ols on Thu, 10 Oct 2002 20:15:03 +0200 (CEST)


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[rohrpost] CFP "Utopische Körper" 5/03


Nach dem (fast schon vergessenen) »Ende der Geschichte«, dem Ausfransen des
Postmodernismus und der zweitweisen Erstarrung der
»eine-andere-Welt-ist-möglich«-Bewegungen im Angesicht des kataklysmischen
Kollapses der Stahlträger der Old- und New-Economy - nach alldem ist Utopie
ja gegenwärtig wieder hoch im Kurs. Ganz anti-zyklisch und im gegenläufigen
Trend zu den meisten Aktien tummelt sie sich mittlerweile in fast allen
Ecken der theoretischen Diskurse.

Aber das ist ja nicht schlecht -"... the question of Utopia would seem to be
a crucial test of what is left of our capacity to imagine change at all"
(Frederic Jameson)

Also für alle die interessiert sind hier ein weiteres Angebot zur Reflexion
des Unverorteten der Gegenwart.

oliver lerone schultz


***

Utopische Körper

Call for papers für Tagung an der Volksbühne am 23-25. Mai 2003
veranstaltet vom Graduiertenkolleg 'Körper-Inszenierungen' der FU Berlin

in Kooperation mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

Utopia als Nichtort widerspricht der Kategorie des Körpers - bezeichnet
die Utopie doch eine Gegenwelt im Nirgendwo, der Körper hingegen einen
Ort, den wir durch unsere eigene Erfahrung in der Welt für vertraut
halten. Gemeinsam scheint beiden nur zu sein, daß es mit ihnen zu Ende
geht. Angesichts realer Dystopien des 20. Jahrhunderts geriet das
politische utopische Denken zunehmend außer Kurs. Dem seit 1989 immer
lauter ausgerufenen „Ende der Utopien“ läßt sich die Rede vom
Verschwinden des Körpers zur Seite stellen. Zugleich melden sich in der
Debatte über den „Posthumanismus“ Stimmen, deren utopischer Grundton
unüberhörbar ist: Im Cyberbody wird die Überwindung des antiquierten
Psychobody gesehen. In diesen Auseinandersetzungen wird aber deutlich,
in welchem Maße Zukunftstechnologien - von der Virtualisierung bis zur
Biotechnologie - am Körper ausgetragen werden. Die Utopie besetzt den
Körper als ihren Ort.
Abseits technologischer Zukunftsvisionen zeugen gegenwärtige
Gesellschaftspraxen längst vom Einwandern der Utopie in den Körper. War
das Kriterium der Utopie bislang ihre Unrealisierbarkeit, so
konkretisieren sich utopische Körper in kosmetischen, pharmazeutischen
und chirurgischen Zugriffen. Oder sind Körperutopien im Zeitalter ihrer
Virtualisierung und Visualisierung in Bildmedien und bildgebenden
Verfahren vor allem Körperbilder? Wie ging die Vorstellung von der
Perfektibilität des Menschen auch historisch mit der Planung
perfektionierter Körper einher? Welche Rolle spielt der Körper in
Heterotopien von der Phalanstère über Geheimgesellschaften bis hin zu
Projekten gemeinschaftlichen Lebens, in denen Utopien im "Kleinen"
realisiert werden? Welche Wechselwirkungen bestehen etwa zwischen den
Vorstellungen von Körperfunktionen und der Erforschung von Arbeits- und
Lebensabläufen (Arbeitsökonomien, Architekturen, Ergonomik,
Biorhythmen)?
Mit den folgenden Schwerpunkte möchte die Tagung das Verhältnis von
Körper und Utopie untersuchen:
* Aufrüstungen des Körpers in Form von Spitzensport, Fitness und
Wellness basieren insofern auf einer utopischen Struktur, als die Körper
immer noch schneller, stärker schöner oder schlanker werden müssen.
Folgen die Körperpraktiken in Hochleistungsdoping, Risiko- und
Extremsport sowie der Fitness-Bewegung einer vermeintlich individuellen
Utopie, die obsolet gewordene gesamtgesellschaftliche Entwürfe ersetzt?
Ist die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Körper oder der Anschein
einer solchen entscheidend ? Welche Bedeutung kann in Zukunft ein Körper
haben, der nicht durch sportliches Training zugerichtet ist?
* In keinem Bereich scheint der neue Mensch so machbar wie in der
Biotechnologie. Dabei reagieren ihre Versprechungen nicht nur auf
vermeintliche Leerstellen medizinischer Forschung, sondern speisen sich
immer auch aus utopischen Wunschvorstellungen, die sich häufig von
konkreten Problemen gelöst haben. Welche utopischen Körperbilder und
gesellschaftlichen Entwürfe stehen hinter den medizinischen
Heilsversprechen der Biotechnologie?
* In „theoretical fictions“, dem Konvergenzraum wissenschaftlicher
Projektionsfelder und ästhetischer Inszenierungen des Künftigen, wird
indirekt am Utopischen gearbeitet. Existieren neben einer Vorherrschaft
des Dystopischen (etwa der Cyberpunk im Science Fiction) und eines an
szientistischen Imaginationen orientierten „Posthumanismus“ kulturelle
Spielräume lebendiger Körperlichkeit? Tragen ästhetische und
theoretische Körperinszenierungen gerade durch den Kontakt mit Dystopie
und Technologie Momente einer „kritischen Utopie“ in sich?
* Ästhetische Gegenwelten antizipieren technologische und
wissenschaftliche Errungenschaften, exponieren ihren utopischen Gehalt
und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Welchen künstlerischen
Entwürfen gelingt es, sich den "mythopischen" Körper- und
Lebensverbesserungsangeboten zu widersetzen und welche schöpfen immer
neue Moden, aus denen die Werbeindustrie ihr nächstes Branding speisen
kann?
* Erstaunlicherweise ist die Utopie des Urlaubs - samt ihrer
omnipräsenten Bilderwelten - die alltäglichste und gleichzeitig am
wenigsten erforschte. Warum setzt das Glücksversprechen der unbegrenzten
Freiheit alljährlich 600 Millionen Menschen in Bewegung, die sich
paradoxerweise am Ort des Heils einem körperdisziplinierenden
'Urlaubsfaschismus' unterwerfen? Welche Praktiken werden während des
"learning to be a tourist" entwickelt , um den Körper für den Alltag
leistungsbereit zu halten, und inwiefern liefern die imaginären
"landscapes and mindscapes" der Künste den Urlaubsparadiesen ihre
Vorbilder?
* Der pornographische Körper ist nicht nur durch seine Verortung im
Imaginären , sondern auch durch die an ihm ausgetragene, nicht
stillzustellende Lust an der Wahrheit der Sexualität mit dem Begriff des
Utopischen verknüpft. Wie hängt das Utopische, das sich im Gegensatz zu
religiösen, eschatologischen Vorstellungen durchaus im Diesseitigen
verortet, aber doch wesentlich unwirklicher Raum bleibt, zusammen mit
der prekären Dialektik von Authentizität und Inszenierung im
pornographischen Genre?

Abstracts (300 Wörter) für Vorträge (20 min) können bis zum 15. November
2002 an folgende Adresse geschickt werden: [email protected]


Utopian bodies
Conference organized by the Graduiertenkolleg „Körperinszenierungen„ (FU
Berlin)
In cooperation with the Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin
23-25 May 2003


Utopia and the body seem to be contradictory categories: whereas utopia
means a place that is literally nowhere, the body is marked by its
physical presence. The only thing both concepts appear to share is that
they are said to have come to an end. Due to the 20th century’s real
dystopias political utopian thinking has lost its impact. The „end of
utopia“, proclaimed even more fervently since 1989, is paralleled by the
notion of the „posthuman“ disappearance of the body. Yet the very debate
about posthumanism is charged with a certain utopian undertone: a
superior cyberbody is held to supersede an outdated psychobody. This
discussion indicates to what extent future technologies - ranging from
the virtual world to biotechnology - seize upon and affect the body.
Utopia claims the body as its place.
Apart from technological dreams of the future, present social practice
gives evidence of a utopian occupation of the body. Whereas utopias have
commonly been distinguished by their non-existence in the real world,
utopian bodies are now actually realized by means of cosmetic,
pharmaceutical and surgical intervention. Or are these „real“ utopian
bodies, propagated in the age of virtualization and visual media,
invented only as objects of visions - imaginary bodies in the truest
sense? Was the notion of man’s perfectibility also historically linked
with the planning of perfect bodies? How did utopian projects in the
past, be they literary, political or practical, work on the body and in
what way are present body-utopias influenced by their predecessors? How
do concepts of bodily functions and research on working and living
processes (labour economy, architecture, ergonomics, biorhythms)
interact?
The conference will examine the interrelations of utopian imagination
and the body in various fields. Our points of interest include
manipulations of the body in sports and wellness, the utopian energy at
work in the discourse in biotechnology and in theoretical fictions, the
image of the body in science fiction literature, the utopia of
authenticity in the staging of the pornographic body and mass tourism as
the new form of a collective utopia.

Abstracts of about 300 words for 20min presentations may be submitted by
15 November 2002 to: [email protected]


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