geert on Thu, 14 Feb 2002 12:27:50 +0100 (CET) |
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[rohrpost] dada lebt! |
http://www.squat.net: Dada wird begraben. Dada lebt! Am 5. Februar 1966 zog, begleitet von scheppernder Blasmusik, eine ausgelassene Menge durchs Niederdorf zur Spiegelgasse 1. Stapi Emil Landolt pers�nlich enth�llte an der Hausmauer einen gelben �Nabel der Welt� - eine vom K�nstler Hans Arp entworfene Gedenktafel, die an die Er�ffnung des �Cabaret Voltaire� f�nfzig Jahre zuvor erinnerte. Aus den umliegenden Fenstern regnete es gr�ne Papierschnitzel, auf denen geschrieben stand: �Die Schweiz ist Dada.� Drohender Umbau Am vergangenen Samstag zog wieder eine Menge, angef�hrt von Strassenmusikanten, zur Spiegelgasse 1. Mann und Frau trugen schwarzen Frack und weisses Kleid, Gl�ser klirrten, und H�ppchen wurden gereicht. Dann wurden die T�ren des Hauses ge�ffnet, in dem die Dada-Bewegung ihre Geburtsstunde gefeiert hatte - und zur wichtigsten Kunstbewegung wurde, die im letzten Jahrhundert in Z�rich ihren Ursprung hatte. 1916 trafen sich hier Emigranten wie Hugo Ball und Hans Arp. Ein paar H�user weiter, in Nummer 12, wohnte Lenin, der - so die Legende -, genervt vom Krach der Dadaisten, die Polizei herbeirief. In der j�ngeren Vergangenheit waren hier Lokale wie das �Castel Pub� oder das �Nachtcaf� beheimatet, zuletzt stand das Geb�ude �ber ein Jahr leer. Die Rentenanstalt, der das Haus geh�rt, will demn�chst umbauen: Im Erdgeschoss soll eine Apotheke einziehen, in den Etagen dar�ber sollen drei Luxuswohnungen entstehen. Nun hat ein Kollektiv von Z�rcher Kulturschaffenden das Haus besetzt, bis zum Beginn des Umbaus wollen sie darin eine �Zwischennutzung� betreiben: �Dada soll wiederbelebt werden�, schreiben sie in einer Mitteilung, �wir bedauern, dass die Stadt Z�rich das Haus beim letzten Besitzerwechsel nicht gekauft hat, um es zu renovieren und Dada endlich den Raum zu geben, den er verdient.� �Du da solltest ehren statt entleeren�, heisst es auf einem Transparent �ber dem Eingang. An die Hausecke ist ein Plakat der Kunsthaus-Ausstellung �Dada siegt global� von 1994 geklebt, im Wind flattern drei Fahnen, die eine vergr�sserte Ansicht der 50-Franken-Note mit dem Portr�t von Sophie Taeuber-Arp zeigen. �Wir wollen hier ein offenes Haus schaffen�, sagt ein Mitglied des Kollektivs. Eine Bar und eine B�hne gibt es schon, bald sollen Ausstellungsr�ume entstehen, aber auch Ateliers, �weil die Ateliersituation in Z�rich momentan katastrophal ist - es gibt keine mehr�. Einen Ort der �permanenten Transformation� plant man, welcher der �Literatur und Kunst� gewidmet ist und �Duda� getauft wurde. T�glich um 19 Uhr kann die Weiterentwicklung an einer �ffentlichen Vernissage besichtigt werden. Am Dienstag wurde der 86. Jahrestag der �Cabaret Voltaire�-Er�ffnung gefeiert. �Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt�, hiess es damals. �Wir wollen die Welt mit nichts �ndern�, heisst es heute. Zur Er�ffnung wird dreistimmig, vielsprachig und rhythmisch ein Text vorgetragen, den einst Marcel Janco, Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck am selben Ort uraufgef�hrt haben: ein St�ck Moderne. Mitternachtsmesse Dann folgen Lesungen und in den Raum geworfene Poetry. Der Slam-Bob �Team Winterthur� - zwei Frauen, ein Mann - pr�sentiert treffende Betrachtungen und Befindlichkeiten rund um Geschlechterrollen, den letzten Herbst und dar�ber hinaus. Sp�ter l�sst der Slam-Poet Etrit die W�rter wirbeln und ineinander beissen: politisch, satirisch und empirisch. Am Ende zelebriert ein Berliner �Pastor� eine Mitternachtsmesse f�r �Dada, du da, du zahnloser Rentner� und betet zusammen mit dem Publikum ein �Mutterunser in der Herde�. Inmitten des Abends auch ein Moment der Stille: Im Gedenken an die am Samstag verstorbene Schriftstellerin Aglaja Veteranyi liest eine Frau mit ruhiger Stimme f�nf kurze Texte der Autorin, darunter �Die Fremde�. �Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, H�nde von Worten. Au, oi, u�, hiess es im �Dada-Manifest�. An diesem �Duda�-Abend bringen einem W�rter zum Lachen und zum Nachdenken: S�tze, die wie Lupen funktionieren, die Dinge vergr�ssern, lustig oder schrecklich verzerren, aber auch zum Brennen bringen. �Wir brauchen keine Apotheken, wir brauchen R�ume!� ruft es irgendwann von der B�hne. Dada lebt, die Sprache ebenso. Z�rich kann sich auf dadaistische Zeiten freuen. tagesanzeiger, 7.2.2002 ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de