"Baumgärtel, Dr. Tilman" on 8 Feb 2001 11:46:18 -0000


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[rohrpost] Rohrpost


Per Luftzug durch den Untergrund

In einem Keller an der Oranienburger Straße steht die einst größte
Rohrpostzentrale der Welt

Unzählige Rohre laufen unter der Decke entlang, machen einen Knick und
verschwinden im Boden oder in der Wand. Staubige Schaltanlagen stehen
aufrecht in Reih und
Glied. Elektromotoren und Luftverdichter sind in eisernen Gehäusen auf
schwingenden Bänken montiert. Wie Viehtränken sehen neun Behälter aus, die
aus einer langen
Bank ragen. Ihr Boden besteht aus einem Stück festem Stoff. Sanft und fast
geräuschlos fingen sie die Rohrpostbüchsen auf, wenn sie von Luft gejagt aus
den Leitungen
schossen. Hier, im Keller des ehemaligen Haupttelegrafenamtes an der
Oranienburger Straße in Mitte, befindet sich die einstige Zentrale der
größten Rohrpostanlage der
Welt. Sie steht unter Denkmalschutz. Aber nun ist der Gebäudekomplex, der
bis zur Ziegelstraße reicht, verkauft worden. 

Allerdings will die Telekom-Tochter DeTe-Immobilien, die das Gebäude bisher
besaß, den Verkauf nicht bestätigen. Auch über den neuen Eigentümer wird
Stillschweigen bewahrt. Doch in der Senatsverwaltung ist der Verkauf des bis
zur Ziegelstraße reichenden Gebäudekomplexes, in dem auch der Club WMF seine
Räume
hat, bereits bekannt. Die einstige Rohrpostzentrale nimmt 15 Prozent der
Kellerfläche ein. Der neue Eigentümer muss sich den
Denkmalschutzbestimmungen beugen, doch
gibt es immer wieder Investoren, die sich daran nicht halten wollen.
Schließlich kostet der Erhalt Geld. Doch das Denkmalamt will für die
Rohrpostzentrale kämpfen. "Mit
Zähnen und Klauen", wie Mitarbeiterin Gabi Dolff-Bonekämper sagt.

Besichtigen kann man den Keller derzeit nur auf Anfrage. Dann führt einen
Wolfgang Wengel, der Sammlungsleiter des Museums für Post und Kommunikation,
durch die
muffig riechenden Räume. Wengel ist einer der wenigen, die sich mit der
einzigartigen Rohrpost-Anlage noch auskennen. Die Geschichte ihrer
Entstehung ist schnell
erzählt. Zwar konnten Ende des 19. Jahrhunderts Telegramme in
Sekundenschnelle in das zentrale Fernmeldeamt nach Berlin geschickt werden,
doch der Transport zum
Adressaten per Pferdefuhrwerk oder Fahrrad dauerte Stunden.

Das Rohrpostsystem schaffte Abhilfe. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 35
Kilometer pro Stunde schossen die Rohrpostbüchsen von der Zentrale zu den
Postämtern
überall in der Stadt. 1865 hatte Siemens die erste Rohrpoststrecke zwischen
der Französischen Straße und der Börse am Hackeschen Markt gebaut. Von da an
war das
Streckennetz rasant gewachsen. 1919 wurde die Rohrpostzentrale in der
Oranienburger Straße eingeweiht. In der Blütezeit der Rohrpost war das Netz
fast 300
Kilometer lang. In den 20er-Jahren standen dann auch in den kleineren
Postämtern Fernschreiber, so dass die Rohrpost eigentlich unnötig wurde.
Doch statt das System
einzustellen, führte die Post den Rohrpostbrief ein, eine Art Eilbrief, der
sofort nach seinem Eintreffen in einem Postamt ausgeliefert wurde. 

Die Berliner scheinen diese Art der Kommunikation geliebt zu haben. Sie
dichteten sogar: "Weilt die Liebste in der Ferne, und du möchtest doch so
gerne, dass sie in der
Nähe sei, schreib ihr eine Rohrpostkarte, dass sie komme, dass sie warte,
Stephan pustet sie herbei." Mit Stephan war der Generalpostmeister Heinrich
von Stephan
gemeint. Während der Nazizeit wurden Ministerien und Parteizentralen per
Rohrpost miteinander verbunden. Auch während des Krieges blieb das System in
Betrieb.
Millionen von Feldpostbriefen wurden auf diesem Wege zugestellt - und
Todesnachrichten.

Nach der Teilung der Stadt wurde das System getrennt. Aber es funktionierte
weiter - in West und Ost. Und die Postbeamten im Keller der Oranienburger
Straße
müssen weiter an die Einheit der vernetzten Stadt geglaubt haben, denn die
Schaltkästen für die Westbezirke haben sie aufbewahrt. Sie haben etwas
davorgestellt, damit
sie niemand sehen konnte. Die Kästen blieben auch, nachdem die Rohrpost 1972
in West- und 1976 in Ost-Berlin eingestellt wurde. Sie stehen immer noch
dort unten. 


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