun 2000 13:03:46 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Die New Economy braucht neue Deutsche


http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/8252/1.html

Die New Economy braucht neue Deutsche

Florian Schneider   
15.06.2000 

Die Auseinandersetzung um die Green Card in Deutschland mutet wie eine
schlechte Kopie der Einwanderungsdebatte in den USA an. 

Eigentlich ist so eine "Green Card" eine hei� begehrte Sache: Die
US-Regierung verlost seit 1990 jedes Jahr 55.000 dieser besonderen
Einwanderungsvisa, die ein zeitlich unbegrenztes Aufenthaltsrecht und
eine unbeschr�nkte Arbeitsgenehmigung bedeuten. Wer will, kann schon
nach f�nf Jahren amerikanischer Staatsb�rger werden. Die deutsche
Variante ist allenfalls hei� diskutiert. Wer hierzulande eine "Green
Card" erh�lt, mu� nach f�nf Jahren Deutschland  wieder verlassen. So
sehen es jedenfalls zwei Verordnungen vor, die das Bundeskabinett kurz
vor Pfingsten verabschiedet hat. Trotzdem mutet die Auseinandersetzung
hierzulande wie eine schlechte Kopie der aktuellen Einwanderungsdebatte
in den USA an.

"Wir m�ssen daf�r sorgen, dass in der Zeit der Globalisierung,
Deutschland nicht mit einem Mangel an Internationalit�t zurecht kommen
mu�", sagte Bundeskanzler Schr�der zur Verbschiedung der "Verordnung
�ber die Arbeitsgenehmigung f�r hochqualifizierte ausl�ndische
Fachkr�fte der Informations- und
Kommunikationstechnologie" als auch der "Verordnung �ber
ausl�nderaufenthaltsrechtliche Genehmigungen" durch das Bundeskabinett.  
Nichts ist also aus einer wie auch immer gearteten Liberalisierung oder
Deregulierung der arbeitsmarktrechtlichen Verordnungen geworden,
stattdessen wurden dem Wust der Ausl�ndergesetze und
aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen zwei weitere, zeitlich begrenzte
Ausnahmeregelungen angef�gt.

In den n�chsten drei Jahren werden stufenweise bis zu 20.000 Fachkr�fte
f�r IT Sektor auf dem deutschen Arbeitsmarkt zugelassen. Fachkraft ist,
wer entweder ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit Schwerpunkt auf 
Informations- und Kommunikationstechnologien oder eine Arbeitsstelle mit
mindest 100.000 Mark vereinbartem  Jahreseinkommen nachweisen kann.
Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis sind auf f�nf Jahre
befristet, in denen allerdings der Arbeitgeber gewechselt werden kann.
Die Arbeits�mter sind angehalten, die Genehmigung binnen einer Woche zu
erteilen, wenn die Unterlagen vollst�ndig sind. Die Verordnung gilt auch
f�r ausl�ndische Studenten, die in Deutschland ein Studium mit dem
Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie abgeschlossen 
haben. Sie k�nnen im Anschluss an das Studium eine
Aufenthaltsgenehmigung erhalten und so in Deutschland bleiben.

Obwohl "Green Card" genannt, �hneln die IT-Verordnungen dem, was in den
USA ein "H-B1"-Visum ist. 1998 erh�hte der US-Kongress nach einer
wochenlangen Auseinandersetzung mit dem Wei�en Haus die Zahl der auf
maximal sechs Jahre befristeten Arbeitsgenehmigungen f�r
hochqualifizierte Arbeitskr�fte von j�hrlich 65.000 auf 115.000. Die
Debatte und der Kompromi�, der damals dabei herauskam, gleicht dem, was
in diesem Fr�hjahr in Deutschland diskutiert wurde, wie ein Ei dem
anderen: Eine spezielle Antragsgeb�hr von 500 US Dollar soll f�r
Qualifizierungsma�nahmen innerhalb der USA verwendet werden. Zuvor
hatten die Konzerne einen dramatischen Arbeitskr�ftemangel beklagt,
Gewerkschaften vor Lohn-Dumping gewarnt, nationalistische Kreise auf den
heimischen Nachwuchs verwiesen. 

Weil sich aber sowohl Demokraten wie Republikaner eifers�chtig be�ugen,
wer die Interessen der High-Tech-Industrie besser zu vertreten im Stande
sei, ist in den USA inzwischen ein richtiggehender Wettlauf um die
Erh�hung der Visa-Kontigente entbrannt: Abgeordnete �berbieten sich mit
gro�z�gigen Offerten gegenseitig, und  Pr�sident Clinton schlug Mitte
Mai gar vor, in den n�chsten drei Jahren zus�tzlich 362.500 "H-B1"-Visa
anzubieten sowie die vom Arbeitgeber zu entrichtende Geb�hr auf 2000
Dollar zu erh�hen. 

Sprecher der indischen Programmierer-Community, die fast die H�lfte all
derer ausmacht, die mit "H-B1"-Visum in den USA arbeiten, fordern
indessen, die Zahl der tats�chlichen "Green Cards" zu erh�hen, um den
Computerspezialisten, die bereits im Land sind,   einen gesicherten,
l�ngerfristigen Aufenthalt zu erm�glichen anstatt permanent neue
Arbeitskr�fte f�r vor�bergehende Zeitr�ume anzuwerben. Im Gegensatz zu
den Nicht-Einwanderungs-Visa gelten f�r Green Cards strikte
L�nder-Quoten, die es f�r Menschen aus Indien nahezu unm�glich machen,
bei der hohen Zahl von Bewerbern ber�cksichtigt zu werden.

�hnliche Vorschl�ge hat nun pl�tzlich auch das "Institute of Electronics
and Electrical Engineers (IEEE)", das bis vor kurzem noch heftig gegen
die Besch�ftigung von immer mehr Ausl�ndern in der IT-Branche wetterte,
ins Spiel gebracht. Ende Mai schlug der f�hrende Interesssensverband der
Besch�ftigten in der Computerbranche vor, die befristeten
Nicht-Einwanderungs-Visa durch eine "Conditional Green Card" zu
ersetzen, um den Besch�ftigten so zu erlauben, den Arbeitgeber zu
wechseln oder sich selbst�ndig zu machen. 

"The New Economy needs new Americans" ist der Slogan eines Offenen
Briefes, den Linus Thorvalds, Steve Wozniak und Esther Dyson am 1. Mai
an den US- Kongress geschrieben haben. Im Rahmen der "Immigration Reform
Coalition" 
treten sie daf�r ein, den "Gastarbeiter"-Status der IT-Spezialisten mit
"H-B1"-Visa in einen  abgesicherten, langfristigen Aufenthalt �hnlich
der tats�chlichen "Green Card" umzuwandeln. Auf diese Weise k�nne der
riesige Antragstau abgebaut werden und sowohl den Interessen der
Unternehmer, die auf eine schnelle und unb�rokratische Anstellung der
Arbeitskr�fte dr�ngen, als auch den Ansinnen der Besch�ftigten, die in
der Regel dauerhaft in den USA leben m�chten, entgegen gekommen werden.
Eine "Win-Win-Situation" beschw�ren die Unterzeichner des Offenen
Briefes, unter dem die Namen von CEO's f�hrender High-Tech-Unternehmen
stehen: Schlie�lich w�rden auch die einheimischen Arbeitnehmer von den
verbesserten arbeitsrechtlichen Standards bei einer regul�ren
Besch�ftigung profitieren.

Viele Einwanderungs-Experten vermuten hinter diesem unerwarteten Vorsto�
allerdings ein abgekartetes Spiel: Die IEEE, die offenbar hinter der
"Immigration Reform Coalition" steckt, wolle auf diesem Wege lediglich
die absehbare Erh�hung der "H-B1"-Visa torpedieren. Judy Mark,
Communications Director des "National Immigration Forum", und Dan
Griswold, vom libert�r angehauchten "Cato Institute", �u�erten sich in
Wired News reichlich skeptisch, was die tats�chlichen Intentionen der
Koalition und ihres Sprechers Paul Donnelly anlangt. Letzterer habe sich
schlie�lich in den 90-er Jahren als gl�hender Verfechter einer
Anti-Einwanderungspolitik profiliert. 

Eine solche Wendung vom Saulus zum Paulus kann aber auch als Indiz daf�r
gewertet werden, dass der gesamte Migrations-Diskurs momentan einer
gewaltigen Verschiebung unterworfen ist. Vordenkern in den USA geht es
offensichtlich nicht nur um die kurzfristige Behebung eines ohnehin kaum
verifizierbaren Arbeitskr�ftemangels, sondern um eine komplette
Neuausrichtung des Migrationsregimes. Die kleinkarierten
Auseinandersetzungen um ein deutsches "Einwanderungsgesetz", wie sie im
Zusammenhang mit der Green-Card-Debatte und der "Berliner Rede" von
Bundespr�sident Rau kurz anklangen, haben die ganze Dimension der
Problematik aber allenfalls angerissen. 

Wie lange jedoch die deutsche �ffentlichkeit einige grundlegende
Einsichten in die Zusammenh�nge von "New Economy" und globalen
Arbeitsm�rkten ignorieren kann, ist �u�erst fraglich. Weltweit
operierende Konzerne verlangen immer vehementer nach der weltweiten
Verf�gbarkeit der wertvollsten Ware: "Human Ressources", menschliche
Arbeitskraft, die im Zeitalter "immaterieller Arbeit" zum allein
entscheidenden Produktionsfaktor wird. Gleichzeitig gelten Kenntnisse im
Programmieren in vielen L�ndern Asiens und Osteuropas heutzutage als
eine der verbliebenen  M�glichkeiten, die immer sch�rfer bewachten
Grenzen Westeuropas und Nordamerikas zu �berwinden. Da geh�rt nicht viel
dazu, die K�mpfe um Freiz�gigkeit, Bleiberecht und gegen �berausbeutung
vor dem Hintergrund eines ungesicherten Aufenthaltsstatus als die
sozialen Auseinandersetzungen vorherzusagen, die das 21. Jahrhunderts
bestimmen werden. 

Schr�ders "Green Card" wirkt vor diesem Hintergrund wie die etwas
�berst�rzte Intervention einer Regierung, die nach dem Debakel mit der
�nderung des  Staatsb�rgerschaftsgesetzes in erster Linie auf
"Kampagnenf�higkeit" als Maxime politischen Handelns setzt. Falsch w�re
es aber nun, die auf eine kleine Elite zugeschnittene �ffnung des
nationalen Arbeitsmarktes als blo�e Augenwischerei zu verstehen.
Sicherlich, die letzten Jahre waren gepr�gt von einer Kette
systematischer Versch�rfungen des Arbeits- und Aufenthaltsrechts f�r
alle Nicht-EU-Ausl�nder; und noch klingen die Beschw�rungen von
Innenminister Schily nach, der vor ein paar Monaten mit nationalem
Pathos der sogenannten "Nullmigration" das Wort geredet hat. Oder die
ewiggestrigen Parolen von Teilen der CDU, der SPD und der
Gewerkschaften, die im Chor mit den Neonazis "Arbeit zuerst f�r
Deutsche" winseln. 

Auch wenn sich offenbar zu Beginn nicht besonders viele der
"IT-Spezialisten" f�r eine Arbeitsaufnahme ausgerechnet in Deutschland
interessieren - die neue deutsche Migrationsdebatte rund um die "Green
Card" blo� zu dekonstruieren oder als Triumph des Utilitarismus �ber die
nationalistische Dumpfheit abzutun, verkennt die politische Brisanz, die
die gegenw�rtigen Transformationen der "Globalisierung" und "New
Economy" bergen. Die Forderungen nach "offenen Grenzen", "Global
Citizenship" und Freiz�gigkeit f�r alle k�nnen sich als weit weniger
utopisch entpuppen, als noch bis vor kurzem angenommen. Schlie�lich ist
es schon immer das Kapital gewesen, das st�ndig wachsende Mobilit�t und
die globale Verf�gbarkeit der Arbeitskr�fte eingeklagt hat. Dass sich
aus �konomischen Ver�nderungen auch politische Konsequenzen ableiten
lassen, bedeutet aber nicht, gleiche Rechte w�rden pl�tzlich verschenkt
werden; offenbar m�ssen diese erbitterter denn je erk�mpft werden.
 
Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Initiativen wie die des
US-amerikanischen "National Immigration Forum": Politiker verschiedener
Couleur und Pers�nlichkeiten des �ffentlichen Lebens  intervenierten in
die hitzige Debatte um hochqualifizierte Arbeitskr�fte mit einem Aufruf
zur Legalisierung von MigrantInnen ohne regul�ren Aufenthaltsstatus,
egal auf welchem Feld diese sich spezialisiert haben. Gefordert wurde
au�erdem ein Programm zur Familienzusammenf�hrung. F�r eine Amnestie
aller "illegalen" Einwanderer setzt sich seit neuem auch der �ber
Jahrzehnte als richtiggehend ausl�nderfeindlich bekannte
US-Gewerkschaftsbund AFL/CIO. Motiv f�r die Kehrtwendung d�rfte der
rapide Mitgliederschwund der Mitgliedsverb�nde in traditionellen
Industriezweigen sein. Daraus scheint nun wenigstens eine
programmatische Hinwendung zu Arbeitsverh�ltnissen in informellen oder
illegalen Sektoren zu resultieren. 

Nicht nur die deutschen Gewerkschaften k�nnten sich von solchem
Opportunismus durchaus eine Scheibe abschneiden. Die Fixierung auf das
Volksdeutsche, wie sie in ersten Stellungnahmen zur "Green Card" oder
der anf�nglichen Blockadepolitik von Arbeitsminister Riester
durchschimmerte, wirkt gelinde gesagt wenig zeitgem��.

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