Aram Lintzel on 14 Feb 2001 14:47:32 -0000 |
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[rohrpost] kulturportal vs. kulturserver |
wens denn interessiert: eine kolumne in der zeitschrift "literaturen" (http://www.literaturen-online.de) zu naumanns kulturportal, dem kulturserver und anderen netzph�nomenen...: Netzkarte Lebet wohl, Ihr Schriftkundigen! Seit dem 31. Dezember ist Kulturstaatsminister Michael Naumann nun also au�er Dienst. Zum Abschied hinterlie� er der kulturell interessierten Nachwelt aber noch ein elektronisches Andenken. Es hei�t www.kulturportal-deutschland.de und ist als �Informations- und Serviceplattform� f�r alle Kulturfans gedacht. �Deutschland schreibt sich mit .de� lockt es zukunftstr�chtig von der Homepage � eine Tautologie, die offenbar zur freiwilligen Weiterbildung aufrufen soll. Denn, so war Ende Dezember auf der Kulturportal-Seite zu lesen, �f�r 150.000 offene Stellen werden nach Angaben der Wirtschaft in Deutschland IT-Spezialisten gesucht, aber es stehen kaum geeignete Bewerber zur Verf�gung�. Also, ihr Literaten, Philosophen und sonstige Schriftkundigen: Nehmt Abschied von euren liebgewonnen T�tigkeiten und macht euch informationstechnologisch fit f�rs kommende Jahrtausend! Denn wom�glich wird eines Tages zur offiziellen Politik erkl�rt, was die Macher von www.netzwissenschaft.de schon jetzt fordern: �Keine Neuberufung informatischer Analphabeten!� So lautet eines ihrer �Leitprinzipien�, weshalb sie in einem eigens erstellten �Webkatalog� ausgewiesene Netzexperten aus Kunst, Wissenschaft und Publizistik portraitieren. Vielleicht sollte die �Wirtschaft in Deutschland� ihr Personal hier anwerben. Wie aber sagt das �mit .de� geschriebene Cyber-Deutschland den altert�mlichen Literati angemessen Lebewohl? Praktische Anregungen gibt Martin Rauch, Freiburger Professor f�r Schulp�dagogik in seiner am�santen Satire �Orgel oder Pfeife. Zur Systematik akademischer Abschiedsrituale� (www.ph-freiburg.de/ew1/person/rauch/veroeff/satire.htm). Rauch stellt verschiedene Abschiedszeremonien vor, vom �ganz gro�en Bahnhofs-Solo� bis zum �Abschied auf Franz�sisch� und analysiert die jeweiligen Ausschm�ckungen eingehend. Allerdings fragt man sich, ob die Verabschiedung der Gutenberg-Galaxis und ihrer Bewohner wirklich so w�nschenswert ist. Zwar schwadronieren heute einige Medientheoretiker vom �Ende der Schriftkultur� (exemplarisch: http://userpage.fu-berlin.de/~sybkram/medium/wenzel.html), jedoch wendet die �sterreichische Philosophin Ulrike Kadi in ihrem �Kleinen Beitrag zur Mikroskopie des Abschieds� (http://phaidon.philo.at/kadi/Symptom/Symptom.html) gegen makroskopische Umbruchphantasien zu Recht ein, dass sich die �Unentschiedenheit zwischen Noch-Nicht und Nicht-Mehr� durchaus genie�en l�sst. Mit anderen Worten: statt wie www.netzwissenschaft.de blindlings �die Weltrevolution der Netze� abzufeiern, sollte man lieber die derzeitige Gleichzeitigkeit alter und neuer Medien verstehen und sch�tzen. Wie eine solche Haltung konkret aussehen kann, zeigt das hervorragende Internet-Magazin www.nachdemfilm.de. Zwar scheint die Namensgebung den Verlust des Leitmediums Film zu betrauern, doch verweist sie in Wirklichkeit auf einen Mehrfachsinn: die Gespr�che, die nach dem Kino �auf dem Weg nach Hause oder in die Bar� entstehen, den historisch gewordenen Film, die �nachzeitigen Beziehungen des Films� (Transtextualit�t, Transbildlichkeit, Techniken des Zitats) sowie �eine m�gliche Form der Anverwandlung, im Sinne eines 'wie ein Film'�. �Film�, so die Herausgeber, �ist dabei ein Angelpunkt, der aus der Vergangenheit, der Erinnerung, dem Imagin�ren nachwirkt auf die Gegenwart, ihre Neuen Medien und Diskurse�. Sehr angenehm, dass die Autorinnen und Autoren (unter ihnen Gertrud Koch und Barbara Vinken) weder in kulturpessimistische Lamenti noch in besinnungslose Techno-Euphorie � la www.netzwissenschaft.de verfallen. Pr�zise und stringent lotet www.nachdemfilm.de die M�glichkeiten von Filmtheorie und -praxis unter den Bedingungen der neuen Informationstechnologien aus. Gegen das digitale �Engineering� von Bildern hegt man hier zum Gl�ck keine Botho Strau�-haften D�nkel. Stattdessen versucht man, sich den �nachzeitigen Beziehungen des Films� interdisziplin�r zu n�hern. Ein bisher nicht ins Deutsche �bersetzter Text des franz�sischen Philosophen Roland Barthes �ber den �Real(it�ts)effekt� stellt zudem eine historische Perspektive her. Es werden keine angeblich paradigmatischen Trennungen (literal vs. digital etc.) konstruiert, vielmehr �ffnet sich eine gegenw�rtige Zwischenzone, in der Vergangenheit und Zukunft traut zueinanderfinden. Denn: statt pathetisch Abschied zu nehmen, ist es doch besser, im kulturellen Jetzt zu leben. Vorausgesetzt, dieses beschr�nkt sich nicht auf Ereignisse aus dem Zentrum des 'Deutschland mit .de'. W�hrend Naumanns staatstragendes �Kulturportal� fast ausschlie�lich zu Einrichtungen der leitkulturellen Mitte (zum Beispiel zur Sammlung Berggruen) f�hrt, k�mmert sich die aufwendige Website www.kulturserver.de um abseitige Off-Kultur aus allen Landesteilen. Sogar ein �w�chentliches Mini-Feuilleton� kann man sich von dieser �Online-Community for Art and Culture� e-mailen lassen. Hier geht es nicht um staatliche Repr�sentation, auch gibt es keine qua ministerialer Oberhoheitgesteuerte Vorselektion. Jeder User kann seine Kulturtipps eintragen, was die Sache im Vergleich zu Naumanns Zentralportal nicht nur informativer, sondern auch spannender, �berraschender und damit netzspezifischer macht! Wie fragt doch das griechische �Research Centre for the Definition of Happiness� (http://www.anet.gr/kepe) so sch�n sokratisch: �W�rden Sie fischen gehen, wenn Sie w�ssten, was Sie fangen werden?� Eben. 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