Tilman Baumgaertel on Wed, 14 Aug 2002 12:45:08 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Ich und mein Medium, SZ |
http://sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel2730.php Ich und mein Medium Zeitl�cher: Die �black cubes� der documenta und die neuen H�hlenbilder der Videokunst / Von Walter Grasskamp Manchem Besucher mag die documenta 11 wie ein verkapptes Filmfestival vorkommen, bei dem die Anfangszeiten geheim gehalten werden. Aber schon seit langem ger�t man immer h�ufiger in Kunstausstellungen mit reichlich eingestreuten Videos, die so unkoordiniert parallel laufen, dass man stets mittendrin ankommt. Dann hat man die Wahl, bei der n�chsten Umdrehung den fehlenden Teil nachzuholen, von dem man freilich meist nicht wei�, wie lang er ist, oder gleich zum n�chsten Werk �berzugehen, mit dem schlechtem Gewissen, sich nicht die n�tige Zeit genommen zu haben. Wer in den f�nfziger Jahren in Kinopal�sten namens �Gloria� oder �Apollo� sozialisiert worden ist und mit einem Fernsehger�t, das nur einen Kanal kannte, hat einen gro�en Respekt vor dem Filmformat erworben und kann sich eigentlich nur vorstellen, dass auch bei Kunstausstellungen Filme hintereinander laufen und die Anfangszeiten bekannt gegeben werden. Ich sehe was ... So war das noch anl�sslich der Ausstellung �jetzt. K�nste in Deutschland heute�, die Helmut R. Leppien 1970 in der K�lner Kunsthalle zeigte � es ist ja nicht so, dass bildende K�nstler erst seit gestern mit dem arbeiten, was man damals noch audiovisuelle Medien nannte. Das von Birgit Hein zusammengestellte Programm zeigte neben Wenders, Schr�ter, Straub und Farocki auch K�nstlerfilme von Sigmar Polke, G�nther Uecker, Wolf Vostell und Lambert Maria Wintersberger, und zwar abends in einem regelrechten Projektionsraum. Das geschieht gegenw�rtig ja auch in Kassel, wo im�Bali� � auch so eine Namensperle � einige Filme das Privileg einer regelrechten Kinovorf�hrung genie�en. Aber in den Ausstellungsr�umen flimmert es auch allerorten. Unterscheidet man inzwischen K�nstlerfilme f�r Kinos von solchen f�r Ausstellungen? Hat sich seit den siebziger Jahren ein solcher Wandel der Wahrnehmung eingeschlichen, dass die Erwartung einer medienspezifischen Trennung der Seh-Veranstaltungen l�ngst altmodisch geworden ist? Selbst Museen kommen ihr nicht mehr entgegen, wie man gerade in der �Galerie der Gegenwart� der Hamburger Kunsthalle studieren kann. Etagenweise laufen nebeneinander Videofilme und Medienprojektionen nach Ma�gabe ihrer verschiedenen Spiell�ngen und damit im Zustand einer vollendeten Entropie. Aus den offenen Kojen ergibt sich eine akustische �berlagerung, so dass der Besuch zum Wandelgang durch Ger�uschzonen mit wechselnden Quellen wird, eine postmoderne Folterversion des H�rspiels. Da war die Stuttgarter Staatsgalerie, wo in den neunziger Jahren eine TV-Wand von Nam June Paik die lange Enfilade der Gem�lde in vorauseilender L�rmigkeit entwertete, geradezu ein lauschiger Ort. Damals stellte sich allenfalls die Frage, ob bewegte Bilder in einem Kunstmuseum nicht die �stehenden� irreversibel entwerten, die Gem�lde und Skulpturen, die im medialen Durchzug erstarren (SZ vom 19. November 1996). Heute entwerten sich dagegen auch die bewegten Bilder gegenseitig und lassen selbst in Museen das Medien-Crossover eskalieren. Gro�veranstaltungen wie die documenta 11 haben nat�rlich keine andere Wahl. In K�ln hatte man sich 1970 noch einen geschlagenen Monat aufhalten m�ssen, um alle acht Filmprogramme mitzubekommen; mit ihren Zweitagesbesuchern muss die documenta die meisten ihrer K�nstlerfilme der Ausstellung um den Preis unterschmuggeln, dass keiner sie als solche wahrnimmt. Aber das scheint immer weniger Besucher zu irritieren. So wie es Leute gibt, die den Fernseher laufen lassen, wenn sie das Haus verlassen, damit jemand da ist, wenn sie wiederkommen, erwarten die Besucher von Kunstausstellungen offenbar inzwischen, dass die Bilder schon vorgew�rmt sind, wenn sie eintreffen. In Kassel sorgt immerhin eine angenehm professionelle Inszenierung f�r Entspannung an der Medienfront: An den T�ren erf�hrt man die Laufzeit der Filme, und eine ebenso unauff�llige wie seri�se Ausstellungsarchitektur trennt die stummen Bilder von den Tonspuren der bewegten. Doch anderswo, etwa bei der Karlsruher Ausstellung �Iconoclash� im ZKM, scheint man es l�ngst auf das Gegenteil angelegt zu haben, auf den Effekt eines Medienrummels, der sein Thema, den Dauerbrenner Bilderstreit, l�ngst als selbsterzeugten �Mediaclash� ausgeben m�sste. Die vorgeblichen Orte der kritischen Sichtung der Medienkultur fungieren in Wahrheit l�ngst als Fitnesszentren f�r einen neuen, robusten Typus des Kunstkonsumenten. Diesem m�sste das �Prinzip der �berschwemmung�, mit dem Fischli/Weiss einst ihre legend�re Ausstellung �Pl�tzlich diese �bersicht� und Kippenberger seine �Peter�-Installationen eingerichtet haben, im R�ckblick schon als asketische Maxime erscheinen. Der �Paragone-Streit�, mit dem die Renaissance den Vorrang von Malerei und Bildhauerei diskutierte, ist angesichts der zeitgen�ssischen Medienindifferenz in seiner Gattungssensibilit�t jedenfalls kaum mehr zu vermitteln. Und wer kann sich noch vorstellen, welche Souver�nit�tskrise ein Paul Val�ry heute auf einer durchschnittlichen Gro�ausstellung erleiden m�sste, wo ihm doch schon die gedr�ngte Vielzahl der stummen Bilder im Museum als Durcheinanderschreien vorkam? Wird es bald Kurorte geben, die ihre Kunden mit als Kunstausstellungen annoncierten Medienkreuzfeuern erst behandlungsreif schie�en, ist das wom�glich schon die diskrete Marktnische von Bad Wilhelmsh�he mit seiner Gem�ldegalerie und dem einzigartigen Park? Solche und andere Ressentiments hegte ich, bevor ich nach Stuttgart zu einer Tagung �ber die Gegenwart des Museums fuhr, die gemeinsam vom Kunsthistorischen Institut der TU und der dortigen Kunstakademie veranstaltet wurde. Dort wusch Boris Groys den Teilnehmern die medienverwirrten K�pfe. Groys� These ist, dass es sich bei den allf�lligen Filmen in Kunstausstellungen nicht um fehlplatzierte Medien, sondern um Werke handelt, die vors�tzlich unausgelotet, n�mlich Kunst jenseits einer bildhaften Erinnerung bleiben wollen. Dass man diese Filme eben nie ganz zu sehen bekommt, ist demnach nicht der Unf�higkeit der Planer anzulasten, sondern Absicht der K�nstler, die nun den Werkbegriff auch im Filmformat aufl�sen wollen. Nat�rlich erntete diese These Widerspruch. Aber immerhin kann sie sich auf eine Generation von K�nstlern berufen, f�r die Douglas Gordon mit seinen ins Unendliche gedehnten Filmvorf�hrungen emblematisch ist. Und nat�rlich passt sie auch r�ckblickend auf Filme von Andy Warhol und andere historische Zeitl�cher aus K�nstlerhand. Selbst f�r den h�ufig beklagten Umstand, dass Video- �Vorf�hrungen� in ihren Dunkelkammern bisweilen so unprofessionell eingerichtet sind, dass man, aus der Helligkeit kommend, �ber sitzende Zuschauer stolpert und anschlie�end selber auf der Hut sein muss, fand Groys eine Legitimation: Filme, die nicht als ganze in Erinnerung bleiben wollen, finden in R�umen statt, die man ebenfalls nicht sehen soll. In der Tat k�nnten die black cubes der documenta bei den Besuchern nicht nur wegen der Sitzpl�tze beliebt sein, sondern auch, weil man sich dort von der traditionell klinischen Ausleuchtung der angrenzenden white cubes erholen kann. Unerinnerbarkeit und Un�bersichtlichkeit der neuen H�hlenbilder summieren sich demnach zu einer neuen Version der Aura im Zeitalter ihrer technischen Produzierbarkeit, aber das ist f�r Groys nur ein Nebenprodukt. Denn haupts�chlich soll es um die D�pierung des Betrachters gehen, der ein weiteres Mal, in bester Avantgarde-Tradition, sein Versagen als Rezipient an der Kunst abzuarbeiten hat. Dem Kunstbetrachter klar zu machen, dass er ihr � sei es aus politischen, sei es aus �sthetischen Gr�nden � nicht gewachsen ist, war in der Tat das Erfolgsrezept der Avantgardekunst; mit ihrer Medienversion entzieht sie sich ihm heute auf wahrhaft zeitgen�ssische Weise, n�mlich aus Termingr�nden. Aber hat der Besucher der zeitgen�ssischen Bildermeere noch ein schlechtes Gewissen, wenn er sich vor einem �berangebot ins andere fl�chtet? Er ist l�ngst nicht mehr der auftrumpfende Bourgeois, den die Avantgarde einst als Kunde umwarb, indem sie ihn als Betrachter d�pierte, sondern Teilnehmer einer Invasion der Bilderfresser und Repr�sentant des Massenfeudalismus der Konsumgesellschaft, in der jeder mehr sehen will, als er behalten, und mehr Angebote erhalten will, als er nutzen kann. ... was du nicht siehst Wie ver�ndert die Wahrnehmungskultur inzwischen ist, zeigt sich allerdings weniger in den Gro�ausstellungen als vielmehr dort, wo Zeit noch knapper ist, n�mlich bei Gremiensitzungen. 1982 betrachtete man im Rheinland die ehrenamtlichen Juroren eines ansehnlichen Videopreises noch mit am�siertem Respekt, weil sie etwas taten, was man von ihnen nicht erwartet h�tte: Die viel besch�ftigten Wirtschaftsbosse sahen sich alle Videos von Anfang bis Ende an. Nach genau zwanzig Jahren ist jetzt, aus einer anderen Region, der umgekehrte Rekord verb�rgt: Angesichts einer �berf�lle von Videos entschied sich eine Preis- Jury, jedem Film in der Vorauswahl nur eine Minute Betrachtungszeit einzur�umen. Da h�tte auch Warhol kaum eine Chance gehabt. Dieser Juryakkord mag unverzeihlich sein, nachvollziehbar ist er jedoch leicht, denn er unterbietet das Zeitmanagement des durchschnittlichen Ausstellungsbesuchers nur wenig. Die Kunst hat sich in der Moderne freilich immer schon geweigert, ihr Angebot von der Nachfrage bestimmen zu lassen. Daran h�lt sie offenbar fest, auch wenn sie mit Grandezza ins Leere geht. In Kunstausstellungen n�hert sich die Betrachtungszeit von Filmen denen der Gem�lde an, bei denen es ja auch schon immer ein Irrtum war, zu glauben, man habe sie in wenigen Minuten, inklusive der Schildchen-Lekt�re, gesehen. Nun verk�rzen sich die Betrachtungszeiten der Medien und Gattungen gegenseitig: Das ist der aktuelle Stand des �Paragone- Streits�. Der Autor lehrt Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden K�nste M�nchen. Aktuelles Lexikon Wochenchronik Kontakt Impressum zur�ck Seitenanfang sueddeutsche.de ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/