geert lovink on Tue, 14 Oct 2003 07:10:56 +0200 (CEST)


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Re: [Nettime-nl] Verslag Biggest Visual Power Show 2003


Mieke Gerritzen vraagt zich af: "Wie of wat is de beeld intellectueel?"

Een van haar antwoorden luidt: "De beeld intellectueel begeeft zich midden
in een proces. Een proces waarin het beeld grootschalig wordt ingezet voor
allerhande doeleinden en niet meer alleen dienst doet als illustratie of
kunstwerk. Beeld wordt gemeengoed, een communicatietool voor de massa."

Haar antwoorden zijn open en veelzijdig en werpen een veelvoud aan vragen
op.

De vragen zijn niet nieuw en dat wordt ook niet beweerd. Al met de geboorte
van de kunstgeschiedenis kwam de vraag naar boven wat een beeld is en hoe
het beschreven en gekwalificeerd moest worden. De beeldcultuur vestigde zich
in de twintigste eeuw met de massale opkomst van fotografie, film en
televisie. Vanaf heden is beeld een omgeving, het is een taal en een tool,
geen geisoleerd verschijnsel dat aanbeden wordt.

Praat de beeld intellectueel in beelden? Is er iets dat aan woorden
ontbreekt of gaat het hiet slechts om algemene educatie, zoiets als lopen,
fietsen en autorijden? Moet idereen beeld kunnen produceren of gaat het
alleen om het begrijpen ervan? Moet iedereen ook computers kunnen
programmeren? Soundfiles maken? Waarom beeld? Wat is daar zo speciaal aan
dat iedereen zich daaraan moet onderwerpen? Is er ook plaats voor een
interdisciplinaire dialoog tussen verschillende media, wetenschappen en
uitingsvormen of gaat het om druk je te moeten aanpassen? De groeiende macht
van het beeld is duidelijk. De vraag is echter of daaraan moet worden
toegegeven.

Zoals Mieke al duidelijk maakte is de Visual Power Show niet de enigste die
zich met deze vragen bezighoudt. Hieronder een Duits verhaal over het
groeidende belang van 'Bildwissenschaft'.

Gegroet, Geert

--

Auf der Suche nach einer neuen akademischen Disziplin
In Magdeburg wurde über die Notwendigkeit und Ausrichtung einer
"Bildwissenschaft" verhandelt

Benjamin Burkhardt, Telepolis, 06.10.2003

"Turn! Turn! Turn!" So sangen es einst The Byrds. Mittlerweile ist das
auch innerhalb der Kulturwissenschaften schon ein altes Lied. Seit
Richard Rorty den "linguistic turn" 1967 zum neuen Paradigma der
Philosophie erhob, ist bis zum "cultural turn" so ziemlich jede
disziplinäre Wende schon mal da gewesen. Das müsste eigentlich
niemanden mehr so richtig aufregen, wäre da nicht der "pictorial turn",
den William J. T. Mitchell 25 Jahre später für uns entdeckt bzw.
erfunden hat. Ganz gleich, ob Mitchell zu Beginn der 1990er Jahre ein
neues, bildliches Paradigma der Kulturwissenschaften diagnostiziert hat
oder ob er einfach nur das allgemein übliche Gerede von "der
Bilderflut" etwas geschickter als seine kulturpessimistischen
KollegInnen benannte: Der "pictorial turn" ist und bleibt ein
Dauerbrenner, der in akademischen Kreisen immer gerne diskutiert wird.

So auch bei der Mammutkonferenz "Bildwissenschaft zwischen Reflexion
und Anwendung", die Ende September in Magdeburg stattfand: In gut und
gerne 50 Vorträgen (plus drei Podiumsdiskussionen) an fünf Tagen ging
es um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob der "pictorial
turn" die Gründung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin in
Deutschland nötig macht. Im Grunde waren sich die Teilnehmenden
diesbezüglich zwar sowieso alle einig - eine "Bildwissenschaft" muss
her! Aber wie soll sie aussehen? Darüber gab es heftige Diskussionen.

Eigentlich wird längst Bildforschung betrieben

Im traditionellen Fächerkanon sind es insbesondere die
Kunstwissenschaften und die Philosophie, die sich der Bilder annehmen.
Dort scheinen sie zunächst auch gut aufgehoben - doch gucken beide
Disziplinen allzu selten über den Tellerrand dessen, was sie als
"Kunst" definieren, hinaus. Und so blieben wichtige Bildressourcen wie
private Foto-Alben, der Kühlergrill eines Rolls-Royce oder auch
Toilettenpapier-Verpackungen viel zu häufig unbeachtet. Die Beispiele
sind allerdings mit Bedacht gewählt - gerade sie wurden bisweilen eben
doch erforscht. Kluge Köpfe wie die Kulturwissenschaftler Aby Warburg
und Erwin Panofsky oder auch der globalisierungskritische Soziologe
Pierre Bourdieu waren da immer schon ein bisschen weiter als der
Mainstream ihrer Fächer.

Spätestens seit den 1990ern gibt es ohnehin in praktisch allen
kulturwissenschaftlichen Fächern einen Trend zur Erforschung visueller
Phänomene. Ganz zentral beschäftigt sich etwa die Medienwissenschaft
mit profanen Bildern und ihren Entstehungsbedingungen; man denke nur an
Friedrich Kittlers exzellente Berliner Vorlesung von 1999, die beim
Merve Verlag mittlerweile unter dem Titel "Optische Medien" erschienen
ist.

In nahezu allen natur- und kulturwissenschaftlichen Bereichen werden
Bilder mehr und mehr zum Thema. Dieser Trend hat seinen Ursprung
natürlich in den USA - William J. T. Mitchell lässt grüßen. So
erforscht beispielsweise Tom Holert die kulturelle Konstruktion
visueller Wahrnehmung im Geist der ursprünglich englischsprachigen
"Visual Culture". Kurzum: Längst wird Bildforschung auch in Deutschland
betrieben.

Der oben erwähnte Kühlergrill und seine Thematisierung bei Erwin
Panofsky deuten allerdings auf ein weiteres heißes Eisen, das mit dem
"pictorial turn" verbunden ist: "Was ist ein Bild?" So lautet der
inflationär zitierte (und nie befriedigend beantwortete) Titel eines
von Gottfried Boehm 1994 herausgegebenen Sammelbandes. Anders gefragt:
Muss sich eine ernst zu nehmende Bildwissenschaft mit exotischem Kram
wie Autozubehör, dem Cyberspace und vielleicht sogar mit mentalen
Bildern beschäftigen - oder tut es auch das althergebrachte Ölgemälde
an der Museumswand?

Man sieht also: In Magdeburg gab es viel Anlass zur Diskussion. Die
Veranstaltung wurde durch den Philosophen Klaus Sachs-Hombach
organisiert, der sich schon seit einigen Jahren als Herausgeber
einschlägiger Sammelbände hervor tut. Zu nennen wäre hier
beispielsweise die "Reihe Bildwissenschaft" beim Scriptum Verlag. Wer
diese Bücher bereits gelesen hatte, konnte ahnen, dass einerseits
hochkarätige VertreterInnen unterschiedlicher Disziplinen vor Ort sein
würden - und dass andererseits ein extremer Überhang an PhilosophInnen
zu befürchten war.

Bildwissenschaft als eigenständige Disziplin?

Tatsächlich entwickelte sich die Tagung mehr und mehr zu einem
Schlagabtausch darüber, ob die Semiotik die einzig mögliche Grundlage
der ansonsten interdisziplinär zu denkenden Bildwissenschaft sei - so
sahen es insbesondere die SemiotikerInnen. Dagegen waren vor allem die
Nicht-PhilosophInnen; und das umso mehr, als sie knappe vier Tage lang
heftige geistige Schlachten um Syntax, Semantik und Pragmatik der
Bilder sowie um Peirces ausgefeilte Zeichenterminologie hatten ertragen
müssen, bis sie auch mal so richtig zum Zug kamen.

Philosophischer Anführer der filmwissenschaftlichen, kunsthistorischen
und anderen DissidentInnen war der Jenaer Professor Lambert Wiesing,
der sich vehement dagegen wehrte, Bilder einfach mit Zeichen
gleichzusetzen. Dabei gehörte er selbst auch zur Fraktion derjenigen,
die zwar viel über "reine Sichtbarkeit" sprachen, es aber nicht für
nötig hielten, dabei mit Hilfe konkreter Bilder zu argumentieren.
Dieser philosophische Logozentrismus wurde aus den Reihen des Publikums
mehrmals heftig kritisiert. Wiesings Argument, man könne mit Bildern
schlichtweg keine abstrakten Sachverhalte abbilden, war jedenfalls
nicht überzeugend - eine halbwegs rational arbeitende Bildwissenschaft
wird sehr schnell das Gegenteil heraus finden können. Man denke etwa an
Horst Bredekamps wegweisende Leviathan-Studie.

Eine Frage, die wohl noch viel zentraler hätte diskutiert werden
sollen, geriet bei all dem fast an den Rand: Ist die Bildwissenschaft
nun als eigenständige Disziplin zu denken oder sollte es sich eher um
eine "Zwischenschaft" handeln, wie Marion G. Müller es einmal
formuliert hat? Auch diese Kommunikationswissenschaftlerin war in
Magdeburg dabei. Ihr gemeinsamer Auftritt mit Tom Knieper gehörte zu
den Höhepunkten der Tagung, denn das gut eingespielte Team führte die
Vorteile allgemein verständlich aufbereiteter Interdisziplinarität sehr
anschaulich vor.

Wenig geklärt bei leeren Kassen

Als "special guests" der Veranstaltung fungierten der prominente
Neurowissenschaftler Ernst Pöppel und Christa Maar von der Burda
Stiftung. Diese promovierte Kunsthistorikerin hat in den vergangenen
Jahren eine äußerst hochkarätig besetzte Vorlesungsreihe unter dem
Titel "iconic turn" in München organisiert. Vor allem aber verfügt sie
- gemeinsam mit Pöppels Humanwissenschaftlichem Zentrum an der
Münchener Universität - über die nötigen Ressourcen und Kontakte, um
eine Bildwissenschaft nicht nur theoretisch auszudiskutieren, sondern
auch praktisch umzusetzen. Dies deutete sie jedenfalls in Magdeburg an.

Zugleich machten Maar und Pöppel klar, dass es bei ihren gemeinsamen
Bemühungen nicht um die Konstruktion einer homogenen Bildwissenschaft
geht. Von einer züchtigen Beschränkung auf zweidimensionale visuelle
Zeichen (wie aus den Reihen der Semiotik gefordert) hielten sie gar
nichts. Statt einer genau definierten Rahmentheorie als Grundlage der
Bildwissenschaft forderte Pöppel konkrete, extrem interdisziplinäre
Fragestellungen. Dieses Argument ist recht plausibel - schließlich weiß
heute niemand definitiv, was "die Kunst" ist oder was "die Medien"
sind. Trotzdem sind sowohl Kunstwissenschaften als auch die
Medienwissenschaft zur Zeit sehr fest in Deutschlands akademischer
Landschaft etabliert.

Nach Magdeburg ist zumindest so viel klar: Einen Königsweg zur
Bildwissenschaft gibt es derzeit nicht. Viele zentrale Fragen bleiben
notgedrungen offen: Wird die einschlägige Forschung als eigenständige
Disziplin oder transdisziplinär organisiert? Gehen die wichtigsten
Impulse von der Philosophie aus oder behält die Kunstgeschichte ihre
Funktion als Leitwissenschaft im Bereich des Visuellen? Können
akustische, haptische und mentale Phänomene Bilder sein? Sollte die
Produktionsseite (Kunst, Design, etc.) Teil der Bildwissenschaft sein?

Es gibt viele solcher Fragen, deren Beantwortung eher
wissenschaftspolitische als abstrakt-intellektuelle Fähigkeiten
erfordert. Deshalb wäre die Bildforschung gut damit beraten, sich an
konkreten Fragestellungen auszutoben. Metatheoretische Debatten werden
sie nur begrenzt voran bringen können - gerade in den Zeiten knapper
Kassen.

Trotzdem sind Klaus Sachs-Hombachs Ideen eine wichtige Bereicherung des
Diskurses rund um den "pictorial turn". Initiativen wie das von ihm
angeregte "Zentrum für interdisziplinäre Bildforschung" oder auch das
  Virtuelle Institut für Bildwissenschaft [1] werden zwar nicht
zwangsläufig zu der von ihm erhofften "disziplinierenden" Wirkung
führen. Sie können aber entscheidende Impulse liefern, wenn es darum
geht, Bilder künftig systematischer und breiter zu erforschen, als das
bisher geschehen ist.

In diesem Sinne war die Magdeburger Konferenz trotz aller
Meinungsverschiedenheiten ein Meilenstein auf dem Weg zu einer
reflektierten Wissenschaft (oder "Zwischenschaft"?) von den Bildern.
Und diese Tatsache sollte in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden.
Der Kunsthistoriker Karlheinz Lüdeking brachte das sehr feinsinnig auf
den Punkt, als er in einer Diskussion scheinbar nebenbei anmerkte, die
klassischen Fragen Immanuel Kants würden heute durch das Fernsehen
beantwortet. Diese Fragen lauten: "Was können wir wissen? Was sollen
wir tun? Was dürfen wir glauben?"

So viel scheint sicher: Selbst wenn die bildwissenschaftliche Forschung
sich nicht in einer eigenständigen Disziplin organisieren sollte, wird
sie in den nächsten Jahren doch immer wichtiger werden. Schließlich
hilft sie entscheidend beim Überdenken einer weiteren Frage Kants, auf
die es noch immer keine befriedigende Antwort gibt: "Was ist der
Mensch?"

Links

[1] http://www.bildwissenschaft.org

Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/konf/15786/1.html


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