Krystian Woznicki on 12 May 2001 07:32:35 -0000 |
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[rohrpost] Fwd: Faschisten in der Zirkuskuppel [sz] |
Diesen Mai kann uns keiner nehmen Die Faschisten in der Zirkuskuppel, ratlos: Christoph Schlingensief inszeniert in Z�rich Shakespeares �Hamlet� mit Rechtsradikalen und ruft einen neuen Konservatismus aus Irgendwann, es muss kurz vor neun gewesen sein an diesem lauen Z�richer Fr�hlingsabend, irgendwann jedenfalls kam der Satz, auf den alle gewartet hatten. Polonius durfte ihn sagen, der Ungl�cksvogel, und als er ihn gesagt hatte, nahm das Weitere seinen Lauf. Bis dahin war alles blo� Vorspiel gewesen, wo �Hamlet� doch eigentlich das gro�e Nachspiel ist. �Die Schauspieler sind gekommen.� Der Satz fiel, ein Gruseln ging durchs Parkett. Musik, Fahnen, Kronleuchter, gro�e Oper. Hinten zwei rote Banner, darauf das Wort Naziline geschrieben, Menschen in schwarzen Uniformen, auf den Fahnen Gesichter, Otto Schily, Fassbinder, Rosa Luxemburg, Beuys. Showtime. Aha, so schaut also das B�se aus. Echte Glatzen im Z�richer Schauspielhaus. Eine Glatze mit Brille, eine Glatze ohne Brille, eine Glatze mit Haaren und Anzug, eine Glatze mit Haaren und Ohrring, eine Glatze mit Mantel, eine Glatze, die ein richtig gemeines G�r ist, wie man vor sechzig Jahren wohl gesagt h�tte. Lauter Glatzen an der Rampe, die etwas von �Sch�del einschlagen� reden und dann erst mal wieder verschwinden. Nun h�pft der eigentliche Hauptdarsteller dieses Rundummedienspektakels auf die B�hne, Christoph Schlingensief mit zerzaustem Haar und Hitleresker Uniform, er h�pft vergn�gt nach links und rechts und scheint dabei auf einer Art von Instrument zu spielen, das nur er sieht, das nur er beherrscht. Eine imagin�re Klaviatur, die aber direkt mit unseren blo�gelegten Nervenenden verbunden ist. Dann ist der Spuk wieder vorbei, und weiter geht das kreidene Theater. Das Theater, das Schlingensief an diesem Abend auff�hrte, hatte aber schon lange vorher angefangen, und es wird noch andauern, wenn der Vorhang wieder gefallen ist. Schlingensief inszeniert �Hamlet� in Z�rich, hie� es erst, das war schon ein kleines Ereignis, weil Schlingensief immer ein kleines Ereignis ist, ein einzigartiges Magnetfeld im eher vibrationsarmen deutschen Theaterbetrieb. Schlingensief inszeniert �Hamlet� mit ehemaligen Neonazis, hie� es dann, das war dann schon ein richtiges kleines Gro�ereignis, weil von deutschem Geld und deutscher Schuld die Rede war. Schlingensief inszeniert �Hamlet� und will die Schweizer Volkspartei SVP verbieten � das war dann schon ein kleines Politikum, weil es pl�tzlich um die Schweiz ging und deren Schuld und um das Geld, das die Z�richer ihrem Schauspielhaus geben wollten. Schlingensief inszeniert �Hamlet� und wird zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen, als elfte Inszenierung von normalerweise nur zehn, nachtr�glich und unbesehen. Das war es wirklich! Das nun gab es noch nie! Das kommt nie wieder! Das war es, das gesamtschweizerdeutsche Kulturgro�ereignis! Aber Politik hin, Theater her, in jedem Fall war es an diesem Abend wieder einmal frappierend, festzustellen, dass Christoph Schlingensief es immer wieder schafft, dem Theater, wie schon im letzten Jahr mit seinem Wiener Container-Projekt, das zu geben, was ihm fast vollst�ndig abhanden gekommen ist: gesellschaftliche Relevanz. Und das ist um so �berraschender, weil bei Schlingensief Theater immer eher eine Frage der ganz pers�nlichen Mechanik war, eine Art pubert�r-fr�hliches Kr�ftemessen, ein Theatertauziehen, um die Frage zu kl�ren, wer nun den l�ngeren Atem hat. Bisher rannte Schlingensief oft gern furios an, gegen sich selbst und gegen dieses eigent�mliche B�rgersystem mit seinen heiligen Regeln und Ritualen, er rannte und rannte � und merkte irgendwann, dass es, wie beim Tauziehen, viel effektiver sein kann, wenn man erst einmal kr�ftig auftritt und dann pl�tzlich das Seil einfach losl�sst. Also inszenierte er sich erst einmal den Skandal, in den hinein er dann seine Inszenierung platzieren konnte. Dann lie� er das Seil los, und alle, die sich ins Parkett gedr�ngt hatten, kippten zur�ck in die Theaterwelt der sp�ten f�nfziger, fr�hen sechziger Jahre. Theater vor dem S�ndenfall. Gr�ndgens, Sie erinnern sich? M�nner in Strumpfhosen und mit komischen H�ten, Degen unterm Arm und geschminkte Augen. �Schluss mit dem experimentellen Unfug�, hatte Schlingensief aus dem Urlaub auf Fuerteventura in Vorbereitung auf seinen �Hamlet� gefaxt. �Ich m�chte einen neuen Konservatismus ausrufen! Und ich m�chte vor allem, dass auch die �lteren Zuschauer ihre Klassiker wiedererkennen k�nnen! Die haben ein Recht darauf!� Also Strumpfhosen, Degen und geschminkte Augen. �Hamlet�, Gr�ndgens 1963, nachgestellt von Christoph Schlingensief. Im Zweifelsfall passt zwischen Schlingensief und einen Gedanken nicht mal ein Blatt Papier. Subversion durch Affirmation nannte man so eine Taktik einmal, oder auch Verwirrung durch �berdeutlichkeit. Wie durch einen Kreide nebel sprechen die Figuren zu uns, Stimmen aus dem Off, ein Klassiker im Playback-Format. Sebastian Rudolph als Hamlet, ein wenig kinskiesk mit seinem sch�n verachtungsvollen, weltm�den Mund; Bibiana Beglau als Ophelia, eigentlich eine Diva ihrer Generation, hier ein Gr�ndgens-M�del im atemlos engen Mieder; Irm Hermann, Fassbinders gro�e Schmallippige, hier als Hamlets Mutter Gertrude; der m�chtige Peter Kern, ein siechender K�nig Claudius. Die B�hne von Jo Schramm � eine Treppe, eingerahmt von weinroten Theaterprospekten. Szenen wie aus jedem besseren Stadttheater vor ein paar Theaterewigkeiten, eine �Hamlet�-Schlankversion von gut 100 Minuten, ein Best-of, bei dem sogar das Abonnentenpublikum anfangs lacht. Schlingensief, von je her weniger Zauderer als Tatmensch, zeigt hier aber vor allem: Erzittern, Erschaudern, Mitleiden, Mitf�hlen, alles vorbei. Sein �Hamlet� ist die Antwort auf Peter Steins an�mischen �Faust�, zwei Eckpunkte eines Theaterjahres, Anfang und ganz sicher Ende. �Die 100 Tage von Bottrop� hei�t ein Film von Schlingensief, es sollte der letzte deutsche Film werden. Sein �Hamlet� nun soll das letzte deutsche St�ck werden. Die echten Schauspieler machten an diesem Abend ihre Sache recht gut, theater is coming home, dachte man, unm�glich, aber wahr, sch�n langweilig und nebelumwallt, und die Verm�llung und das Recyclen von Gedanken, die das Schlingensief-Prinzip waren, das funktioniert auch mit der Pappe unserer Theatertr�ume, nur dass der M�ll dieser Tage nicht mehr das Schmutzige und Grieselige ist, sondern das b�rgerliche Erbe. Noch besser machten ihre Sache nat�rlich die echten falschen Schauspieler, die falschen echten Nazis, die Aussteiger, wie es hie�, aber was hei�t schon Aussteigen und wer will in diese K�pfe kucken? Shakespeare hatte das ja noch behauptet, dass es durchaus m�glich sei, in die Herzen und Hirne der Menschen Einblick zu halten. Schlingensief hat das mit dem Auftritt der Rechts-Combo dementiert. Wie immer spielte er auch hier mit der L�ge des Authentischen Nie war deutlicher, dass das einzige, auf das wir uns in diesem Spiel verlassen k�nnen, die L�ge ist. Die echten rechten Aktivisten, deren Ausstiegsprogramm mit deutschem Regierungsgeld finanziert wurde, kommen noch einmal auf die B�hne, sie holen sich Baseballschl�ger und Ketten und ziehen los, durch den Zuschauerraum nach drau�en. Einer haut auf dem Weg noch eine Lampe kaputt, aber eigentlich hat es das Theater wieder einmal geschafft, so scheint es. Wo vorher noch echte B�se waren, da sind nun nur noch b�se Theaterfiguren, Menschen, die vielleicht nicht resozialisiert oder therapiert worden sind, auf jeden Fall aber theatralisiert und damit auf �sthetische Weise harmlos gemacht. Sie kommen aber noch ein zweites Mal wieder, rufen �Nur der Gedanke ist unser, nicht das Ziel�, dann regnet es Zettel von der Decke, auf denen ein Deutschlandlied gedruckt ist, H�llengitarrenl�rm geht los und die Glatzen rocken. Baseballschl�ger und Mikrofone sind ihre Waffen. Die B�hne geh�rt den B�sen, das Theater scheint gemeuchelt, und in der Art und Weise, wie die inszenierte Emp�rung und das abgelesene Manifest der Aussteiger verpuffen, zeigt sich die sch�ne Ratlosigkeit, in die uns Schlingensief mal wieder gef�hrt hat. Was war schlie�lich? Man k�nnte durchaus sagen, Stichwort ShakespeareN�he, dass Schlingensiefs Deutung �Hamlet� als politisches St�ck ernst genommen hat; dass er S�tzen wie �Der Auss�tzige mag sich jucken, unsere Haut sei rein� oder �Der Normalfall bedeutet nichts, die Ausnahme alles� einen neuen Klang gegeben hat; dass er die Schauspielertruppe als Spiegel gesellschaftlicher Widerspr�che zynisch-provokant etabliert hat. Man k�nnte auch sagen, Stichwort Theater�sthetik, dass Schlingensief am Z�richer Schauspielhaus, dieser derzeit wohl vielgesichtigsten St�tte des �sthetischen Experimentierens, mit einem Theater nach der Dekonstruktion gespielt hat, ohne dabei wirklich zu einem Ergebnis zu kommen, was aber nichts macht, denn der Gedanke ist hier das Ziel. Man k�nnte auch sagen, Stichwort Stellenwert, dass es immer Sinn macht, eine Inszenierung von Schlingensief in Berlin zu zeigen, die Frage ist dabei immer nur, wo h�rt die Inszenierung auf und wo f�ngt der Rest an? Was bleibt schlie�lich? Ach ja, Schweigen. �Den Mai 2001, Z�rich, das kann uns keiner nehmen�, sagt eine der Glatzen, bevor er die B�hne verl�sst. �Was mich betrifft�, sagt Christoph Schlingensief als Fortinbras am Ende, �was mich betrifft, mein Gl�ck umfang ich trauernd.� Es war ein Sieg des Theaters �ber das Theater. Ersch�pft sinken beide zu Boden. GEORG DIEZ http://szonnet.diz-muenchen.de/REGIS_A12295420 ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: [email protected]; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: [email protected], msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: [email protected] -- http://www.mikro.org/rohrpost