Krystian Woznicki on Mon, 28 Jan 2002 11:24:06 +0100 (CET)


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[rohrpost] Re: SMS-Encounters


Vier Jahre Haft f�r eine Handvoll SMS

Brigitte Zarzer   28.01.2002

Aus Protest gegen die drakonischen Strafen f�r Demo-Unterst�tzer
wollen sich Eltern jetzt freiwillig verhaften lassen

  F�r die Gegenaktion zum EU-Gipfel im Juni vergangenen Jahres in
G�teborg hatten einige Jugendliche das "Infotelefon G�teborg"
initiiert. Sie lauschten Polizeifunk, versandten einige SMS an
Demo-Teilnehmer und wurden schlie�lich verhaftet. In erster Instanz
handelten sie sich Haftstrafen zwischen drei und vier Jahren ein. Vor
einigen Tagen standen die Verhandlungen in zweiter Instanz an. Jetzt
gehen die Eltern auf die Barrikaden.

  Eltern von etwa 40 Demo-Unterst�tzern wollen sich aus Solidarit�t
verhaften lassen, um gegen die harschen Urteile im sogenannten
"Infotelefon G�teborg"- Prozess zu protestieren. Das berichtet die
schwedische Zeitung [1]G�teborgs-Posten. Ein Blick auf die Substanz der
Aff�re macht ihre Aktion verst�ndlich.

  Anl�sslich der geplanten Gegenaktionen zum EU-Gipfeltreffen im
schwedischen G�teborg Juni 2001 richteten einige Jugendliche eine
Infozentrale ein. Etliche stie�en durch Zufall auf die kleine Gruppe.
In dem Mini-Infob�ro h�rten sie Polizeifunk ab und informierten per SMS
Demonstrationsteilnehmer �ber die aktuelle Situation. Empf�nger waren
etwa 62 Personen, die sich mehrheitlich auf einem Aushang im
Hvitfeldtska--Gymnasium eingetragen hatten, [2]berichtet der
schwedische Journalist Erik Wijk. Die Schule war den Demonstranten von
der schwedischen Gemeinde als �bernachtungsstelle zur Verf�gung
gestellt, allerdings �berraschend von der Polizei umstellt worden.
Diese Aktion gilt unter Globalisierungskritikern als Ausl�ser f�r die
Ausschreitungen in G�teborg.

  Wie Wijk schreibt, brach in der Schule Panik aus. Die Neuigkeiten
verbreiteten sich in Windeseile. �ber Mobiltelefone informierten die
Eingekesselten via Mobiltelefon Demonstrationsteilnehmer au�erhalb und
ersuchten um Beistand. �ber Megaphone gab es spontane Aufrufe, sich zur
umstellten Schule zu begeben. Die Aktivisten in der Infozentrale h�rten
nat�rlich auch von der Sache. Insgesamt wurden etwa 10 SMS-Nachrichten
verschickt.

  "Vier von diesen hatten einen Inhalt, der als Aufforderung zum Handeln
auf irgendeine Art ausgelegt werden kann", berichtet Wijk in der
"G�teborgs-Posten". Eine davon lautete zum [3]Beispiel: "We need
solidarity with our comrades inside the school. The police have
problems to hold the lines, they are tired and hungry." Das
interpretierte die Anklage sp�ter als Aufruf zu gewaltt�tigen
�bergriffen auf die Sicherheitskr�fte. Au�erdem beschlagnahmte die
Polizei in der Vorstadtwohnung, die als Infozentrale diente, Computer.
Darauf konnte ein Programm zum Versenden von SMS-Nachrichten
sichergestellt werden ebenso das weit verbreitete
Verschl�sselungsprogramm PGP.

  Die acht Angeklagten, die zwischen 18 und 23 Jahre alt sind, waren
nach der Festnahme sofort in Isolationshaft gesteckt worden. Die erste
Instanz verh�ngte Urteile von drei bis vier Jahren Haft. Wie bereits in
der ersten Verhandlung versuchte die Staatsanwaltschaft auch im zweiten
Prozess, der am 9. Januar 2002 begann, eine Art "Black Block"-Konstrukt
zu untermauern. Auf der alternativen Website Indymedia hei�t es in
einem [4]Bericht dazu:

     "Das Bild der Staatsanwaltschaft war recht militaristisch und sie
sprach st�ndig von Einheiten und Anweisungen. So ging ihrer Meinung
nach jede SMS an eine abgeschlossene Einheit. Um dieses Bild zu
st�tzen, wurden diverse Grafiken und Statistiken �ber die verschickten
SMS, gef�hrte Telefonate und Positionen von kontaktierten Handys im
Stadtgebiet gezeigt."

  Andere Zeugen entlasteten die Angeklagten im neu aufgerollten
Verfahren. Das Infotelefon h�tte keine sonderlich wichtige Rolle
gespielt. Auch der Umstand, dass es nach der Verhaftung der drei Frauen
und f�nf M�nner noch zu weit schwereren Auseinandersetzungen zwischen
Polizei und Globalisierungskritikern gekommen war, welche die
Angeklagten wohl kaum von den Gef�ngniszellen aus gesteuert haben
k�nnten, wurde entlastend ins Treffen gef�hrt. Angeh�rt wurde einem
Bericht der schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter" zufolge auch
Anders Svensson, ein Vertreter der Sozialistischen Partei. Er
entdramatisierte das Infotelefon. "Ich bin 25 Jahre lang
Demonstrationsverantwortlicher in meiner Partei gewesen. Es ist
gew�hnlich, dass wir den Polizeifunk abh�ren und wir haben Sp�her
drau�en auf dem Feld, die die Demonstrationsleitung �ber eventuelle
Gefahren informieren k�nnen", wird Svensson in einer
Indymedia-�bersetzung des schwedischen Artikels [5]zitiert.

  Offensichtlich fanden die entlastenden Aussagen auch jetzt wenig
Geh�r. Erik Wijk berichtet �ber den j�ngsten Prozessausgang: "Ein
Geschworenengericht sah davon ab, das Handeln der Angeklagten zu
individualisieren und verurteilte alle zu Anstiftung zu gewaltsamer
Versammlung (vergleichbar mit schweren Landfriedensbruch). Beruhend auf
dem Alter lag die Strafe zwischen drei und vier Jahren Gef�ngnis."

  Der Fall G�teborg wurde auch f�r andere inhaftierte
Globalisierungskritiker zum Trauma. Die Vorgangsweise der schwedischen
Sicherheitsbeh�rden, insbesondere die unmenschlichen Haftbedingungen,
wurden mehrmals von Menschrechtsorganisationen wie Amnesty
International kritisiert. Die teilweise drakonischen Urteile
schockierten selbst Justizkreise. Der hierzulande bekannteste Fall ist
die Verurteilung eines jungen Mitglieds der IG-Medien. Die Sch�ffen
�berstimmten bei der ersten Verhandlung im August vergangenen Jahres
den Richter. Das Urteil damals: 14 Monate Haft ohne Bew�hrung f�r den
Deutschen ( [6]Urteil nach Volkes Stimme in G�teborg).

  Die meisten Verurteilungen fielen trotz durchwegs schwacher Beweislage
�u�erst scharf aus. Dabei konnten sp�ter schwedische Medien sogar
nachweisen, dass die Polizei Beweismittel massiv manipuliert hatte (
[7]Beweise vom Schneidetisch der Polizei?). Die Angeklagten selbst
befanden sich in einer ausgesprochen schwierigen Situation. Das erste
Urteil anfechten, bedeutete n�mlich, sich weiter den Widrigkeiten der
Untersuchungshaft auszusetzen. Nahmen sie das Urteil an, so hatten sie
zumindest die Chance auf �berstellung in ein anderes Gef�ngnis mit
"normalen" Haftbedingungen. Der junge deutsche Gewerkschafter entschied
sich f�r die Berufung und wurde Ende September mangels Beweisen aus der
U-Haft [8]entlassen.

  F�r die Aktivisten vom Infotelefon sieht es aber offensichtlich auch
weiterhin schlecht aus. Aufgrund der skandal�sen Vorgangsweise der
schwedischen Beh�rden schlossen sich Eltern von Demo-Teilnehmern
zusammen. Die Gruppe "F�raldrar 2001" (Eltern 2001) setzte auch eine
[9]Petition auf, die inzwischen 1600 Personen unterzeichneten. Sie
protestieren darin unter anderem gegen die Urteile im
Infotelefon-Prozess. Gegen�ber der "G�teborgs Posten" k�ndigten sie
eine weitere Aktion an. Einige engagierte Elternteile wollen sich
demn�chst selbst bei der Polizei zur Anzeige bringen, um ihre
Solidarit�t mit den Verurteilten zu demonstrieren.

  [10]Margreth Heiras von "F�r�ldrar 2001" betonte gegen�ber der
schwedischen Tageszeitung, sie h�tte selbst die Ereignisse rund um die
Hvitfeldtska-Schule verfolgt und andere dazu aufgefordert, sich in
Richtung des eingekesselten Gymnasiums zu bewegen. Ihre solidarische
Antwort auf den j�ngsten Geschworenenspruch: "Wenn die jungen Leute vom
Infotelefon deshalb Kriminelle sind, bin ich es auch."

  Links

  [1] http://www2.gp.se/gp/jsp/Crosslink.jsp?d=100&a=66651
  [2] http://de.indymedia.org/2002/01/13789.html
  [3] http://www.de.indymedia.org/2002/01/13445.html
  [4] http://www.de.indymedia.org/2002/01/13445.html
  [5]
http://austria.indymedia.org/front.php3?article_id=6153&group=webcast
  [6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/9262/1.html
  [7] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11277/1.html
  [8] http://www.taz.de/pt/.nf/spText.Name,neoliberalismus.idx,153
  [9] http://w1.874.telia.com/~u87406675/upprop/english.html
  [10]
http://sweden.indymedia.org/front.php3?article_id=14915&group=webcast

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/11679/1.html

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