Jörg Sundermeier on 28 Feb 2001 14:45:30 -0000


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[rohrpost] Lesung Berlin Hardcore


Hallo, 
eine Lesung, gut und mit freiem Eintritt.. 

Stefan Wirner liest aus:
Berlin Hardcore

Donnerstag, 1. März
21 Uhr
Altes Büro
Torstraße 172
Berlin-Mitte


Zum Buch:
Berlin Hardcore ist das Buch zum neuesten Berlin und der dazugehörigen
Republik. Es ist ausschließlich aus Sätzen montiert, die Zeitungsartikeln, Essays
und Reden der letzten Jahre entnommen wurden. In beiden deutschen
Rechtschreibungen bietet es ein Bild des Schreckens: in allem, jedem und in mehr ist
Berlin größer, besser, weiter. Gerade durch die Montage entlarvt sich die
Dummheit und der Zynismus, der hinter dem Jubel waltet. „Berlin Together,
Berlin Emotion, Berlin Special und Berlin Power. Berlin direkt.
BerlinBerlin.“

Zum Autor:
Stefan Wirner wurde 1966 in Weiden in der Oberpfalz geboren. Er lebt seit
1990 in Berlin und arbeitet für verschiedene Publikationen. Sein Cut-Up-Text
zum NATO-Bombardement auf Serbien, „Installation Sieg“ erschien
1999 im Verbrecher Verlag.

Stefan Wirner / Berlin Hardcore / Eine deutsche Farce in Zitaten /
Taschenbuch / 120 Seiten / DM 24 / www.verbrecherei.de 


Textauszug:
Berlin Hardcore ist das Buch zum neuesten Berlin und der dazugehörigen
Republik. Es ist ausschließlich aus Sätzen montiert, die Zeitungsartikeln, Essays
und Reden der letzten Jahre entnommen wurden.

"Das ist die Lage Berlins. Merkwürdig lange hat Deutschland gebraucht, bis
es begriff, was mit seiner Hauptstadt vorgegangen ist. Die Arbeit der
Vergegenwärtigung beginnt aufs Neue, mit geschärftem Blick und wachem Verstand.
Vielleicht ist das Kadewe das Beste, das Berlin zu bieten hat. Alles in allem hat
die Stadt eine gute Zeit vor sich, die Berliner Luft beweist es. Und finden
Sie nicht, daß das Grün mehr Glanz hat als früher, daß das Licht heller ist?
Vielleicht bildet man sich das nur ein, aber ist es nicht ein Glück, daß man
sich überhaupt wieder etwas einbilden kann? 
Nun scheint sich der Wind zu drehen. Mit der Regierung kommt auch gleich
noch die Welt nach Berlin. Alles ist neu, alles ist Zukunft. Und das ist anders
als früher in Berlin, wo alles eher Nachlaß und bestenfalls Heute war.
Gesellschaftlich gesehen war Berlin zur Diaspora geworden. Und so steht Berlin
wieder vor einer einzigartigen Situation. Die Berliner Zusammenballung von
Negativtrends, grandiosen Herausforderungen und Unbewältigbarem atmet etwas
Schicksalhaftes. 
Vor dem Krieg war Berlin die deutsche Dienstleistungsmetropole. Eine
Zeitlang konnte es, als 1945 die Waffen schwiegen, sogar so aussehen, als sei Berlin
doch einigermaßen durch den Krieg gekommen. Nach wie vor war die Stadt das
politische und geistige Dynamisierungszentrum Deutschlands. Nach dem Mauerfall
entfaltete die Stadt eine atemberaubende Dynamik sui generis. Man muß nur
den Bewegungen folgen, um zu sehen, daß es weitergeht. Berlin ist in die
Hochgeschwindigkeitszone des Westens hineingerissen worden und bleibt doch zugleich
angebunden an die Zone der Langsamkeit im Osten. Womöglich läuft die
Entwicklung auf einen Punkt zu, an dem Bewegung und Ruhe nicht mehr zu unterscheiden
sind. Zivilisationsnormalität nicht als Utopie, sondern als Realität. 
Berlin hat sich verändert. Die Grundsteine sind gelegt, Richtfeste
vielerorts gefeiert, die Stadt wächst in die Höhe. Man steht und staunt, und
unversehens wächst man auch. Es drängen sich die Angebote, es drängeln sich die
Hauptpersonen. Neue Rollen werden einstudiert, andere Tonfälle. Neue Feste, neue
Leute, neue Rituale - ohne umzuziehen, lebt auch der Berliner in einer neuen
Stadt und würfelt kräftig mit im Spiel der Möglichkeiten. Mit den Möglichkeiten
wächst ein neues Lebensgefühl. Die Chancen, für sich das Richtige zu finden,
waren noch nie so groß. Entscheidend ist die Summe all dessen, was in dieser
riesigen Stadt gleichzeitig passiert, was gelingt und scheitert, gefeiert
oder verrissen wird, was großartig und was lächerlich ist. 
Unzweifelhaft ist die Glaskuppel auf dem Reichstag richtig schön. 
Merkwürdigerweise deutet sich noch gar nicht an, für was die neue
Reichstagskuppel als Metapher stehen könnte. Das alles und noch viel mehr gibt es jetzt
in Berlin. Die sich beschleunigende Zirkulation auf dem Berliner Ring sagt,
daß der Motor Berlin zu arbeiten begonnen hat. Wenn wir in der Lage sind, uns
zu lösen von der verkrampften Gegenkulturmentalität, dann ist es nicht mehr
nötig, Energie zu verschwenden im Kampf gegen den Staat, Kapitalismus und
andere Traditionen. Soviel Zukunft war noch nie. Berlins ewiges Lärmen, Protzen,
Werden. Wie sich die Zeiten doch verändert haben. Die Stimmung steigt, das
Pathos des Anfangs greift um sich. Die Modernisierung schreitet unaufhaltsam
voran. Die Tilgung der Schäbigkeit im großen Stil ist im Gange. Jetzt wissen
wir es wieder. Den Fröhlichen gehört die Zukunft. Heute möchte man nur dabei
sein. Alles wird perfekt sein. Welcome to Berlin."


Beste Grüße:

Jörg Sundermeier

Verbrecher Verlag
Werner Labisch & Jörg Sundermeier
Rosenthaler Str. 39 
10178 Berlin
Fon: 030 / 28385954
Fax: 030 / 28385955
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Internet: www.verbrecherei.de










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