Pit Schultz on 14 Mar 2001 11:16:26 -0000


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Brief an die PAX-CHRISTI-GEMEINDE
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Essen, 16. Juni bis 15. August 1997 Brief 49/6-8

 

VIRTUELL = die M�glichkeit zu etwas in sich begreifend

"Ob wir in diesen Tagen hinausfahren oder zu Hause bleiben ..., so
hei�t es bei der 'Messe in die Ferien' im Reisegebet. Zwei
M�glichkeiten, Ferien zu machen. Inzwischen w�re noch eine dritte Form
m�glich, das Zauberwort daf�r hei�t 'virtuell', ein Wort, das in der
rasanten Explosion der elektronischen Kommunikationssysteme der
letzten Jahre auf bestem Weg ist, zum Schlager zu werden. In seiner
Wurzel zur�ckgehend auf das lateinische Wort 'virtus' =T�chtigkeit,
Kraft, bedeutet dann 'virtuell': entsprechend der innewohnenden Kraft
als M�glichkeit vorhanden. Beispielsweise mu� man heute nicht real,
tats�chlich durch ein Warenhaus oder auf eine Safari gehen, die hohe
Technik der Kommunikation macht es m�glich, dies eben virtuell,
sozusagen 'scheinbar' zu tun, indem man in seinem PC, personal
computer (personal=eigen, pers�nlich) ein Fenster nach dem anderen
�ffnet und sich dann schauend durch Warenh�user, Kirchen oder Museen
bewegen kann.

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war jeder Austausch von
Nachrichten, vom Briefwechsel �ber kaufm�nnische Bestellungs- und
Verrechnunsvorg�nge bis hin zum milit�rischen Befehl an reale Boten,
an Postkutschen und dann an die Eisenbahn gebunden. Und wer real
fremde Welten sehen wollte, mu�te sich schon selbst dorthin bewegen.
Seit knapp 100 Jahren vollzieht sich die Abl�sung der
Kommunikationsnetze von den Verkehrsnetzen. Gab es um 1890 im
deutschen Reichsgebiet lediglich einen Telefonanschlu� und bis 1930
f�nf Anschl�sse auf 100 Einwohner, verzw�lffachte sich ab 1950
innerhalb von drei�ig Jahren der Anteil auf 60 pro Hundert. Bei den
neuen technischen Kommunikationssystemen wachsen die Netze noch
dramatischer: "World Wide Web" (www), ein weltweites Netz ist bereits
gewoben. Solche Globalisierung ist auch in der Sprache im vollen
Gange, pr�gte man hierzulande noch das mehr technische K�rzel EDV f�r
Elektronische-Daten-Verarbeitung, so hei�t es jetzt 'Telekom' (von
lat. communicare =sich verst�ndigen und griech. telos =bis ans
�u�erste Ende, Ziel), das nun die in der Neuzeit entwickelten
Verst�ndigungsmittel, wie Tele-graph, Tele-phon, Tele-vision unter
dieses Wort zusammenfa�t, ein Begriff, der nicht wie im Deutschen nur
den r�umlichen Bezug, die Ferne anspricht (Fernsprecher, Fernseher),
sondern den Gedanken eines umfassenderen Austauschs mitschwingen l��t.
Denn bereits vor dem Zeitalter der Technisierung wurde in Philosophie
und Theologie teleo-logisch, d.h. bis ans �u�erste Ende gedacht, nach
Ziel und Vollendung des Seins gefragt, ja dar�ber hinaus bis hin zum
grenzenlos G�ttlichen, der allem den letztendlichen Sinn gibt.

Schon jetzt ist zu erkennen, das Zeitalter der Telekommunikation
bringt den Menschen ein Mehr an M�glichkeiten und Unabh�ngigkeit.
W�hrend z. B. in der realen Welt des Ruhrgebiets der Stra�enbau seit
langem blockiert oder zum R�ckbau gezwungen wird, er�ffnen sich in
einem Computer nahezu unbegrenzte Datenautobahnen in alle Welt, wenn
auch erste Erfahrungen zeigen: "Sich im weltweiten Netz Informationen
zu beschaffen, ist bei der rasanten Wissensexplosion wie das
Unterfangen, aus einem Hydranten Wasser trinken zu wollen".

Die Geschichte und eigene Erfahrung belegen, wie schwer es Menschen
f�llt, in Zeiten revolutionierender geistiger und technischer
Neuerungen Orientierung zu behalten; - "Ich versteh' die Welt nicht
mehr"! Alte Denk- und Verhaltensmuster sind zu verabschieden,
gefordert ist, sich neu auf Lernen einzulassen - und mancher
verweigert hier notwendige Lebensm�he. Nat�rlich wirft jedes Neue auch
immer kritische Fragen auf. Zum Beispiel wird man bei aller Bejahung
des virtuellen Kommunikationssystems diesem nicht einfach bedenkenlos
zustimmen k�nnen.

So kann st�ndige Benutzung des 'pers�nlichen' Computers zur
Vereinzelung, ja zur Vereinsamung des Menschen f�hren, zur Verarmung
im Umgang mit realen Menschen und realer Welt. Und ob die F�lle des
Dargebotenen eigenes Denken und Durchdenken nicht erschwert, Phantasie
erstickt? Hinzu kommt, da� 'virtuell' schlichtweg bequem ist, spontan
und beliebig, nicht an Ort und Tag und Nacht gebunden.

Darf hier einmal die Christliche Sicht des Menschen und der Welt
'angeklickt' werden? Die Christenheit kennt, angef�hrt von Jesus
Christus, immer schon die Kommunikation im Geistigen, im Glauben an
eine bestehende, wenn auch unsichtbare Verbundenheit mit dem Sch�pfer
und mit allen Glaubenden. Daraus erwuchs ein Bezugsnetz der Mitfreude
des Mitleidens mit allen Menschen �ber Kontinente hinweg. 'Im Geist
miteinander verbunden', im Geist irgendwo ganz dabei zu sein - das
kann sogar intensiver, aufmerksamer und ausstrahlender sein, als eine
geist- und teilnahmslos blo� k�rperliche Anwesenheit. So wurde zum
Beispiel, wenn realer Empfang des Abendmahls aus welchen Gr�nden auch
immer verwehrt war, 'geistige Kommunion' empfohlen. Zugleich kennt und
�berliefert die Kirche gem�� der Weisung ihres Stifters "Tut (!) dies,
damit ihr mich nicht verge�t!" auch die Wirkung des Realen, Greif- und
E�barem, das Sichversammeln an Ort und Stelle zu bestimmter Zeit, mit
einer konkreten Gemeinde. Also nicht blo� virtuelle Mitgliedschaft!
Wer dazugeh�rt, mu� dies mit realen Zeichen bezeugen. Darum auch das
Sakramentale, die Vernetzung des Sichtbaren mit dem Unsichtbaren, der
irdischen Elemente mit der Gnadenwirkkraft des Heiligen Geistes.

Das Telekom-System hat inzwischen noch einen globalen Begriff
gebildet: 'Cyber-space' =Steuerung von Informationen �ber riesige
Distanzen (cyber, griech. kybernes =Steuermann und space, lat. spatium
=Zwischenraum).

Christen ist es unbenommen, bei Cyberspace �ber den 'Mausklick'
hinauszudenken an den Steuermann der Welt: Jesus Christus. Seiner
Steuermannskunst werden sie sich anvertrauen, seinem Kompa� werden sie
folgen, seine Orientierung erbitten. Und als Glaubende werden sie
dankbar und zugleich aufmerksam f�r die Sch�pfung und in ihr f�r alle
technische Entwicklung das Gebet hinzuf�gen, der Gottesgeist m�ge uns
nicht in der Flut der Informationen ertrinken lassen, sondern �ber
unser eigenes Klicken im Cyberspace und �ber unsere eigene
Verantwortung hinaus zur rechten Zeit zuspielen, zusenden, was uns zum
Gl�ck und Heil des Lebens n�tig ist.

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