Florian Cramer on Fri, 15 Mar 2002 14:33:04 +0100 (CET) |
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[rohrpost] Das Betriebssystem Kunst hacken - Interview mit Cornelia Sollfrank [2/2] |
[Fortsetzung von Teil 1 und Ende.] mir ein paar Referenzen zu schicken. FC: [Lacht.] CS: Aber es gab kaum was 1995/96, und er hat mir als Referenz geschickt nat�rlich Sadie Plant und VNS Matrix - und 'Innen', das war eine K�nstlerinnengruppe, in der ich damals selber war. Er hat quasi meinen eigenen Kontext mir als Referenz geschickt. Das war eine gelungene �berraschung. Und dass er es gemacht hat, war gewiss kein Zufall. Also dachte ich, okay, ich nehme jetzt einmal an, dass es so ist [lacht], er weiss schon, welche Referenzen er mir schickt. Das habe ich arbeiten lassen in meinem Kopf. Als n�chstes kam die Einladung zum 'Hybrid Workspace' auf der documenta x, wieder von Geert, der wollte, dass ich eine Woche oder einen Block - nicht zu Cyberfeminismus, sondern irgendeinem Frauenthema - gestalte. Und diese Einladung war eigentlich der Ausl�ser f�r mich, mit dem Begriff 'Cyberfeminismus' zu arbeiten. Inzwischen hatte ich n�mlich Gefallen daran gefunden und entdeckt, dass ein enormes Potential drin steckt, das von VNS Matrix oder Sadie Plant noch gar nicht ausgenutzt worden war. Die hatten nur kleine Bereiche bespielt. Das Interessante am Cyberfeminismus ist, dass der Begriff eine klare Referenz zum Feminismus hat, also auch einen politischen Anspruch, zum anderen durch diesen ungl�ckseligen Pr�fix, der zwar belastet und beladen ist, anzeigt, dass da etwas anderes ist, eine neue Dimension hinzukommt. Dass es dieses 'Cyber' ist, bedeutet gar nicht so viel, abgesehen davon, da� es eben in diesem Hype gut funktioniert hat. Ein Pr�fix zu nehmen, das in einem Hype dahergeschwommen kommt und von allen aufgenommen wird, und es mit etwas zusammenzubringen, von dem alle (ausser dir) sagen, Oh Gott - n�mlich Feminismus - erzeugte diese Kraft. Es war das Potential, mit Feminismus zwar nicht neu anzufangen, aber einen neuen Ansatzpunkt zu finden und auch Leute zu motivieren, sich wieder mit dem Begriff auseinanderzusetzen. Theoretisch h�tte man auch den Versuch starten k�nnen, den Feminismus umzudefinieren, aber die Geschichte ist einfach zu stark und das negative Image zu m�chtig. FC: Mein Problem r�hrt wahrscheinlich von einer akademischen Perspektive her. Wir diskutieren jetzt in einem Kontext von Netzkulturen, die Mailinglisten wie Nettime und andere Foren einschliesst, in dem man sich �ber die L�cherlichkeit von 'Cyber'-Vokabeln nicht mehr unterhalten muss. Das ist abgehakt, und wenn so etwas kommt, weiss man, dass es nicht ganz ernstgemeint ist. Wenn ich mich aber im akademischen Betrieb bewege, werde ich zum Beispiel auf dem Germanistentag daf�r angefeindet, wenn ich diese 'cyber'/'hyper'/'virtuell'-Dispositive auseinandernehme, mit denen dort noch immer operiert wird, die dort eine Eigendynamik entwickelt und sich kanonisch noch mindestens f�r die n�chsten zehn Jahre festgeschrieben haben. Und genau da passt 'Cyberfeminismus' ganz glatt und wunderbar hinein, eine Vokabel, die gar nicht so experimentell und ironisch klingt, wenn man sie zum Beispiel in den Kontext der cultural studies stellt. CS: Aber was meinst Du, ist jetzt das eigentliche Problem? FC: Naja, das Problem, dass man damit einen Diskurs schafft, der im akademischen Betrieb eine Eigendynamik gewinnen kann und dann gar nicht mehr... CS: ...ach so, ja. - Das unterschreibe ich Dir voll. FC: Ein anderes Problem: Was immer sehr einleuchtet im Kontext von Feminismus, wenn man seine gesamte Geschichte betrachtet von den Sufragetten �ber de Beauvoir �ber den Differenzfeminismus der 70er Jahre bis hin zu den gender studies, dann gibt es ja eigentlich 'den' Feminismus �berhaupt nicht. CS: Nein. Klar. FC: Es gibt eine amerikanische Anthologie feministischer Theorie, die sinnvollerweise den Titel 'Feminisms', im Plural, tr�gt. M�sste es nicht eigentlich auch 'Cyberfeminisms' heissen? CS: Heisst es auch immer wieder. Zum Beispiel im Editorial zum zweiten Reader ist einmal von 'new cyberfeminism' und dann 'cyberfeminisms' die Rede. Oder, in einer Definition von Yvonne Volkart, "Cyberfeminismus ist ein Mythos, und bei einem Mythos liegt die Wahrheit oder das, worum es geht, zwischen den einzelnen Geschichten, im Unterschied." Ich finde, das sind ganz sch�ne Definitionen von Cyberfeminismus, die nicht nur Anti-Definitionen sind. FC: Du hast das cyberfeministische 'Old Boys Network' gegr�ndet, dessen Internet-Domain auf Dich registriert ist und die 'Cyberfeminist International' hat dank Deiner Organisation zum ersten Mal getagt w�hrend der documenta x. Stimmt mein Eindruck, dass es immer noch eine Gruppe ist oder ein Diskurs, der haupts�chlich gepr�gt ist von Frauen, die sich in k�nstlerischen Netzkulturen bewegen? CS: Nein, das stimmt so nicht. Zwar hatten wir auf der documenta unser erstes grosses 'gathering', doch schon diese documenta hat in verschiedene Kontexte hineingewirkt, nicht nur in den Kunstbetrieb, sondern auch in die Medieszene zum Beispiel. Im 'Old Boys Network' haben wir immer wieder verschiedene Organisationsformen ausprobiert. Die ideale gibt es nicht. Man muss ein Netzwerk irgendwie organisieren, weil es nicht von selbst da ist. Letztlich funktioniert aber keine Form richtig gut, so dass wir uns immer wieder neue Formen ausdenken. Eine zeitlang hatten wir zum Beispiel eine identifizierbare 'core group' von f�nf bis sieben Namen. Von denen waren weniger als die H�lfte K�nstlerinnen. Es gab eigentlich immer ein �bergewicht irgendwie gearteter Theorie, von Literaturwissenschaftlerinnen und Kunsthistorikerinnen ... FC: Das heisst aber, von Theorie, die sich im Kontext der K�nste bewegt. Das hat doch nach wie vor den Netzkunst-Stallgeruch... CS: F�r mich pers�nlich stimmt das, aber viele Leute in OBN w�rden sich weigern, das so zu sehen. Unser Ziel war immer schon Vielfalt, denn die Hauptidee war nicht, inhaltlich ein politisches Ziel zu formulieren, sondern wir haben gesagt, dass unsere Organisationsstruktur genauso wichtig ist wie die Inhalte. Cyberfeministin zu sein, erfordert auch, an der Struktur mitzuarbeiten, nicht bloss auf eine Konferenz zu gehen und ein Paper vorzulesen, sondern es bedeutet auch, sich um Geld zu k�mmern, mal eine Website, eine Publikation oder Veranstaltung zu machen, also strukturbildend mitzuarbeiten. 'Politics of dissent' ist ein wichtiger Begriff. Es geht darum, verschiedenste Ans�tze nebeneinander zu stellen, eine Form daf�r zu finden, dass sie koexistieren k�nnen und durch diese Reibung etwas in Gang zu setzen. So haben wir uns auch bem�ht, Frauen aus dem CCC - also Hackerinnen - und auch Informatikerinnen einzubeziehen. Vor vierzehn Tagen, bei der dritten 'Cyberfeminist International', waren zum ersten Mal mehrere Frauen aus Asien, und zum anderen Frauen von 'Indymedia' [dem globalisierungskritischen Nachrichtennetzwerk]. Es ist wichtig, den Zusammenhang immer wieder zu erweitern. FC: Ich finde es interessant, dass Du sehr viel von Strukturen sprichst, wenn ich Dich auf den Begriff des Cyberfeminismus anspreche. Ist er also eine weitere Plattform, ein weiteres System, das Du generativ programmiert hast, um dann experimentell zu sehen, was damit passiert? CS: Ist zwar gewagt, aber man k�nnte es so sagen. Wenn ich gefragt wurde, wie ich Cyberfeminismus definiere, war f�r mich immer wesentlich, Strukturen zu bauen wie das Old Boys Network und der Aspekt durch Marketingstrategien diesen Begriff zu verbreiten. FC: 1997 hatte Dich Josephine Bosma in einem Interview gefragt, "Do you think there are any specific issues for women online?" - und Du hast geantwortet: "No, I don't think so really". CS: [Lacht.] Das glaube ich immer noch. FC: Ja? - Das war meine Frage. CS: Nach viereinhalb Jahren Cyberfeminismus und Kontexten wie 'Frauen und neue Medien', in denen ich inzwischen herumgereicht werde, ist meine Beobachtung, dass man diesen Bereich in zwei Bereiche teilen kann. Das eine ist der Bereich des 'access', also, ob Frauen gleichen Zugang zu Wissen und Technik haben, was ein soziales Problem ist. Darum kreisen viele Bem�hungen. Das zweite ist, wenn der Zugang existiert, die F�higkeiten da sind, was passiert dann auf dem Netz oder mit dem Medium? Worin unterscheidet es sich, WAS gemacht wird? Dazu gibt es wenig �berzeugendes. Das meiste ist m�hsam herbeidefinierter essentialistischer Quatsch, mit dem ich nichts zu tun haben will und der bestehende ungute Verh�ltnisse eher festschreibt als tats�chlich etwas aufbricht. Feministische Medientheorie, die dar�ber hinausgeht ist eine grosse Marktl�cke. FC: Stichwort 'essentialistischer Quatsch': Stimmt meine Annahme, dass einerseits Dein Focus auf Systemen und auf Spielregeln bzw. Spielen, die Du in Gang setzst, um zu beobachten, was passiert - ob das nun Cyberfeminismus ist oder Netzkunstgeneratoren, deren Output in einen Wettbewerb eingereicht wird, - dass dies alles eine anti-essentialistische Strategie ist, und auch Deine Appropriationen, das Plagiieren und Nehmen vorgefunder Materialien so zu verstehen ist? CS: Es gibt ja nicht wenige K�nstlerinnen, die davon ausgehen, dass Frauen eine eigene �sthetik entwickeln m�ssen, mit der sie herrschenden Verh�ltnissen entgegenwirken. Damit hatte ich immer Probleme und wu�te nicht, was das sein k�nnte, ohne sich selber wieder festzuschreiben in Rollen oder Definitionen, die dann ganz leicht wieder gegen einen, gegen die Frauen oder die Frau gewendet werden k�nnen. Das ist ja das Problem von Essentialismus. Die Differenz, auch wenn ich sie selber beschreibe, kann dann ja auch ganz leicht wieder umgedreht werden. Ich glaube, da kommt man nicht weit, das f�hrt... Ausserdem war eine der Miseren der Identit�tspolitik, dass von bestimmten Gemeinsschaften und Gruppen entwickelte ... einfach wieder nahtlos in den ... integriert wurden - eine v�llige Umkehrung also der eigentlichen Intention. FC: Das w�rde dann Kunst betreffen wie die in der zweib�ndigen Suhrkamp-Anthologie 'Frauen in der Kunst' von Gislind Nabakowski, Helke Sander und Peter Gorsen... CS: Die kenne ich gar nicht [lacht]... FC: ...oder Kunst wie die von Kiki Smith, die ich als Antithese zu Deiner Kunst sehe. CS: Mag sein. Mein Problem im Moment ist trotzdem, dass das Thema Cyberfeminismus mich etwas in eine Ecke abgedr�ngt hat, in die 'Frauenecke'. Was aber eine gr�ssere Klammer w�re, ein gr�sseres Interesse meiner Kunst, wird kaum noch wahrgenommen. Deswegen bin ich entschlossen, wieder andere Themen aufzugreifen. Die Arbeit mit Sch�nberg war ein erster Schritt, das Spektrum zu erweitern - obwohl ich mich nach wie vor gern mit vielen tollen Frauen umgebe [lacht]... FC: Wenn Du sagst, dass Du aus der cyberfeministischen Ecke herausm�chtest, frage ich mich, ob - wie in der Sch�nberg-Installation - Deine anti-essentialistischen Strategien des Konstruierens und Produzierens von Systemen und Situationen einerseits und des Plagiierens andererseits nicht dennoch eine feministische Komponente haben? CS: Die hat es sowieso immer, weil ich ein feministisches Bewusstsein habe und damit an das Betriebssystem Kunst herangehe, egal was ich mache. Das war bei 'Female Extension' so und ist immer implizit. FC: Mir f�llt auf, da� gerade in der codeexperimentellen Netzkunst Frauen sehr stark vertreten sind. CS: Ja? FC: Aus meiner Sicht, ja. Jodi z.B. sind ein m�nnlich-weibliches Paar, ebenso 0100101110111001.org. Dann denke ich an mez/Mary Anne Breeze oder auch antiorp/Netochka Nezvanova, von der man mittlerweile weiss, dass eine Neuseel�nderin ihren Kern bildet... CS: Ach nee!!! FC: Doch! CS: Weisst Du das sicher? FC: Ja! CS: Ich arbeite n�mlich gerade an einem Interview mit Netochka Nezvanova... FC: ...toll! CS: Ja, sie erz�hlt mir alles! Was sie denkt �ber die Welt - und den Kunstbetrieb... [lacht] FC: Das ist also jemand, der Dich auch fasziniert... CS: Ich finde es als Ph�nomen nat�rlich �usserst interessant und frage 'sie' Dinge, wie z.B. welche Rolle die Tatsache, dass sie eine Frau ist f�r ihren Erfolg spielt... Schliesslich stecken mehrere Personen dahinter. FC: Aber der Kern ist eine Frau. CS: Super! Eine neue Theorie zu N.N. Ich habe so viele Leute befragt zu ihr, und jeder hat andere, ganz widerspr�chliche Informationen. Die letzte Theorie, die mir unterbreitet wurde hat zu dem Medientheoretiker Lev Manovich gef�hrt. FC: [lacht.] Es ist ein gutes Konzept, auch ein social hack und ein System, das in Gang gesetzt wurde... Und etwas, das sich dematerialisiert. CS: Deswegen finalisiere ich auch dieses Konzept. Ich will sie killen, indem ich ein Interview mache, in dem sie ihre ganzen Strategien preisgibt, was sie nat�rlich nie selbst machen w�rde. Das ist meine Idee... FC: In Deinem Interview mit 0100101110111001.org bist Du ziemlich hart mit den beiden ins Gericht gegangen - gut, wie ich �brigens fand - in der Diskussion des 'biennale.py'-Computervirus. Du hast davon gesprochen, da� es eine �sthetische Code-Attit�de produziert, die aber nicht wirklich aufkl�rerisch sei, weil niemand diesen Code lesen k�nne. W�rdest Du trotzdem nicht auch dieser Intervention zugestehen, dass sie eine Form des 'social hacking' ist? CS: Ja, klar. Das ist sie, aus meiner Sicht, sogar in allererster Linie. Die Art und Wiese, wie da der Code �sthetisiert wurde, war ein Nebenaspekt, etwas, das, wie ich glaube, den beiden gar nicht so bewusst war, weil sie sich wenig mit dem Kunstsystem oder mit solchen Problemen besch�ftigen. Das war eine Falle, in die sie versehentlich getreten sind. Nat�rlich war der Virus ein social hack. Dass es Virus hiess, hat eigentlich schon gen�gt. Der Code h�tte auch gar nicht funktionieren oder irgendein Unsinn sein k�nnen, ohne dass es der Sache Abbruch getan h�tte. FC: Braucht man dann, Deiner Meinung nach, �berhaupt solche Labels wie 'Netzkunst', wenn es doch eigentlich nicht auf das Medium ankommt? CS: Ich finde das problematisch. Ich denke, solche Labels, die Kunst nach dem Medium zu kategorisieren, haben in der Anfangszeit eines Mediums, wenn es neu ist in der Massenverbreitung einen Sinn. Da w�rde ich ja auch heutzutage sagen, das macht keinen Sinn, Videokunst, denn es gibt so eine Videokunst und so eine Videokunstund eine Million Themen und was wei� ich was, wie man mit Video umgehenkann. Ich finde es am Anfang interessant, gerade in der Phase, in derauch viel damit experimentiert wird, was eigentlich das Potential desMediums ist, wie jodi zum Beispiel und solche Sachen. Und das istirgendwann einmal auch ausgelotet. Da gibt es vielleicht noch ein paarNeuerungen an der Peripherie, die man dann mal wieder mitnehmen kann,aber ich denke, diese Aspekte sind dann auch ausgelotet, und es gehtdann in eine andere Richtung, und dann sind andere Kategoriensinnvoller, die dann sich wirklich mehr angliedern lassen an Kunst...[Band zuende]{CS: Ich denke, solche Labels sind in der Anfangszeit sinnvoll, wenn einMedium relativ neu ist, neu vor allem in der Massenverbreitung, und sichdamit auch gesellschaftliche Ver�nderungen ergeben. In solch einer Anfangszeit hat es Sinn, Kunst nach einem Medium zu benennen. So war esauch in der Videokunst, doch w�rde ich heute sagen, da� dieser Namenicht mehr sinnvoll ist, denn es gibt eine Million Arten, wie man mit Video umgehen kann. Am Anfang finde ich eine so definierte Kunst interessant, in der Phase, in der experimentiert wird, was eigentlich das Potential des Mediums ist, wie es in der Netzkunst jodi zum Beispiel gemacht haben. Fr�her oder sp�ter ist das aber ausgelotet. Es gibt dann vielleicht noch ein paar Neuerungen an der Peripherie, die man wieder mitnehmen kann, doch insgesamt geht es in Richtungen, in denen andere Kategorien sinvoller werden. FC: Wenn ich mir jedoch Deine Arbeiten ansehe, entwickeln sie nicht, wie zum Beispiel die Netzkunstgeneratoren, ihre Konzepte, Systeme 'social hacks' aus Medien heraus? CS: In diesem Fall schon, ja. Aber es mu� nicht zwangsl�ufig so sein. Der Begriff Netzkunst war auch ein ganz guter Marketing-Gag und hat solange gut funktioniert, bis die Marketing-Strategie quasi erfolgreich war, und dann ist alles zusammengeklappt [lacht]. FC: K�nntest Du in jedem beliebigen Kontext arbeiten? Wir treffen uns hier auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Clubs. K�nnten wir uns genauso gut auf einem Jahreskongre� von Briefmarkensammlern treffen, und dies w�re dann das soziale System, in das Du k�nstlerisch intervenieren w�rdest? CS: Theoretisch ja [lacht]. Ich glaube, wenn man das einmal geschafft hat mit den Hackern, der Hackerkultur, dann schreckt einen nichts mehr - auch nicht Briefmarkensammler oder Kleing�rtner ... FC: ...oder Hotelflure. CS: Nein, theoretisch ist zwar viel m�glich, praktisch aber nicht. Mein Interesse ist ja nicht rein formal und rein auf das Betriebssystem ausgerichtet. Das ist zwar interessant, aber wenn nicht auch das, was in diesen Systemen verhandelt wird, oder die Leute darin von Interesse f�r mich sind, kann ich mir das kaum vorstellen. FC: Das heisst, auf einem Hackerkongress ist Dein Bezug, dass da Leute mit Systemen spielen und kritisch �ber Systeme nachdenken. CS: Und was ich auch interessant finde, ist, dass Hacker unabh�ngige Experten sind, also Programmierer, die an der Sache wirklich um ihr selbst willen interessiert sind und nicht im Dienste von �konomie oder Politik t�tig sind. Das ist eigentlich das Wesentliche f�r mich. Und deshalb sind Hacker f�r mich auch eine wichtige Informationsquelle. FC: Aber damit landen wir doch wieder beim klassischen Konzept des autonomen K�nstlers, wie es im 18. Jahrhundert gepr�gt wurde, dem freischaffenden Genie, das kein angestellter Auftragsk�nstler mehr ist, sich selbst definiert und auch keinem Regelwerk mehr folgt. CS: Ja, wahrscheinlich hat dieses Bild des Hackers sehr viel mit so einem K�nstlerbild zu tun. Wenn ich �berlege, wo ich die Kunst in der Gesellschaft ansiedele, ist es aber weniger der individuelle K�nstler, sondern die Kunst selbst, die ich gerne als autonom sehen w�rde. Dass Kunst beobachtet, Stellung bezieht, kommentiert und versucht, andere Perspektiven aufzuzeigen, um das so allgemein zu formulieren. Und das, glaube ich, ist zur Zeit gef�hrdet. Aber es ist meist problematisch, von Autonomie zu reden, denn irgendjemand muss daran aureichend Interesse haben, um es zu finanzieren. Und es erst einmal bequem, wenn die �ffentliche Hand das macht, wie es hierzulande in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Dass dies aber wichtig ist, sieht man ja, zum Beispiel an der Pop Art oder der Neuen Musik; in den 60er und 70er Jahren sind K�nstler aus der ganzen Welt nach Deutschland gekommen, weil es hier einfach M�glichkeiten gab zu arbeiten, die nirgends sonst existierten. Und so sehe ich es schon als Aufgabe eines Staates an, Geld zur Verf�gung zu stellen. Und die Entwicklung, die wir momentan erleben, finde ich katastrophal. Vor kurzem hat mich jemand gefragt, wie ich die Zukunft der Kunst s�he, und nach einigem Nachdenken zeichnete sich mir das Bild eines Gro�raumb�ros ab, mit lauter K�nstlern, die alle gleich aussehen und von irgendeiner Firma bezahlt werden [lacht], einer Kunst, die von �konomischen Interessen funktionalisiert wird. Das finde ich eine Katastrophe. Was nicht heisst, da� ich mich grunds�tzlich nicht sponsern lasse von Firmen, aber das lasse ich eben nur punktuell zu. FC: Spielen hier die elektronischen K�nstler nicht die Vorreiterrolle, weil so extrem von Technologie abh�ngig sind? CS: Das ist ein echtes Problem, finde ich. Das ist wirklich ein ganz, ganz grosses Problem. Vorreiterrolle... FC: ...durchaus im negativen Sinne... CS: ...im Prinzip, ja. Das ist ein ganz schwieriges Feld. Deshalb f�nde ich es interessant, wenn zum Beispiel die ars electronica, der es ja offensichtlich an echten Themen mangelt, einmal mit dem Schwerpunkt Freier Software stattfinden, auf die ganzen corporate sponsors verzichten und nur Kunstwerke auszeichnen w�rde, die mit Freier Software erstellt worden sind, um zu sehen, was man damit auf die Beine stellen kann. Das f�nde ich total spannend. FC: Wobei die Freie Software ja auch abh�ngig ist von 'corporate sponsors'. Es gibt ja kaum ein gro�es Freie Software-Projekt, in dem nicht auch Firmen mitmischen und direkt oder indirekt auch deren Interessen einflie�en. CS: Beim Vertrieb dann sp�testens... FC: Ja, aber auch schon bei der Entwicklung. Der GNU C-Compiler zum Beispiel geh�rt Red Hat, IBM steckt momentan Milliarden in die Entwicklung von Linux, und das sind nat�rlich strategische Investitionen. Fast jeder prominente freie Entwickler steht auf der Gehaltsliste irgendeiner Firma. CS: Also Du meinst, Freie Software ist letztlich doch eine Utopie... FC: Nein, ich w�rde nicht sagen, dass es eine Utopie ist, die nicht eingel�st w�rde. Der Code bleibt immer frei, und auch die Entwickler k�nnen auch in der momentanen Rezession noch relativ selbstbestimmt arbeiten. - Aber ich glaube nicht, da� dies dem Typus des autonomen K�nstlers entspricht. CS: Das ist das Problematische des Autonomie-Begriffs. Hackersein, zum Beispiel, ist ja kein Beruf. Ein Hacker ist vielleicht sogar in einer Firma angestellt, aber das Hacking findet ausserhalb davon statt. Und hier finde ich wiederum den Vergleich mit Kunst interessant. Man kommt n�mlich in eine interessante Zwickm�hle: Ist K�nstlersein ein Beruf oder nicht? Ich kann ja auch als Krankenschwester arbeiten und K�nstlerin sein, in dem, was ich sonst mache. - Ich bin in der IG Medien als K�nstlerin, interessiere mich f�r Berufsverb�nde von K�nstlern und daf�r, wie man �bergeordnete Interessen von K�nstlern vertreten kann in dem Sinne, da� K�nstlersein ein anerkannter Beruf sein muss, der gesichert und, wie von der K�nstlersozialkasse, auch versichert ist. Doch dann kommt man sehr schnell in die Bredouille mit dem Autonomie-Begriff. Da hadere ich selbst mit mir und bin mir nicht sicher. Zwar finde ich es grunds�tzlich richtig, darauf zu pochen, da� K�nstlersein auch ein Beruf ist und K�nstler lernen m�ssen, mit Geld umzugehen, Vertr�ge zu schlie�en und auf ihre Rechte zu achten. Aber das erscheint allerdings wie ein Widerspruch zu diesem autonomen Kunstbegriff, dem ich auf irgendeine Art auch anh�nge. FC: Vorhin sagtest Du, da� Du Gerfried Stocker widersprichst, wenn er Kunst mit Kreativit�t gleichsetzt. Wenn K�nstlertum f�r Dich ein Beruf ist, ein definierbares und somit unterscheidbares Subsystem einer Gesellschaft, w�re dies ja auch eine Antithese zu einem 'erweiterten Kunstbegriff' � la Fluxus - oder von Beuys, f�r den "jeder Mensch ein K�nstler" ist. CS: Ich w�rde einfach hinzuf�gen 'potentiell'. Ich finde, es sollte keine Mechanismen oder Kriterien geben, die irgendjemanden per se ausschliessen sollten, aber ich glaube, dass nicht jeder ein K�nstler ist, obwohl jeder es sein k�nnte, wenn er oder sie wollte. Die meisten, so glaube ich jedoch, wollen das gar nicht. [Wir schalten das Tonbandger�t ab und unterhalten uns �ber die Notwendigkeit, Dinge einerseits zu tun und andererseits wieder �ber den Haufen zu schmeissen, kommen dar�ber auf Neoismus und seine inneren Querelen.] CS: Solche Querelen k�nnen ja existentiell werden, einen sehr mitnehmen, reinziehen. Das kriegt dann pl�tzlich so etwas wahnsinnig Authentisches, wovon ich mich sonst versuche zu distanzieren. FC: Aber das ist wichtig. Wenn ich Standardvorw�rfe h�re wie etwa den, dass die Besch�ftigung mit Systemen und ihrer Aushebelung, mit Plagiaten, F�lschungen und Manipulationen von Zeichen langweiliges postmodernes Zeug sei ohne existentielle H�rte, dann kann ich nur entgegnen, da� wer dies behauptet, so etwas noch nie radikal durchgezogen hat. Zumal dies, gerade auf pers�nlicher Ebene, ins Mark gehen kann. - Du hattest vorhin auch die 'Innen'-Gruppe angesprochen, in der Du offenbar vor Deiner Besch�ftigung mit Netzkunst in den fr�hen 90er Jahren gearbeitet hast... CS: Ja, '93-96. FC: ...und das war, wenn ich es richtig verstehe, auch ein 'multiple identity'-Konzept. CS: Ja, und obwohl wir sehr spielerisch und ironisch damit umgegangen sind, ist es pl�tzlich so bedrohlich geworden, dass wir es aufgeben mussten. Wir hatten das Eins-Sein zum Teil sehr extrem betrieben, indem wir ganz genau gleich aussahen, und auch das, was wir sprachen, v�llig standardisiert hatten. Wir wollten nur noch in alle vier Himmelrichtungen auseinanderlaufen und uns nie mehr begegnen. FC: Ist das der Punkt, an dem Kunst potentiell zur Religion oder zur Sekte wird? CS: Wenn man es dann nicht aufgibt... FC: ...wenn man es dann nicht aufgibt. Denkt man zum Beispiel an Otto Muehl und seine Kommune... CS: Das genau ist der Punkt, an dem man sich losl�sen muss ins Unbekannte, herausgehen aus dem Definierten und sich wieder neu erfinden, was schwierig ist. Diese Prozesse auch noch in einer Gruppe zu bewirken, ist, so glaube ich, unm�glich. Es gibt vielleicht Ehen, die das schaffen, einzelne Paare, die wirklich �ber die Jahre hinweg sich selbst immer wieder neu definieren und sich als immer wieder neue Menschen neu in Beziehung setzen, so dass es Sinn hat und vital ist. FC: Sind auch Deine Projekte f�r Dich Ehen oder Sekten oder Gruppen? CS: Es hat viel damit zu tun! Das ist ganz erstaunlich, ja! Schon mit der Verbindlichkeit, die da herrscht. Denn es funktioniert ja nicht, wenn es nicht eine gewisse Verbindlichkeit gibt, eine Verbindlichkeit auch der Dynamiken, wie Rollen vergeben werden oder man sie sich sucht. FC: Also hat das Entwerfen von solchen Systemen auch immer etwas mit Kontrolle und Kontrollverlust zu tun? Am Anfang bist Du noch der Designer, und Du definierst die Spielregeln, doch dann wirst selbst zum Teil des Spiels, und es wird Zeit auszusteigen. CS: Ich kann zwar meine Vorstellungen haben, aber die anderen haben gelegentlich andere Vorstellungen. Es geht dann nicht mehr, wenn die Auseinandersetzungen nicht mehr fruchtbar sind. Beim 'Old Boys Network' unternehmen wir gerade den Versuch, das Label freizugegeben. Das durchzudenken und uns vorzustellen, war aber auch ein schmerzlicher Proze�. Man denkt: "Oh Gott, da macht jemand etwas ganz Schreckliches damit, das ist doch Schei�e". Aber wenn wir konsequent sein wollen, m�ssen wir eben damit leben. Dann kommt der Moment, in dem man auch sein eigenes Verh�ltnis zum eigenen Konstrukt ver�ndern muss, was nicht ganz einfach ist. FC: Wie war es denn bei 'Improved Tele-vision', wo das System schon vorgegeben war? Soweit ich es �berblicken kann, war diese Arbeit doch Deine erste, in der Du nicht ein System entworfen, sondern Dich in einen Proze� eingeklinkt hast, der schon lief. CS: Das war auch einfach, ja [lacht]. Das war auch nicht so eine schwere Arbeit [lacht]. FC: K�nntest Du Dir zum Beispiel vorstellen, bewusst aus dem 'Old Boys Network' auszusteigen... CS: Inzwischen ja! FC: ...und es bewusst, vielleicht drei Jahre oder l�nger, �berhaupt nicht wahrzunehmen, nach dieser Periode aber wieder einzusteigen, allerdings mit einer k�nstlerisch beobachtenden Haltung wie in 'Improved Tele-vision'... CS: Eine sch�ne Vorstellung, aber ich glaube, dass es nicht funktioniert wird. Denn ich habe die anmassende Bef�rchtung, dass es das 'Old Boys Network' drei Jahren nach meinem Ausscheiden nicht mehr geben w�rde. [Lachen]. FC: Dabei ist es doch ein generischer Name. 'Old Boys Networks' gibt es immer, nur sind sie in den seltensten F�llen feministisch. [Lachen]. CS: Problematisch ist, dass es Netzwerk heisst, aber eine Gruppe ist. Das war f�r uns selbst eine gro�e Falle, denn wir haben uns jahrelang geweigert wahrzunehmen, dass wir kein Netzwerk, sondern eine Gruppe sind , auch wenn es ein Netzwerk gibt, das irgendwie um diese Gruppe assoziiert ist. FC: Das ist aber, so scheint es mir, �berhaupt eine Selbstt�uschung in vielen sogenannten Netzkulturen. Ich behaupte zum Beispiel, da� auch 'Nettime' und die 'Netzkultur', die es zu vertreten vorgab, eine Gruppe war, bis ungef�hr 1998. CS: Das geht auch nicht anders. Ein Netzwerk kann nicht anders entstehen. Es mu� ja irgendwo Verdichtungen geben, eben auch von Verbindlichkeiten. Ein 'Netzwerk' w�rde ich nicht als sehr verbindlich bezeichnen. FC: Wie h�ngen dann Deinem Verst�ndnis nach Netzwerk und System zusammen? CS: Ich denke, ein System ist klarer strukturiert und definiert, mit klaren Spielregeln und Spielern. Ein Netzwerk ist offener, loser. Oft wei� man gar nicht, dass man zu einem Netzwerk geh�rt und umgekehrt, wohingegen Teil eines Systems zu sein ganz klar bedeutet, dass man sich an dessen Regeln h�lt. FC: Jetzt w�rde mich interessieren, ob f�r Dich sowohl Systeme, als auch Netzwerke notwendigerweise eine soziale Komponente haben. Man k�nnte ja behaupten, da� es rein technische Netzwerke und rein technische Systeme gibt. Deine Arbeiten intervenieren wahlweise in soziale oder technische Netzwerke, letztlich ist die Intervention aber immer ein soziale. Sind f�r Dich Systeme und Netzwerke, so wie Du sie eben definiert hast, �berhaupt denkbar ohne soziale Partizipation? CS: Nein. Gar nicht. Denn die Regeln werden ja von jemandem festgelegt. Auch ein Computerprogramm wird oft versehentlich als etwas Neutrales gesehen. Microsoft Word zum Beispiel. Jeder denkt, Word kann nur so sein, wie Word ist. Das ist aber nicht so, es k�nnte auch ganz anders sein... FC: ...was ja Matthew Fuller in seinem Text "It looks like you're writing a letter: Microsoft Word" minuti�s analysiert hat... CS: Ja, da stecken ganz viele individuelle Entscheidungen drin, von einem Programmierer und von jemandem, der sagt, man muss die Benutzer so f�hren, dahin lenken oder dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun. FC: In der Kunst gibt es ja auch �ltere Versuche, selbststeuernde Systeme zu entwickeln. Hans Haacke hat in den 60er Jahren einen 'Condensation Cube' aus Glas gebaut, auf dessen W�nden sich je nachdem, wieviele Betrachter sich im Ausstellungsraum aufhalten, Wasser niederschl�gt. So etwas w�re f�r Dich nicht interessant? CS: Nein. Das glaube ich nicht. Bei generativer Kunst ist es ja auch oft der Fall, dass einfach ein System in ein anderes transformiert wird. Das finde ich total langweilig. Es sollte immer ein Impuls davon ausgehen, der eine Ver�nderung bewirkt. # The interview by Cornelia Sollfrank and Florian Cramer was # commissioned for the new transcript series of books on Contemporary # Visual Culture published by Manchester University Press in association # with School of Fine Art, Duncan of Jordanstone College of Art and # Design, University of Dundee. A shorter version of this interview # will be published in volume II of this series 'Communication, # Interface, Locality', edited by Simon Yuill and Kerstin Mey, # forthcoming autumn 2002. Please see MUP website: # www.manchesteruniversitypress.co.uk # Dieser Text unterliegt der Open Publication License Version 1.0 # <http://opencontent.org/openpub/> und darf gem�� ihrer Bestimmungen # weiterverwendet werden. ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de