Florian Cramer on Thu, 2 May 2002 15:53:02 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Christoph Albrecht/FAZ) zur Urheberrechtsdebatte |
Aus der heutigen FAZ: M wie Moneten: Wir brauchen den radikalen Kulturkapitalismus Ein entsetztes Raunen lie� das Publikum vernehmen, das sich auf einer Tagung der Heinrich B�ll-Stiftung in Berlin versammelt hatte, um mit Vertretern von Forschung, Politik, Rechtswissenschaft, Verlagen, Verwertungsgesellschaften sowie Bibliotheken �ber das Teilen und das Kontrollieren von Information, dem Heiligen Gral der sogenannten Wissensgesellschaft, zu debattieren. Willms Buhse, ein junger Bertelsmann, legte in der Rolle des reinen technischen Toren und zum Schrecken des Publikums auf den wilden Schwan der Informationspiraterie an und traf ins Herz unserer sogenannten Informationsfreiheit. Er pr�sentierte ein Konzept namens "rights locker", mit dem sich unsere digitalen Kulturlizenzen k�nftig so sicher wegschlie�en lassen wie Wertpapiere in einen Banksafe. Aber ist Information denn nicht frei? Geh�rt sie nicht uns allen? Droht die totale Macht dunkler "Datenherren"? Will uns die Unterhaltungsindustrie mit Hilfe eines demn�chst zu verabschiedenden "Erm�chtigungsgesetzes" zum Urheberrecht unseres Grundrechts auf Informationsfreiheit berauben? Wird man sogar bisher frei zug�ngliches Gemeineigentum an Informationen einz�unen, wie der renommierte Informationsrechtler Thomas Hoeren zu bedenken gab? Die Berliner Tagung k�nnte und sollte Auftakt einer breiteren Debatte sein. Eine Vertreterin der Partei der Gr�nen hielt die Wahlkampfparole "Rettet die Privatkopie" f�r denkbar. Denn nach der in Berlin vorherrschenden Meinung will uns die Industrie teilweise enteignen, indem sie digitale Sperren gegen das Kopieren in ihre Produkte einbaut. Ersparnisse erfreuen das Ohr Wir k�nnen uns die Zukunft solcher Systeme aber auch anders vorstellen. Viele Deutsche haben in der letzten B�rseneuphorie gelernt, per Internet beim Discount-Broker Aktien zu kaufen und zu verkaufen. Wie hoch die Verluste und wie tief die Entt�uschung �ber die Resultate letztlich gewesen sein m�gen - ohne es zu ahnen, haben sie gleichzeitig erfahren, wie Kultur k�nftig funktionieren und ihr Erwerb technisch "abgewickelt" werden wird. Sie sind wohl am besten auf die Kulturrevolution vorbereitet, die uns bevorsteht. Ein kapitalismuskritischer franz�sischer Soziologe hat einmal den Ausdruck "kulturelles Kapital" gepr�gt. Gemeint sind damit Einstellungen, Gewohnheiten, Wissen, Titel und andere informelle und formelle Eigenschaften, die den gesellschaftlichen "Wert" jedes einzelnen bestimmen. Die Metapher ist geeignet als Blaupause einer technischen Realit�t. Stellen wir uns vor, wir wollten das Recht erwerben, die "Hamburger Sinfonien" von Carl Philipp Emanuel Bach in der Einspielung des Freiburger Barockorchesters so oft zu h�ren, wie es uns gef�llt. Dazu erteilen wir unserer Haus- oder Depotbank einen Kaufauftrag. Das Geld wird von unserem Girokonto abgebucht und an den Lizenzgeber �berwiesen, unsere Bank nimmt die Lizenz in Girosammelverwahrung und schreibt sie unserem Musikaliendepot gut. Wir sind damit anteilige Eigent�mer am musikalischen Kapital eines k�nstlerischen Werks von einzigartiger Farbigkeit und Spritzigkeit geworden. Sooft wir das Werk mit einem unserer Abspielger�te h�ren wollen - sei es in bester Stereoqualit�t daheim oder, weil wir einfach s�chtig danach sind, etwas banausischer im Auto oder mit Kopfh�rer in der Badeanstalt -, jedesmal pr�ft unser station�res oder portables Ger�t per Internet, ob wir die legitimen Anteilseigner des Werks sind. Vielleicht waren wir so dumm, die Lizenz unserem besten Freund zum Geburtstag zu schenken (die Gesch�fte waren schon alle geschlossen) oder sie einer guten Freundin zu leihen: In diesem Fall m�ssen wir sie neu erwerben, um sie zu besitzen, oder wir m�ssen sie uns wieder auf unser pers�nliches Musikdepot zur�ck�berweisen lassen. Ein Anruf gen�gt. Weil wir auf den Schutz unserer Privatsph�re gro�en Wert legen, m�gen wir vielleicht besonders dieses Modell einer anonymen Teilhaberschaft mit einer zwischengeschalteten Depotbank, die unsere Lizenzen verwaltet. Aber es sind auch andere Modelle denkbar. Als Inhaber einer nichtanonymen Namenslizenz etwa k�nnen wir zur Fangemeinde des Freiburger Barockorchesters geh�ren und erhalten Informationen �ber neue Einspielungen und Konzerttermine, Werbung f�r �hnliche Musikprodukte und ein Vorkaufsrecht f�r Konzertkarten. Oder wir geh�ren zu jenen bedauernswerten Kreaturen, die noch nie in den Genu� von Werken des genialen St�rmers und Dr�ngers C. Ph. E. Bach gekommen sind, aber seine "Hamburger Sinfonien" gerne einmal probeh�ren m�chten. Dann erwerben wir - eher nach dem Modell der Anleihe als nach dem der Aktie - eine Schnupperlizenz zum lediglich einmaligen H�ren. Deren Preis jedoch wird uns gutgeschrieben, wenn wir uns bei Gefallen f�r die Volllizenz entscheiden - die Musikanleihe ist dann wie eine Wandelanleihe, aus kulturellem Fremdkapital wird Eigenkapital. Der totale Kulturkapitalismus - wir k�nnen oder m�ssen uns darauf einstellen, da� er f�r den wachsenden digitalen Anteil der Kultur innerhalb der n�chsten Jahre Wirklichkeit werden wird. Technisch dreht er sich um das sogenannte "Digital Rights Management" (DRM), das sind Systeme, die es erm�glichen, den legitimen Zugriff auf digitale Ressourcen zu kontrollieren. Der rechtliche Rahmen zur Installation und zum Schutz solcher Systeme wird in Europa gerade geschaffen. Bis Ende dieses Jahres mu� Deutschland die EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) verabschieden. Ein umstrittener Referentenentwurf zum "Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" zur Umsetzung in Deutschland liegt seit M�rz vor. Er wird von Interessenverb�nden der Industrie, Informationswissenschaftlern und Juristen kritisiert, und man fordert ein Moratorium, um dar�ber �ffentlich beraten zu k�nnen. Dennoch wird er vermutlich noch dieses Jahr verabschiedet werden, denn bisher hat der Protest keinen nennenswerten Widerhall in der �ffentlichkeit gefunden. Die bestorganisierte Interessengruppe ist die Musik- und Filmlobby, die sich f�r DRM-Systeme und ihren rechtlichen Schutz stark macht. Aus der Sicht der Unterhaltungsindustrie werden n�mlich die mit reichen Sch�tzen beladenen Schiffe aus dem Land Phantasien von inzwischen zu vielen digitalen Piraten gepl�ndert. Die westindischen Unterhaltungskompanien rufen deshalb nach dem Staat, der den Verkehr auf den Weltmeeren des Internets entlang den kulturellen Verwertungsketten mit Kriegsschiffen eskortieren soll. Der ganze Verkehr drohe sonst unwirtschaftlich zu werden und die Gewinnung und Einfuhr des kulturellen Goldes zum Erliegen zu kommen. Der Staat der digitalen Neuzeit wird hier gerade neu erfunden. Gegenw�rtig beherrschen linksliberale Schwarzseher die Debatte. Mit ihren Gegnern in der Unterhaltungsindustrie haben sie immerhin einen gewaltigen Aktivposten gemein: die Phantasielosigkeit. Der blinden Paranoia dort entspricht die miserable �ffentlichkeitsarbeit hier. Die Konzerne n�hren Verschw�rungstheorien, indem sie ihre Lobbyisten im verborgenen auf ahnungslose Politiker oder ihre Juristen �ffentlich auf jugendliche Computerhacker hetzen. Das schafft nat�rlich kein Vertrauen. Die linke Kulturkritik ist indes auch nicht viel glaubw�rdiger. Sie gibt vor, den hohen Wert der Informationsfreiheit zu sch�tzen, w�hrend es haupts�chlich um Raubkopien kulturell oft minderwertiger Ware geht, die unsere Kulturkritik vielleicht zu Recht verachtet. Sch�tzenswert ist der Schund aber immerhin deshalb, weil die Mischkalkulationen der Konzerne uns den Genu� etwa auch des Freiburger Barockorchesters erm�glichen. Ein toller Verkaufsschlager Der Kapitalismus l��t sich nur durch kapitalistische Institutionen wirksam in Schach halten. Im Fall der kulturellen Werte etwa durch Banken, die die Privatsph�re unserer kulturellen Depots durch ihr Bankgeheimnis vor staatlicher oder privatwirtschaftlicher Neugier sch�tzen, oder durch Versicherungen, die Sch�den durch den technisch unvermeidlichen Diebstahl geistigen Eigentums �hnlich regulieren wie beim Kreditkartenbetrug. Der radikale Kulturkapitalist wird deshalb alle Ma�nahmen begr��en, die Anreize zur Ausgestaltung der digitalen Infrastruktur bieten, etwa die K�rzung der Etats von Bibliotheken mit ihrer heute noch typischen, aber k�nftig unzweckm��igen Vermischung digitaler und analoger Best�nde oder die Streichung von Druckkostenzusch�ssen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Auf dem Pr�fstand stehen mit der erwartbaren Ausbreitung von DRM-Systemen auch die Verwertungsgesellschaften. Die wollen zum Mi�fallen von Ger�teherstellern Pauschalabgaben auf Drucker, Scanner und PCs erheben, um die Einnahmen an Autoren und Rechteinhaber zu verteilen. Wo sich dank DRM der tats�chliche Gebrauch von Informationen messen l��t, wird dieser Informationssozialismus jedoch chancenlos. Einige Bereiche der Kultur, besonders in der Wissenschaft, weiterhin in Form "volkseigener Betriebe" zu organisieren mag im einen oder anderen Fall sinnvoll sein. Aber niemand glaubt ernsthaft an eine Zwangskollektivierung geistigen Eigentums. Der Unterschied zwischen analog und digital ist kein gradueller, sondern ein absoluter. Bibliotheken und Verwertungsgesellschaften, denen man erlaubte, ihre Zust�ndigkeit �ber den analogen Bereich hinaus auch auf die digitale Kultur auszudehnen, w�rden es mit ihren pauschalen Abgaben und Tantiemenzahlungen f�r Ger�te und Medien verhindern, da� das Kulturleben zu unser aller Nutzen effizienter organisiert wird. Die Digitalisierung macht neue, individualisierte Steuerungsm�glichkeiten denkbar, etwa Am�siersteuern auf Informationsklassen wie Unterhaltungsfilme und Spiele oder individuelle Subventionen f�r elektronische Lehrb�cher und Lernsoftware. Schulen oder Universit�ten k�nnten durch gezielte Anreize daf�r sorgen, da� die "Nutzer" ihre individuellen Kulturportfolios mit gesellschaftlich w�nschenswerten Inhalten anreichern. Die "Kultur AG" befindet sich in Gr�ndung. Es kommt nur darauf an, wie wir sie politisch gestalten wollen. CHRISTOPH ALBRECHT Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.2002, Nr. 101 / Seite 49 -- http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/ http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html GnuPG/PGP public key ID 3200C7BA, finger [email protected] ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/