Harald Hillgärtner on 1 Dec 2000 20:48:07 -0000 |
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Re: [rohrpost] Etwas Offtopic: Freie Software-Desktops |
Hallo, ich bin doch manchmal etwas unkonzentriert. Leider habe ich meine letzte Mehl mit dem "Antwort-Button" an Florian persönlich statt an die Liste direkt versendet. Sorry. > ... und so > die Eingriffsmöglichkeiten der Benutzer künstlich einschränken. (Beispiel: > SuSE's suseconfig/yast). So ist es, der Gerechtigkeit halber muss man aber noch sagen, dass man 'suseconfig' deaktivieren kann. > > Ein Betriebssytem im engeren Sinne ist nur der Kernel. > Hier widerspreche ich klar: Das Betriebssystem ist im Falle vonLinux > Bootloader + Kernel + libc + login-Dämon + wenigstens eine Login-Shell und > ein Minimalset von Dateiwerkzeugen wie mount, cat, cp, mv und ls. Ohne > Bootloader und libc ist der Kernel nicht lauffähig, ohne login-Dämon, mount > und Shell stürzt er beim Boot mit einer "kernel panic" ab. > > Konventionell gehört bei Unix und Linux alles zum Betriebssystem, was nicht > unter /usr, /opt und /home liegt, also: das Rootverzeichnis, /boot, /bin, > /sbin, /etc, /lib. Schon bei der Shell habe ich die Wahl zwischen bash, > csh, tcsh, zsh, ash, ksh und anderen, bei den Dateitools zwischen > GNU-Tools, BSD-Tools, busybox etc. Ja, genau, man hat sehr schnell die Qual der Wahl, deswegen habe ich auch die engere Definition von Betriebssystem gewählt, hierbei beziehe ich mich auf auf das "LinuX. Anwenderhandbuch und Leitfaden für die Systemverwaltung"(dies Buch gibts auch online, hab aber die URL grad nicht parat), 5. Auflage, S.16, Fußnote 3: "Der Begriff 'Betriebssystem' wird in zwei verschiedenen Weisen benutzt. Das Betriebssystem im engeren Sinne wird auch als Kernel bezeichnet; sonst wird mit Betriebssystem die komplette Installation eines Basissystems mit Kernel, Dateisystem, Shell und Utilities gemeint." Sicherlich ist die etwas weitere Definition die sinnvollere. Erst ein solches ist überhaupt lauffähig. Aber, um weiter zu zitieren: "Im Idealfall stellt das Betriebssystem alle Dienste der Hardware in einer abstrakteren Form zur Verfügung, ist also eine Art Hardwareerweiterung." (Ebd.: S.17) Erst auf dieser 'Hardwareerweiterung' setzen dann die Systemprogramme auf. Kernel, Shell, Dateisystem und Utilities ergeben dann aber schon eine Art Entwicklungsumgebung, wie es von Ronda und Michael Hauben im Kap.9: "On the Early History and Impact of Unix. Tool to Build the Tools for a New Millenium" ihres Online-Buches vorgeschlagen wird. Vergl.: <http://www.columbia.edu/~rh120/ch106.x09> > > (Selbst die Annahme, daß der Kernel aus einem Guß sei, stimmt nicht > wirklich, wenn man bedenkt, daß keine der großen Distributionen - Debian > eingeschlossen - ungepatchte Kernel vertreibt, und daß sich > Kernel-Interfaces wie z.B. das Firewalling [ipchains vs. netfilter] z.T. > schnell ändern.) Sicherlich stimmt das nicht wirklich, jedoch haben doch auch die einzelnen, in sich mehr oder weniger geschlossenen Projekte, die unter dem Namen "Freie Software" oder "Linux" firmieren, schon Mechanismen entwickelt, um ihre jeweiligen Projekte halbwegs in sich konsistent zur Verfügung zu stellen. Das gilt natürlich auch für den Kernel. (Einen guten Überblick gibt da Volker Grassmuck. Vergl.: <http://mikro.org/Events/OS/text/freie-sw.html> Hierin insbesondere den Abschnitt "Wie funktioniert ein Projekt der freien Software"). Zudem gilt für jede Software, dass sie im Prinzip nie vollkommen den Kontext voraussehen kann, in dem sie eingesetzt wird, erst recht für freie Software. Gäbe es hier einen Standardverwendungszweck, dann könnte man theoretisch auch alle Softwarekomponenten daraufhin "Standardisieren". > Der heutige Status quo ist, daß die > Distributoren Konfigurationsskripte für die meisten Anwendungsfälle > mitliefern, der Benutzer sich aber unweigerlich mit Interna > auseinandersetzen muß, wenn er eine speziellere Konfiguration braucht. Ich > behaupte, auch aus der Beobachtung von Freunden, die Linux als > Unix-Laien einsetzen, daß bei jeder durchschnittlichen PC-Installation > solch ein Fall mindestens zweimal auftritt. Meine Erfahrungen sind da etwas positiver, auch wenn ich wenig Leute kenne, die Linux einsetzen. In der Regel muss ich bei Freunden, Bekannten und gerade an der Uni mich ausschließlich mit Windows herumschlagen, das in spezielleren Konfigurationen auch so seine Tücken hat. Aber egal, die permanenten Vergleiche zwischen Windows und Linux, bezüglich Komfort oder "Useability" sind an und für sich auch ein wenig irrelevant, denn wie du so treffend formulierst: > > Aus meiner Sicht ist es aber gar nicht wünschenswert, daß > Konfigurationsmechanismen zentralisiert und Benutzerführungen > vereinheitlicht werden. Dem will ich mich einfach anschließen! (auch wenn kürzlich, in der c't glaub ich, SuSE Linux gegen Windows ME getestet wurde und nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der 'Useability' SuSE Linux gewonnen hat, wenn auch knapp) > > > Zugegebenermaßen ist dies eine sehr enge Definition, aber ich setze sie > > sehr bewusst gegen eine Definition, welche anscheinend bis zum Browser > > und dem Office-Paket mit angeblich einheitlichen "Look' n 'Feel" alles > > mit einschließt. > > Wo tut das mein Artikel? Implizit tut das der Artikel, zumindest scheint folgender Abschnitt dies nahezulegen: "[...] als Windows- oder Macintosh-Ersatz konzipiert wurde. Vorwände für solch eine Camouflage boten bislang die graphische Oberfläche KDE, der Netscape Navigator und das Programmpaket StarOffice, drei Programme, die unter Linux verschieden aussehen, unterschiedlich bedient und unterschiedlich konfiguriert werden und zu dritt langsamer, funktionsärmer und nicht einmal stabiler sind als die Konkurrenz von Microsoft." KDE, Netscape und StarOffice bieten also Gelegenheit, Linux mit Windows oder Mac zu verwechseln, so lese ich dass hier im Text. Mal davon abgesehen, dass meines Wissens zumindest Netscape und StarOffice sicherlich nicht mit weniger Funktionalität aufwarten können als die Konkurrenz von Microsoft, haben diese mit freier Software eigentlich nichts zu tun, ausser dass sie unter Linux laufen. Wichtig ist, dass Netscape und StarOffice auch für Windows zur Verfügung stehen und eben auch hier 'unterschiedlich bedient und unterschiedlich konfiguriert werden'. Und weiter unten: "Hinzu kommt, daß "Linux" strenggenommen gar kein Betriebssystem ist, sondern nur Basis eines Heeres zahlloser Systemprogramme, die unabhängig voneinander entwickelt werden, jeweils ihre eigene Konfigurationslogik besitzen, je nach Distribution und persönlichem Geschmack in bestimmten Varianten oder aus mehreren Alternativen gewählt werden können, und die erst in ihrer Summe das System ergeben." Und genau hier will ich betonen, dass Linux ein Betriebssystem ist und strenggenommen Windows eben kein Betriebssystem. Letzteres ist eben weit mehr als nur ein Betriebssystem, erst recht, wenn hier Browser und Medienabspieler und Grafikprogramm und Mail-Client und weiß der Teufel noch alles gleich mitinstalliert werden. Ach ja, nicht zu vergessen und was ich das Schärfste finde: Online-Dienstanbieter scheinen ja inzwischen auch schon zum Betriebssytem dazuzugehören. Da stellt sich eben die Frage, was noch ein Betriebssystem ist, und was dann schon zu einer nahtlosen Oberfläche gerinnt, in der der Produzent eines Betriebssystem gleich am Besten alle möglichen Verwendungszwecke seines Systems integriert. Am Ende gar den Benutzer selbst, indem dieser immer weniger Wahlfreiheit hat. > Ich persönlich *möchte* diese Komplexität haben, andere Leute - > darunter vermutlich die meisten Leser der Berliner Zeitung - aber nicht. Ich kann dazu nur sagen, dass ich dies für eine Art Sozialisationsfrage halte. Wäre eben nicht diese eine famose Standardbetriebssystem auf den Standardcomputern vorinstalliert, würde sich vielleicht herausstellen, dass auch Linux gar nicht so kompliziert ist. Weil ich ihn so gerne hab, und nicht, weil es wirklich passt :-), ende ich mal mit einem Zitat Adornos: "Von Interessenten wird die Kulturindustrie gern technologisch erklärt. Die Teilnahme der Millionen an ihr erzwinge Reproduktionsverfahren, die es widerum unabwendbar machen, daß an zahllosen Stellen gleiche Bedürfnisse mit Standardgütern beliefert werden. [....] Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert. In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt." (Horkheimer; Adorno: Dialektik der Aufklärung. In: Horkheimer: Gesammelte Schriften. Bd.5. FfM, 1987. S.145) > Gruß, Harald ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: [email protected]; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: [email protected], msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: [email protected] -- http://www.mikro.org/rohrpost