Ralf Knüfer on 17 Sep 2001 14:19:50 -0000 |
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RE: [rohrpost] FW: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus der FAZ!!!) |
Charles Simic stimmt in der heutigen Faz Susan Sonntag zu, "daß in der
gegenwärtigen Krise offenkundig jene Art von Patriotismus von uns
verlangt wird, die das Denken verbietet". Der Text ist nicht online,
hier kurz die wesentlichen Passagen:
"Was mich schon immer am Verlauf der Weltgeschichte verwundert hat, ist
die Tatsache, daß die Ermordung Unschuldiger stets als hinnehmbar gilt,
solange die hinter solchen Taten stehenden gerechtfertigt scheinen. Daß
diese Haltung inakzeptabel ist, zeigte sich allen, die sehen konnten,
wie die zu Tode erschrockenen Menschen inmitten von Rauch und Feuer den
kollabierenden Gebäuden zu entkommen versuchten. (...) wenn unsere
Kommentatoren und Politiker nun einen schnellen Vergeltungsschlag
empfehlen, ohne sich lange damit aufzuhalten, zwischen Schuldigen und
Unschuldigen zu unterscheiden. In anderen Worten sagen sie: Laßt uns
Gleiches mit Gleichem heimzahlen, und nicht mit den Konsequenzen hadern.
Wie so oft sind aber die grausamen Ironien dieser Logik eher den
Menschen bewußt, die man auf der Straße oder im Büro trifft. Unsere
politische Elite begnügt sich damit, die Rachsucht der Bevölkerung zu
stimulieren. (...) Also wird auch kaum darüber nachgedacht, ob unser
Handeln in de Nahost-Krise in Zusammenhang mit der Tragödie steht. Statt
dessen wird uns wieder und wieder gesagt, die Terroristen hätten aus
Verachtung der westlichen Zivilisation und unserer kulturellen Werte
gehandelt. Auf diese Weise könnte jemand, der nur gelegentlich Zeitung
liest oder fernsieht, den Eindruck gewinnen, die Täter hätten durch die
Freitode so viel Schlimmes anrichten können, weil sie Filme aus
Hollywoos und Frauenmode aus Paris verachten. (...) Am schrecklichsten
aber ist etwas anderes: Wo so viele Unschuldige sterben, folgt meistens
der Tod von noch mehr Unschuldigen. Der Geruch weiterer Gemätzel und des
Krieges liegt in der Luft. Das ist eine lähmende Erkenntnis...
FAZ, 17. September '01, S. 53
Gruß
rk
ps: "Sonntagszeitungen" von Charles Simic
Das Abschlachten der Unschuldigen,
Es höret nimmer auf. Das, Liebste,
Ist das Einzige, auf das immer Verlaß ist,
Verläßlicher jedenfalls als der Braten,
Den du aus dem Ofen holst.
Es ist Sonntag. Die Gemeinde
Verläßt langsam das Gotteshaus
Gegenüber. Viele von ihnen
Tragen die Bibel unterm Arm.
Das unklare Verlangen nach Wahrheit
Und die gewaltige Angst vor ihr
Hat sie in die Kirche gelockt,
Trotz des herrlichen Frühlingswetters.
Der alte Hund im Hausflur
War gerade so ehrlich,
Sein Bild im Spiegel anzuknurren,
Bevor er dann in die Küche trottete,
Wo du, auf ausgestreckten Händen,
Den Lammbraten hältst,
Der nach Knoblauch duftet und Rosmarin.
aus: Charles Simic, Grübelei im Rinnstein
> -----Original Message-----
> From: [email protected]
> [mailto:[email protected]]On Behalf Of Thomas Mank
> Sent: Sunday, September 16, 2001 3:39 PM
> To: [email protected]
> Subject: [rohrpost] FW: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus
> der FAZ!!!)
>
>
>
> Liebe Grüsse,
>
> Thomas Mank
>
> -----
> Thomas Mank
> herzfleisch. projekte produktion
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> 10317 Berlin
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>
> ------------------------------------------------
> "Arbeiten heißt, anderes zu denken,
> als das, was man vorher dachte."
> Michel Foucault
> ------------------------------------------------
>
>
> ------ Weitergeleitete Nachricht
> > Von: "Immoseek" <[email protected]>
> > Antworten an: "Immoseek" <[email protected]>
> > Datum: Sun, 16 Sep 2001 13:03:10 +0200
> > An: <[email protected]>
> > Betreff: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus der FAZ!!!)
> >
> > Eine Nachricht der Mailingliste des ATTAC-Netzwerks
> > zur demokratischen Kontrolle der Finanzmaerkte
> > --
> >
> > "Unsere Stärke wird uns nicht helfen" - Susan Sontag über Amerikas
> > Selbstbetrug
> >
> > Amerika unter Schock: Die falsche Einstimmigkeit der
> Kommentare / Von Susan
> > Sontag
> >
> >
> > Als entsetzter und trauriger Amerikanerin und New Yorkerin
> scheint es mir,
> > als sei Amerika niemals weiter von der Wirklichkeit
> entfernt gewesen als am
> > letzten Dienstag, dem Tag, an dem ein Übermaß an
> Wirklichkeit auf uns
> > einstürzte. Das Mißverhältnis zwischen den Ereignissen und
> der Art und
> > Weise, wie sie aufgenommen und verarbeitet wurden, auf der
> einen Seite und
> > dem selbstgerechten Blödsinn und den dreisten Täuschungen
> praktisch aller
> > Politiker (mit Ausnahme von Bürgermeister Giuliani) und
> Fernsehkommentatoren
> > (ausgenommen Peter Jennings) auf der anderen Seite, ist
> alarmierend und
> > deprimierend. Die Stimmen, die zuständig sind, wenn es
> gilt, ein solches
> > Ereignis zu kommentieren, schienen sich zu einer Kampagne
> verschworen zu
> > haben. Ihr Ziel: die Öffentlichkeit noch mehr zu verdummen.
> >
> > Wo ist das Eingeständnis, daß es sich nicht um einen
> "feigen" Angriff auf
> > die "Zivilisation", die "Freiheit", die "Menschlichkeit"
> oder die "freie
> > Welt" gehandelt hat, sondern um einen Angriff auf die
> Vereinigten Staaten,
> > die einzige selbsternannte Supermacht der Welt; um einen
> Angriff, der als
> > Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der
> Vereinigten Staaten
> > unternommen wurde? Wie vielen Amerikanern ist bewußt, daß
> die Amerikaner
> > immer noch Bomben auf den Irak werfen? Und wenn man das
> Wort "feige" in den
> > Mund nimmt, dann sollte es besser auf jene angewandt werden, die
> > Vergeltungsschläge aus dem Himmel ausführen, und nicht auf
> jene, die bereit
> > sind, selbst zu sterben, um andere zu töten. Wenn wir von
> Mut sprechen, der
> > einzigen moralisch neutralen Tugend, dann kann man den
> Attentätern - was
> > immer sonst auch über sie zu sagen wäre - eines nicht
> vorwerfen: daß sie
> > Feiglinge seien.
> >
> > Unsere politische Führung redet uns entschlossen ein, alles
> sei in Ordnung.
> > Amerika fürchtet sich nicht. Unser Geist ist ungebrochen.
> "Sie" werden
> > aufgespürt und bestraft werden (wer immer "sie" sind). Wir
> haben einen
> > Präsidenten, der uns wie ein Roboter immer wieder
> versichert, daß Amerika
> > nach wie vor aufrecht steht. Von vielen Personen des
> öffentlichen Lebens,
> > die die Außenpolitik der Regierung Bush noch vor kurzem
> heftig kritisiert
> > haben, ist jetzt nur noch eines zu hören: daß sie, gemeinsam mit dem
> > gesamten amerikanischen Volk, vereint und furchtlos hinter
> dem Präsidenten
> > stehen. Die Kommentatoren berichten, daß man sich in
> psychologischen Zentren
> > um die Trauernden kümmert. Natürlich werden uns keine
> gräßlichen Bilder
> > davon gezeigt, was den Menschen zugestoßen ist, die im
> World Trade Center
> > gearbeitet haben. Solche Bilder könnten uns ja entmutigen.
> Erst zwei Tage
> > später, am Donnerstag (auch hier bildete Bürgermeister
> Guiliani wieder eine
> > Ausnahme), wurden erste öffentliche Schätzungen über die
> Zahl der Opfer
> > gewagt.
> >
> > Es ist uns gesagt worden, daß alles in Ordnung ist oder
> zumindest wieder in
> > Ordnung kommen wird, obwohl der Dienstag als Tag der
> Niedertracht in die
> > Geschichte eingehen wird und Amerika sich nun im Krieg
> befindet. Nichts ist
> > in Ordnung. Und nichts hat dieses Ereignis mit Pearl Harbor
> gemein. Es wird
> > sehr gründlich nachgedacht werden müssen - und vielleicht
> hat man ja damit
> > in Washington und anderswo schon begonnen - über das
> kolossale Versagen der
> > amerikanischen Geheimdienste, die Zukunft der amerikanischen Politik
> > besonders im Nahen Osten und über vernünftige militärische
> > Verteidigungsprogramme für dieses Land. Es ist aber klar zu
> erkennen, daß
> > unsere Führer - jene, die im Amt sind; jene, die ein Amt
> begehren; jene, die
> > einmal im Amt waren - sich mit der willfährigen
> Unterstützung der Medien
> > dazu entschlossen haben, der Öffentlichkeit nicht zuviel
> Wirklichkeit
> > zuzumuten. Früher haben wir die einstimmig beklatschten und
> selbstgerechten
> > Platitüden sowjetischer Parteitage verachtet. Die Einstimmigkeit der
> > frömmlerischen, realitätsverzerrenden Rhetorik fast aller
> Politiker und
> > Kommentatoren in den Medien in diesen letzten Tagen ist
> einer Demokratie
> > unwürdig.
> >
> > Unsere politischen Häupter haben uns auch wissen lassen,
> daß sie ihre
> > Aufgabe als Auftrag zur Manipulation begreifen:
> Vertrauensbildung und
> > Management von Trauer und Leid. Politik, die Politik einer
> Demokratie - die
> > Uneinigkeit und Widerspruch zur Folge hat und Offenheit
> fördert, ist durch
> > Psychotherapie abgelöst worden. Laßt uns gemeinsam trauern.
> Aber laßt nicht
> > zu, daß wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben. Ein
> Körnchen historischen
> > Bewußtseins könnte uns dabei helfen, das Geschehene und das
> Kommende zu
> > verstehen. "Unser Land ist stark", wird uns wieder und
> wieder gesagt. Ich
> > finde dies nicht unbedingt tröstlich. Wer könnte
> bezweifeln, daß Amerika
> > stark ist? Aber Stärke ist nicht alles, was Amerika jetzt
> zeigen muß.
> >
> > Aus dem Amerikanischen von Julika Griem.
> >
> > Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag, Jahrgang
> 1933, wurde durch
> > ihre Essaysammlung "Against Interpretation" (1966) bekannt.
> Im letzten Jahr
> > erschien ihr Roman "In America". Sie gehört derzeit zu den
> Gästen der
> > American Academy in Berlin, wo sie sich am 11. September
> aufhielt. Während
> > sie auf die Möglichkeit, nach New York zurückzureisen,
> wartet, hat sie ihre
> > Eindrücke zusammengefaßt.
> >
> > Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2001, Nr. 215 / Seite 45
> >
> >
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