staun on Tue, 23 Oct 2001 23:05:01 +0200 (CEST) |
[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]
[rohrpost] [Fwd: [Fwd: make world text]] |
- To: [email protected]
- Subject: [Fwd: make world text]
- From: staun <[email protected]>
- Date: Tue, 23 Oct 2001 20:22:19 +0200
- To: [email protected]
- Subject: make world text
- From: staun <[email protected]>
- Date: Tue, 23 Oct 2001 16:37:38 +0200
Erstmal so. Vielleicht k�nnen Sie ja noch was damit anfangen. Ich bin morgen vormittag unterwegs. Wenn ich noch etwas �ndern soll, w�re es nett, wenn Sie mir heute noch Beschied sagen k�nnten. Danke und sch�ne Gr��e, Harald Staun Am Ende sah selbst der Mann mit der orangen Jacke etwas abgek�mpft aus. Er hatte gewi� nicht den letzten Platz belegt, im Wettbewerb der Aufmerksamkeits�konomie auf dem Make-World-Festival in M�nchen. In den reflektierenden Plastikbuchstaben des �ffentlichen Dienstes klebte der Schriftzug �Transnationale Republik" auf seinem signalfarbenen Anorak, und vorne an der Brusttasche hing ein Personalausweis, der so vertraut wie selbstgemacht aussah. W�hrend andernorts Politiker dar�ber diskutierten, in neue Dimensionen der F�lschungssicherheit vorzudringen, druckt das Einb�rgerungsamt der Transnationalen Republik ihre Ausweise mit dem Farbkopierer und verteilt sie wie Flugbl�tter. Am Stand auf dem Festival wirbt man f�r die Republikflucht wie der ADAC f�r neue Mitglieder, womit die Ernsthaftigkeit des Projekts noch nicht zwangsl�ufig diskreditiert wird. Der Staat als Club, die Republik als �Service Provider f�r B�rgerdienstleistungen", wie es auf der Website hei�t: das ist zumindest der Versuch, den global agierenden Konzernen eine global organisierte Institution entgegenzusetzen; auch wenn das so revolution�r ist, wie Greenpeace. Der Wunsch nach Ver�nderung im Gewand der M�llabfuhr: Das hatte ein bi�chen etwas von Kommunikationsguerilla und ein bi�chen von Marketing, und nat�rlich eine klare Symbolik. Bis vor kurzem konnte man �ber die semiologischen Komponenten des politischen Aktivismus aus �sthetischen Gr�nden noch ganz froh sein, und aus strategischen vielleicht sogar ganz optimistisch. Der Widerstand gegen die Globalisierung als Kampf gegen Images und als Demontage der Logos schien nicht nur tats�chlich die Seele des modernen Kapitalismus zu treffen, sondern er verlieh auch dem Protest ein neues Outfit, das endlich wieder in die Zeit zu passen schien. Weil sich aber, wenn auch nicht alles, so doch zumindest die Zeichen nun ziemlich ver�ndert haben, ist auch der Angriff gegen sie von heute auf morgen unmodern geworden. Das mit der subversiven Botschaft versehene Nike-Shirt wirkt pl�tzlich wie aus dem Kost�mfundus. Es ist schon heute das Pal�stinensertuch von morgen. Wer es ernster meinte, mit seiner Kritik an den herrschenden Verh�ltnissen, f�r den war der Versuch, die Signets des Kapitalismus gegen ihn zu verwenden schon immer eine Illusion. Die Entf�hrung der Symbole des Mainstreams war immer ein politisches Selbstmordkommando. Fr�her oder sp�ter w�rde der semiotische Guerillero feststellen, da� ihn seine Gegenkampagne h�chstens einen Job in einer Agentur verschaffte, die ihn abwarb, als w�re er auch nur einer von vielen Konkurrenten. Da� die Br�cken, die gebaut werden, damit das Kapital schneller voran kommt - so �hnlich hatte das Saskia Sassen noch einmal bei ihrer Er�ffnungsrede ausgedr�ckt - da� jene Br�cken auch ihren Mi�brauch erlauben, war ja sehr lange die Hoffnung einer nicht nur �konomsch gemeinten Globalisierung. Widerstand lief immer auf den Programmen der Mehrheit, wurde immer auch durch die Funktionen kommerzieller Technologien erm�glicht - vom Sony-Camcorder bis zur SMS. Ob aber dieser Gegenverkehr strukturell immer nur der Ventilisation diente, oder doch Chancen hatte, zur Bewegung zu werden; und ob es sich dabei verhindern lie�, da� diese Bewegung am Ende selbst zum Mainstream werden w�rde: all diese Fragen stehen jetzt gar nicht mehr so sehr im Mittelpunkt. Das Netz wird enger, und wer immer mit alten oder neuen Medien, mit Slogans oder Viren, mit Aufkl�rung oder Desinformation gegen die Dominanz kapitalistischer Dogmen protestiert hat, wird sehr bald merken, da� die Diskussion um die richtigen Werkzeuge des Dissenses von dem Kampf um diese Werkzeuge �berhaupt abgel�st wird. Nat�rlich kann man die R�ckkehr zum Konkreten, wie Geert Lovink, auch als Chance sehen. �Wir feiern das Ende der Anti-Globalisierungs-Bewegung. Jemand anderes hat sie in die Luft gejagt. Die melancholische Energie kann jetzt umgeschaltet werden, um etwas zielgerichteteres zu beginnen." Das Gespenst der Wirklichkeit spukt durch die Welt, und wer schon immer den praktischen Widerstand bevorzugt hat, sieht seine Stunde jetzt gekommen. Es war die positive �berraschung dieser Konferenz, da� sie angesichts dieses Dilemmas nicht in die Resignation verfiel. Das Spektrum der Perspektiven h�tte kaum gr��er sein k�nnen, was sich auch in der Zusammensetzung der verschiedenen Panels ablesen lie�: Da diskutierten Gewerkschaftler mit Netzk�nstlern, Post-Operaisten mit Zapatisten, Venture-Kapitalisten mit Medienwissenschaftlern, Programmierer mit Stra�enk�mpfern - und trotzdem sah es immer ein wenig so aus, als traten die Teilnehmer allesamt f�r eine gemeinsame Sache ein. Man mag vor einer derartige Homogenit�t unter anderen Umst�nden erschrecken, die Differenzen vor lauter Toleranz nur in den Hintergrund gedr�ngt werden. Doch diesmal sah so aus, als w�re es durchaus angebracht, sich einmal von seinen Gemeinsamkeiten leiten zu lassen. Es sah so aus, als ob sich der globale Protest nicht am Ende befindet, sondern gewisserma�en am Nullpunkt, bereit sich neu zu formieren. Der Londoner K�nstler Harwood hat das vielleicht am klarsten erkannt, als er vorschlug, Widerstand analog zur Elektronik zu betrachten: als Indikator von Aktivit�t. Denn was man derzeit am Widerstand wie an einem Monitor ablesen kann, ist vielleicht kein gutes Zeichen, aber ein deutliches: Trotz aller Beteuerungen der Vielfalt n�mlich, die vor und nach Genua von den Massenmedien ja gerne als Manko ausgelegt wurde, scheint sich die Erkenntnis zu entwickeln, da� jetzt nicht die Zeit f�r Grabenk�mpfe ist. Wahrscheinlich konnten auch an den vier Tagen in M�nchen nicht alle Teilnehmer etwas mit den Vorstellungen der anderen anfangen - stilistisch oder inhaltlich, oder in der Verwechslung von beidem. Die meisten jedoch sahen ganz gerne dar�ber hinweg: Da konnte einereits Valery Rey Alzaga von der Kampagne �Justice for Janitors" immer wieder an ihre �Brothers and Sisters" appelieren, ohne da� sich jemand �ffentlich vereinnahmt f�hlte, und andererseits Kodwo Eshun seinen feinsinnigen Vortrag �ber �Strategien und �sthetiken des Ortes in der elektonischen Musik" halten, ohne des Relativismus beschimpft zu werden. A warm gun is happiness. Es lag wohl auch an der integrativen Kraft des Festivals, da� sich die Teilnehmer auf den Panels weit mehr als �blich f�r die Texte und Ideen der anderen interessierten. Die Konferenz von einem �Virtualienmarkt" begleiten zu lassen, auf dem sich einzelne Initiativen an verschiedenen Messest�nden pr�sentieren konnten, war zwar vermutlich urspr�nglich als ironischer Fingerzeig auf das Ritual akademischer Konferenzen selbst geplant, die oft genug zu �Theorie-Messen" (Sebastian L�tgert) verkommen. R�ckblickend jedoch l��t sich dieses Bild ganz gut metaphorisch umdeuten: Die Zeit war nicht die schlechteste, um sich ein bi�chen in den befreundeten Lagern umzusehen und ein paar theoretische Werkzeuge mit nach Hause zu nehmen. Die Show stand gar nicht so sehr im Vordergrund. Es war gewisserma�en eine Kaufmesse. Und die Nachfrage ist im Moment gro�. Im Vergleich zu den Aktienb�rsen reagierten die M�rkte des Protests auf �Make World" erfreulich n�chtern. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Gesellschaft der Kontrolle zu einer Gesellschaft der Panik entwickelt, wie es Franco Berardi ausdr�ckte, kehren sich die Zuschreibungen emotionaler Klischees in bemerkenswerter Weise um: Die als hysterisch und pathetisch verschriehene Linke findet zu alter analytischen St�rke zur�ck, w�hrend vermeintliche Realpolitiker und rationell handelnde Aktion�re vor Panik wild und blind werden. �Die Macht kann die Komplexit�t der vernetzten Gesellschaft nicht mehr kontrollieren. Deshalb verfallen diejenigen in Panik, die die Macht gepachtet haben. Wir sollten uns von dieser Panik nicht anstecken lassen", hei�t es in der am Rande des Festivals verabschiedeten �Volksbad-Erkl�rung". Wenn all die aktuellen Forderungen der Protestbewegung nach globaler Staatsb�rgerschaft, garantiertem Mindeseinkommen und grenzenloser Freiheit immer noch nach gut gemeinter Weltfremdheit klingen, dann t�uscht der Sound des Idealismus �ber die Angemesseneheit und Notwendigkeit solcher Vorschl�ge nur hinweg. Jenseits aller Erkl�rungen des guten Willens und der b�sen Ungerechtigkeiten, jenseits aller zum Mantra geronnenen antikapitalistischen Rhetorik lie� sich in den besten Vortr�gen auch immer Stimmen erkennen, die von einem Gestaltungswillen sprachen, ohne sich dabei auf Ideologie oder Reformismus zu beschr�nken: �Make world, not war." Vielleicht haben diese Stimmen ja wirklich eine Chance, geh�rt zu werden, weil es die einzigen sind, die aus dem allgemeinen Geschrei extrapolierbar sind. Es kann gut sein, da� der Netzwissenschaftler Reinhold Grether Recht hat, wenn er sagt: �Um die alte Welt zur Strecke zu bringen, brauchen wir ein Prinzip, das sie nicht versteht, wie das Prinzip der Entfeindung, das das R�mische Weltreich besiegt hat." Man kann das schon als Drohung verstehen: Es war ja immer eine St�rke des Kapitalismus, sein h��liches Gesicht durch bunte Masken zu tarnen und seine Kontrollfunktionen als Freiheit zu verkaufen. Wenn das �Empire", wie die globale kapitalistische Grundordnung in Antonio Negris Terminus derzeit gerne genannt wird, die F�higkeit verliert, seine repressiven Elemente abzuschw�chen, dann k�nnte es schon sein, da� die Versprechungen des Marktes einmal nicht mehr gen�gen, um seine L�gen zu kompensieren.