Reinhold Grether on 24 Jan 2001 20:01:02 -0000 |
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[rohrpost] Davos Interview |
[Interview fuer das FAZ.NET ueber Davos. Habe es aufgrund der Streichungen (( )) abgesagt.] [Zuvor die korrigierte URL des Artikels Albert Kuhn, Die Seattle-Menschen http://surf.agri.ch/albertkuhntext/seattle.htm und die Homepage des Prag-Fotografen Immo Klink http://www.immo.co.uk/ ] Seattle, Prag, jetzt Davos - im Internet organisieren sich die Gegner der Globalisierung. Dabei bildet sich ein weltumspannendes Netzwerk. Ist das die eigentliche Globalisierung? Auf keinen Fall. Globalisierungsbewegungen gibt es seit dem Altertum. ((Damals entstanden multizivilisatorische Reiche, Weltreligionen, Fernmedien wie die Schrift und erste Formen von Weltgeld. Heute sind wir alle Teil einer umfassenden Globalisierungswelle, die tief in unseren Alltag eingreift.)) Was wir in den genannten Staedten sehen, sind Ansaetze einer eigenstaendigen Globalisierungsbewegung von unten. Globalisierung soll nicht das Monopol einiger Weltfirmen und Weltmaechte sein, sondern ein breit angelegter Partizipationsrahmen, der den Menschen nach dem familiaeren, sozialen und nationalen nun auch einen globalen Handlungsspielraum verschafft. Trifft dann der Begriff Globalisierungsgegner �berhaupt? Das Spektrum ist sowohl breit als auch im Fluss. Wer sich antiglobalistisch aeussert, tritt gegen eine einseitig oekonomisch ausgerichtete Globalisierungsstroemung an. ((Dabei bedient er sich globaler Informations-, Kommunikations- und Verkehrstechnologien und bringt so sein Interesse an einer am Menschen ausgerichteten Gegen-Globalisierung zum Ausdruck. Deshalb scheint mir der Hauptakzent nicht auf antiglobalistischem Rueckzug aus planetarischen Vernetzungen, sondern auf weltkulturkapitalbildender Zivilisierung von Globalisierung zu liegen.)) Im Gegensatz zu den dreissiger Jahren des 20. Jhs. geht es nicht um Errichtung nationaler Festungen, sondern um erste Artikulationen von Weltgesellschaft. Handelt es sich also um zwei Globalisierungstendenzen die miteinander konkurrieren? Man stilisiert es so. Und holzschnittartig stimmt es auch. Die oekonomische Globalisierung misst alle Lebensumstaende an ihrer Weltmarkttauglichkeit, die gesellschaftliche Globalisierungsbewegung fordert Beteiligung aller an den entstehenden globalen Guetern. Aber freilich gibt es zwischen diesen beiden Postitionen unzaehlige Feinvermittlungen. Die radikale Konfrontation ist mehr ein Medieneffekt, um uns aufzufordern, radikal ueber das Design globaler Handlungsraeume nachzudenken. Welche der beiden Bewegungen ist Ihrer Ansicht nach weiter, wenn es um das Erkennen von Chancen, aber auch Risiken der vernetzten Kommunikation geht? Spannende Frage. Technisch waere es kein Problem, die Firmensitze der Global 500 in exterritoriale Rechner zu verlegen, die wahlweise auf Hochseeplattformen oder Satelliten untergebracht werden. Unternehmenssteuern sind dann kein Thema mehr. Auf der anderen Seite geben die modernen Kommunikationstechnologien kleinsten Gruppierungen globale Aktionschancen. Angriffe auf Rechnernetzwerke koennen Geschaeftsablaeufe empfindlich stoeren. Im globaliserungsumkaempften Alltag haben auf kurze Sicht kleine, gut vernetzte Gruppierungen beste Optionen zur Generierung weltweiter Aufmerksamkeit. Wenn sie beweglich bleiben, die Fronten offenhalten und ihre Basis stetig verbreitern, koennen sie die planetarische Zukunft mitgestalten. Sehen Sie die Gegens�tze zwischen beiden Bewegungen als einen Kampf, den nur eine Seite gewinnen kann? Gibt es Perspektiven auf einen Ausgleich? Das Globale und das Virtuelle sind die Herausforderungen unserer Zeit. Alles und jedes ist dabei, sich zu globalisieren und zu virtualisieren. Kaempfe um die Gestaltung der neuen Handlungsraeume sind unvermeidlich. ((Mit einem Schuss Optimismus darf man annehmen, dass Gegensaetze Ideen freisetzen, die einen gemeinsamen Evolutionspfad eroeffnen. Die Aufgabe ist freilich gigantisch.)) Es geht darum, den Institutionenrahmen einer Weltgesellschaft zu erfinden und verbindlich werden zu lassen, der die groesstmoegliche Zahl einschliesst und die Entwicklungsmoeglichkeiten aller freisetzt. ((Eine letzte Frage: St��t nicht genau diese Idee an enge Grenzen? Nicht alle Menschen haben Zugang zum Netz, das Gef�lle zwischen Industrie- und Entwicklungsl�ndern ist auch was die Nutzung des Internets angeht, vorhanden. Laengst bevor der Computer das letzte Dorf erreicht, hat der genetische Umbau des Menschengeschlechts schon begonnen. Ich bin weit davon entfernt, den Computer als Heilsbringer anzusehen. Menschen haben immer schon in Nah- und Fernnetzen zugleich gelebt. Die Computervernetzung verschafft dem vernetzten Teil der Menschheit neue Moeglichkeiten der Fernkommunikation und des Fernhandelns. Vielleicht entwickelt der unvernetzte Teil der Menscheit im Gegenzug neue Formen des lokalen Umgangs, der Naehe der Menschen zueinander. Es ist allerdings eine Anstrengung wert, die Durchlaessigkeit und den Uebergang zwischen Nah und Fern in beide Richtungen so leicht wie moeglich zu machen. "Du musst Dich nicht dermassen anschliessen lassen", schrieben die nettime-Begruender Lovink und Schultz. Aber Personen und Bewegungen, Regionen und Staaten, die ueber Computervernetzung Zugang zur Weltdynamik suchen, sollte der Einstieg - auch mit privater, konsortialer und staatlicher Hilfe - in jeder Hinsicht geebnet werden. Dass Quantenspruenge der Entwicklung moeglich sind, zeigen sowohl die indische Softwareindustrie als auch die Zapatista-Bewegung in Chiapas, die ueber Internet die ganze Welt fuer sich einnahm und gerade ein drahtloses Breitbandnetz installiert. Subcomandante Marcos, der beruehmteste Schimuetzentraeger aller Zeiten, war nicht umsonst Professor fuer Medienentwicklung.)) ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: [email protected]; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: [email protected], msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: [email protected] -- http://www.mikro.org/rohrpost