staun on Tue, 23 Oct 2001 23:05:01 +0200 (CEST)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

[rohrpost] [Fwd: [Fwd: make world text]]








Erstmal so. Vielleicht k�nnen Sie ja noch was damit anfangen. Ich bin
morgen vormittag unterwegs. Wenn ich noch etwas �ndern soll, w�re es
nett, wenn Sie mir heute noch Beschied sagen k�nnten.

Danke und sch�ne Gr��e,
Harald Staun

Am Ende sah selbst der Mann mit der orangen Jacke etwas abgek�mpft aus.
Er hatte gewi� nicht den letzten Platz belegt, im Wettbewerb der
Aufmerksamkeits�konomie auf dem Make-World-Festival in M�nchen. In den
reflektierenden Plastikbuchstaben des �ffentlichen Dienstes klebte der
Schriftzug �Transnationale Republik" auf seinem signalfarbenen Anorak,
und vorne an der Brusttasche hing ein Personalausweis, der so vertraut
wie selbstgemacht aussah. W�hrend andernorts Politiker dar�ber
diskutierten, in neue Dimensionen der F�lschungssicherheit vorzudringen,
druckt das Einb�rgerungsamt der Transnationalen Republik ihre Ausweise
mit dem Farbkopierer und verteilt sie wie Flugbl�tter. Am Stand auf dem
Festival wirbt man f�r die Republikflucht wie der ADAC f�r neue
Mitglieder, womit die Ernsthaftigkeit des Projekts noch nicht
zwangsl�ufig diskreditiert wird. Der Staat als Club, die Republik als
�Service Provider f�r B�rgerdienstleistungen", wie es auf der Website
hei�t: das ist zumindest der Versuch, den global agierenden Konzernen
eine global organisierte Institution entgegenzusetzen; auch wenn das so
revolution�r ist, wie Greenpeace.
Der Wunsch nach Ver�nderung im Gewand der M�llabfuhr: Das hatte ein
bi�chen etwas von Kommunikationsguerilla und ein bi�chen von Marketing,
und nat�rlich eine klare Symbolik. Bis vor kurzem konnte man �ber die
semiologischen Komponenten des politischen Aktivismus aus �sthetischen
Gr�nden noch ganz froh sein, und aus strategischen vielleicht sogar ganz
optimistisch. Der Widerstand gegen die Globalisierung als Kampf gegen
Images und als Demontage der Logos schien nicht nur tats�chlich die
Seele des modernen Kapitalismus zu treffen, sondern er verlieh auch dem
Protest ein neues Outfit, das endlich wieder in die Zeit zu passen
schien. Weil sich aber, wenn auch nicht alles, so doch zumindest die
Zeichen nun ziemlich ver�ndert haben, ist auch der Angriff gegen sie von
heute auf morgen unmodern geworden. Das mit der subversiven Botschaft
versehene Nike-Shirt wirkt pl�tzlich wie aus dem Kost�mfundus. Es ist
schon heute das Pal�stinensertuch von morgen.
Wer es ernster meinte, mit seiner Kritik an den herrschenden
Verh�ltnissen, f�r den war der Versuch, die Signets des Kapitalismus
gegen ihn zu verwenden schon immer eine Illusion. Die Entf�hrung der
Symbole des Mainstreams war immer ein politisches Selbstmordkommando.
Fr�her oder sp�ter w�rde der semiotische Guerillero feststellen, da� ihn
seine Gegenkampagne h�chstens einen Job in einer Agentur verschaffte,
die ihn abwarb, als w�re er auch nur einer von vielen Konkurrenten.
Da� die Br�cken, die gebaut werden, damit das Kapital schneller voran
kommt - so �hnlich hatte das Saskia Sassen noch einmal bei ihrer
Er�ffnungsrede ausgedr�ckt - da� jene Br�cken auch ihren Mi�brauch
erlauben, war ja sehr lange die Hoffnung einer nicht nur �konomsch
gemeinten Globalisierung. Widerstand lief immer auf den Programmen der
Mehrheit, wurde immer auch durch die Funktionen kommerzieller
Technologien erm�glicht - vom Sony-Camcorder bis zur SMS. Ob aber dieser
Gegenverkehr strukturell immer nur der Ventilisation diente, oder doch
Chancen hatte, zur Bewegung zu werden; und ob es sich dabei verhindern
lie�, da� diese Bewegung am Ende selbst zum Mainstream werden w�rde: all
diese Fragen stehen jetzt gar nicht mehr so sehr im Mittelpunkt.
Das Netz wird enger, und wer immer mit alten oder neuen Medien, mit
Slogans oder Viren, mit Aufkl�rung oder Desinformation gegen die
Dominanz kapitalistischer Dogmen protestiert hat, wird sehr bald merken,
da� die Diskussion um die richtigen Werkzeuge des Dissenses von dem
Kampf um diese Werkzeuge �berhaupt abgel�st wird. Nat�rlich kann man die
R�ckkehr zum Konkreten, wie Geert Lovink, auch als Chance sehen. �Wir
feiern das Ende der Anti-Globalisierungs-Bewegung. Jemand anderes hat
sie in die Luft gejagt. Die melancholische Energie kann jetzt
umgeschaltet werden, um etwas zielgerichteteres zu beginnen." Das
Gespenst der Wirklichkeit spukt durch die Welt, und wer schon immer den
praktischen Widerstand bevorzugt hat, sieht seine Stunde jetzt gekommen.

Es war die positive �berraschung dieser Konferenz, da� sie angesichts
dieses Dilemmas nicht in die Resignation verfiel. Das Spektrum der
Perspektiven h�tte kaum gr��er sein k�nnen, was sich auch in der
Zusammensetzung der verschiedenen Panels ablesen lie�: Da diskutierten
Gewerkschaftler mit Netzk�nstlern, Post-Operaisten mit Zapatisten,
Venture-Kapitalisten mit Medienwissenschaftlern, Programmierer mit
Stra�enk�mpfern - und trotzdem sah es immer ein wenig so aus, als traten
die Teilnehmer allesamt f�r eine gemeinsame Sache ein. Man mag vor einer
derartige Homogenit�t unter anderen Umst�nden erschrecken, die
Differenzen vor lauter Toleranz nur in den Hintergrund gedr�ngt werden.
Doch diesmal sah so aus, als w�re es durchaus angebracht, sich einmal
von seinen Gemeinsamkeiten leiten zu lassen. Es sah so aus, als ob sich
der globale Protest nicht am Ende befindet, sondern gewisserma�en am
Nullpunkt, bereit sich neu zu formieren.
Der Londoner K�nstler Harwood hat das vielleicht am klarsten erkannt,
als er vorschlug, Widerstand analog zur Elektronik zu betrachten: als
Indikator von Aktivit�t. Denn was man derzeit am Widerstand wie an einem
Monitor ablesen kann, ist vielleicht kein gutes Zeichen, aber ein
deutliches: Trotz aller Beteuerungen der Vielfalt n�mlich, die vor und
nach Genua von den Massenmedien ja gerne als Manko ausgelegt wurde,
scheint sich die Erkenntnis zu entwickeln, da� jetzt nicht die Zeit f�r
Grabenk�mpfe ist. Wahrscheinlich konnten auch an den vier Tagen in
M�nchen nicht alle Teilnehmer etwas mit den Vorstellungen der anderen
anfangen - stilistisch oder inhaltlich, oder in der Verwechslung von
beidem. Die meisten jedoch sahen ganz gerne dar�ber hinweg: Da konnte
einereits Valery Rey Alzaga von der Kampagne �Justice for Janitors"
immer wieder an ihre �Brothers and Sisters" appelieren, ohne da� sich
jemand �ffentlich vereinnahmt f�hlte, und andererseits Kodwo Eshun
seinen feinsinnigen Vortrag �ber �Strategien und �sthetiken des Ortes in
der elektonischen Musik" halten, ohne des Relativismus beschimpft zu
werden. A warm gun is happiness.
Es lag wohl auch an der integrativen Kraft des Festivals, da� sich die
Teilnehmer auf den Panels weit mehr als �blich f�r die Texte und Ideen
der anderen interessierten. Die Konferenz von einem �Virtualienmarkt"
begleiten zu lassen, auf dem sich einzelne Initiativen an verschiedenen
Messest�nden pr�sentieren konnten, war zwar vermutlich urspr�nglich als
ironischer Fingerzeig auf das Ritual akademischer Konferenzen selbst
geplant, die oft genug zu �Theorie-Messen" (Sebastian L�tgert)
verkommen. R�ckblickend jedoch l��t sich dieses Bild ganz gut
metaphorisch umdeuten: Die Zeit war nicht die schlechteste, um sich ein
bi�chen in den befreundeten Lagern umzusehen und ein paar theoretische
Werkzeuge mit nach Hause zu nehmen. Die Show stand gar nicht so sehr im
Vordergrund. Es war gewisserma�en eine Kaufmesse. Und die Nachfrage ist
im Moment gro�.
Im Vergleich zu den Aktienb�rsen reagierten die M�rkte des Protests auf
�Make World" erfreulich n�chtern. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die
Gesellschaft der Kontrolle zu einer Gesellschaft der Panik entwickelt,
wie es Franco Berardi ausdr�ckte, kehren sich die Zuschreibungen
emotionaler Klischees in bemerkenswerter Weise um: Die als hysterisch
und pathetisch verschriehene Linke findet zu alter analytischen St�rke
zur�ck, w�hrend vermeintliche Realpolitiker und rationell handelnde
Aktion�re vor Panik wild und blind werden. �Die Macht kann die
Komplexit�t der vernetzten Gesellschaft nicht mehr kontrollieren.
Deshalb verfallen diejenigen in Panik, die die Macht gepachtet haben.
Wir sollten uns von dieser Panik nicht anstecken lassen", hei�t es in
der am Rande des Festivals verabschiedeten �Volksbad-Erkl�rung".
Wenn all die aktuellen Forderungen der Protestbewegung nach globaler
Staatsb�rgerschaft, garantiertem Mindeseinkommen und grenzenloser
Freiheit immer noch nach gut gemeinter Weltfremdheit klingen, dann
t�uscht der Sound des Idealismus �ber die Angemesseneheit und
Notwendigkeit solcher Vorschl�ge nur hinweg. Jenseits aller Erkl�rungen
des guten Willens und der b�sen Ungerechtigkeiten, jenseits aller zum
Mantra geronnenen antikapitalistischen Rhetorik lie� sich in den besten
Vortr�gen auch immer Stimmen erkennen, die von einem Gestaltungswillen
sprachen, ohne sich dabei auf Ideologie oder Reformismus zu beschr�nken:
�Make world, not war." Vielleicht haben diese Stimmen ja wirklich eine
Chance, geh�rt zu werden, weil es die einzigen sind, die aus dem
allgemeinen Geschrei extrapolierbar sind. Es kann gut sein, da� der
Netzwissenschaftler Reinhold Grether Recht hat, wenn er sagt: �Um die
alte Welt zur Strecke zu bringen, brauchen wir ein Prinzip, das sie
nicht versteht, wie das Prinzip der Entfeindung, das das R�mische
Weltreich besiegt hat." Man kann das schon als Drohung verstehen: Es war
ja immer eine St�rke des Kapitalismus, sein h��liches Gesicht durch
bunte Masken zu tarnen und seine Kontrollfunktionen als Freiheit zu
verkaufen. Wenn das �Empire", wie die globale kapitalistische
Grundordnung in Antonio Negris Terminus derzeit gerne genannt wird, die
F�higkeit verliert, seine repressiven Elemente abzuschw�chen, dann
k�nnte es schon sein, da� die Versprechungen des Marktes einmal nicht
mehr gen�gen, um seine L�gen zu kompensieren.

make-world.doc